Böhmer: Diskussion um rechte Gewalt muss nach der WM fortgeführt werden

Moderation: Hanns Ostermann · 23.05.2006
Rund drei Wochen vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft hat die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge, Maria Böhmer, die Debatte um rechtsextreme Gewalt begrüßt. Dass man jetzt, kurz vor der WM, die Diskussion so intensiv führe, sei zweifellos richtig, aber sie dürfe dann nicht enden, sagte die CDU-Politikerin.
Hanns Ostermann: Nur noch wenige Tage sind es bis zum Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft und in Deutschland wächst die Sorge vor rechtsextremistischen Übergriffen. Dem gestern vorgestellten Verfassungsschutzbericht zufolge ist deren Zahl im letzten Jahr sprunghaft gestiegen. Bundesinnenminister Schäuble sieht ein erhebliches Gefahrenpotenzial, er rief alle Bürger auf, bei Überfällen auf Menschen mit anderer Hautfarbe nicht wegzusehen. "No Go Areas" dürfe es nicht geben. Maria Böhmer von der CDU ist am Telefon, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Guten Morgen, Frau Böhmer.

Maria Böhmer: Guten Morgen.

Ostermann: Wird die Diskussion um rassistisch motivierte Gewalt bei uns in angemessener Weise geführt?

Böhmer: Ich empfinde die Diskussion als eine außerordentlich ernsthafte, die mit allem Nachdruck geführt wird. Wir sind uns um den Ernst der Lage sehr bewusst und sehen, es gibt leider immer wieder schreckliche Einzeltaten, aber die Entwicklung, die der Verfassungsschutzbericht aufzeigt, die muss uns schon mit großer Sorge erfüllen. Und deshalb sage ich auch in aller Deutlichkeit, dass wir jetzt vor der WM die Diskussion so intensiv führen, ist zweifellos richtig, aber sie darf da nicht enden, sondern Rechtsradikalismus, Extremismus in jeder Form muss nachhaltig bekämpft werden.

Ostermann: Können sich gerade dunkelhäutige Gäste in den alten Bundesländern sicherer fühlen als in den neuen?

Böhmer: Ich würde das nicht so pauschal sagen. Der Verfassungsschutzbericht zeigt ja auf, es gibt Schwerpunkte rechtsradikaler Aktivitäten, aber wir haben sicherlich eine Situation in den neuen Bundesländern, von der wir wissen, dass erst nach dem Fall der Mauer sich bestimmte demokratische Institutionen, Strukturen voll entfalten konnten und es geht darum, bundesweit, dort, wo rechtsradikale Aktivitäten sind, frühzeitig einzuwirken. Das heißt wir brauchen ein gezieltes Vorgehen dagegen, das heißt dort, wo die Vorfälle sind, muss die Polizei stärkere Präsenz zeigen, das sagen auch die Innenminister, und zum anderen brauchen wir vorbeugende Jugendarbeit, damit Jugendliche nicht erst in diese Richtung abrutschen.

Ostermann: Aber wie kann man hier vorbeugende Jugendarbeit leisten? Also wie kann man junge Leute gegen die Ideologie der Rechtsradikalen stärken?

Böhmer: Hier sind sicherlich an erster Stelle das Elternhaus und die Schule und die Jugendarbeit gefordert. Wir brauchen die politische Bildung, wir brauchen aber auch Menschen, die Jugendlichen ein Beispiel sind, die Zivilcourage zeigen, und das ist etwas, was mich wiederum sehr ermutigt, als wir die schreckliche Tat in den neuen Bundesländern hatten, dann haben wir auch gesehen, wie Bürger aufgestanden sind, wie sie klar Flagge gezeigt haben. Das gehört dazu und das ist unverzichtbar. Und deshalb bin ich auch froh, dass wir die Diskussion nicht nur so führen, dass wir auf die rechtsradikale Entwicklung hinweisen, sondern dass wir genauso Bürgerinnen und Bürger ermutigen und mit ihnen gemeinsam aufstehen. Und das sollte auch für Jugendliche deutlich machen, geht mit uns und geht nicht mit den anderen.

