Bluttest zum Down-Syndrom verändert Gesellschaft

Florian Steger im Gespräch mit Katrin Heise · 19.04.2012
Ist es Selektion im Mutterleib oder ist es eine risikolose Alternative zur bisherigen Praxis? Der Medizinethiker Florian Steger erläutert Vorteile und Risiken eines neuen Bluttests, mit dem das Down-Syndrom schon zu einem frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft angezeigt werden soll.
Katrin Heise: Familie Schliekmann war das, die sich durch ihren Sohn Janus, der mit dem Down-Syndrom auf die Welt kam, bereichert fühlt. Vorgestellt wurde uns die Familie von Eva Raisig. Ich begrüße jetzt den Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Schönen guten Tag, Florian Steger.

Florian Steger: Ja, grüß Gott.

Heise: Familie Schliekmann ist ja heute schon eine Ausnahme, Herr Steger. 90 Prozent der werdenden Eltern entscheiden sich bei einer Trisomie-21-Diagnose für eine Abtreibung. Mit dem vereinfachten Verfahren, also diesem risikolosen Bluttest, werden Kinder mit Down-Syndrom ja wahrscheinlich kaum noch geboren. Sehen Sie das auch so?

Steger: Ja, das ist genau die Schwierigkeit, die Sie ansprechen, dass eine hohe Anzahl von Eltern sich eben für eine Abtreibung entscheiden und damit natürlich der Druck auch größer wird für all diejenigen, die sich einem solchen Testverfahren auch unterziehen.

Heise: Kritiker nennen das zugespitzt die Lektion im Mutterleib. Aber das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom muss man sich eben auch zutrauen.

Steger: Und eben so ist es auch die Frage, was tatsächlich sich die Eltern