Ostermann: Frau Böhmer, grundsätzlich ist eine gestiegene Gewaltbereitschaft in unsere Gesellschaft zu konstatieren, das bestreitet niemand, egal welcher Partei er angehört, aber zum Teil gibt es ja unterschiedliche Einschätzungen, wo die Gründe dafür zu sehen sind. Arbeitslosigkeit zum Beispiel, fehlende wirtschaftliche Perspektiven allein als Erklärungsursache reichen doch wahrscheinlich nicht aus?

Böhmer: Also ich glaube, dass dieses in der Tat zu kurz greift, es dürfte verstärkend wirken, auch oft genant wird ja, wenn man in die neuen Bundesländer blickt, dass die Erfahrung mit Ausländern geringer ist, weil dort weniger Ausländer leben. Aber auch das, glaube ich, greift insgesamt zu kurz, es scheint mir eine außerordentlich komplexe Situation zu sein. Und Wissenschaftler weisen jetzt auch darauf hin, dass dort die Erfahrung durch zwei Diktaturen eben besteht, und dass man dann erst diese Orientierungslosigkeit überwinden musste, dass dieses auch bedeutet, für Jugendliche, aber auch für ihre Eltern, für diejenigen, die sie erziehen, sich zu entfalten in demokratischen Strukturen. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung dort des zivilgesellschaftlichen Engagements, aber es ist mit Sicherheit richtig, wir brauchen gründlichere Analysen an dieser Stelle, um die Schlussfolgerungen verstärkt zu ziehen, denn diese Entwicklung muss gestoppt werden. Keinerlei Extremismus darf Platz haben in unserem Land.

Ostermann: Was können Sie selbst als Migrationsbeauftragte tun, um gegen rassistisch motivierte Gewalt vorzugehen?

Böhmer: Wir werden in Kürze, Mitte Juni, die große Bundeskonferenz haben, zu der ich einlade, an der die Beauftragten der Länder und der Kommunen teilnehmen und wir wollen dort auch diskutieren, wie geht es mit der Weiterentwicklung des Bundesprogramms für Vielfalt und Toleranz voran, denn das eine ist die Polizeipräsenz, der Staat, der eingreifen muss, das andere ist, das was ich eben schon sagte, wir müssen die Jugendlichen verstärkt abholen, wir müssen das zivilgesellschaftliche Engagement stärken, und wir müssen darauf hinweisen, dass dieses eben nicht nur ein Thema ist vor der WM, sondern dass es nachhaltig nach der WM weiter geführt wird.

Ostermann: Ein 20-Jähriger bekam gestern drei Jahre und sechs Monate, weil er in Sachsen-Anhalt mit drei anderen Jugendlichen einen dunkelhäutigen Jungen überfallen hatte. Ist das Strafmaß für rassistisch motivierte Gewalttaten ausreichend oder muss es eventuell verschärft werden?

Böhmer: Also die Strafe muss sofort auf dem Fuße folgen, das scheint mir das Entscheidende zu sein, so dass die Täter genau wissen, dieses bleibt nicht ohne Ahndung, sondern die gesamte Gesellschaft steht dahinter und die strafrechtlichen Regelungen sind entsprechend da, die Gerichte können sie auch ausschöpfen. Und ich glaube, man sollte jetzt nicht einen einzelnen Fall hochstilisieren sozusagen als ein Beispiel, sondern hier geht es darum, in der gesamten Breite gegen Extremismus zu wirken, gegen rechtsradikale Täter vorzugehen, aber genau auch in einem sehr frühen Alter. Wenn Jugendliche mit 12, 13 Jahren angesprochen werden, dort frühzeitig diese Jugendlichen von dem Weg in den Rechtsradikalismus abzuhalten, sie in der Schule, durch die Jugendarbeit, durch politische Bildung eben auf einem anderen Weg zu begleiten. Und ich glaube, das ist ein wesentliches Ziel auch von uns, das eine ist Polizei, das andere sind Gerichte, aber vor allen Dingen kommt es jetzt darauf an, auch gezielt jetzt mit diesen Jugendlichen zu arbeiten.

Ostermann: Maria Böhmer, von der CDU die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge.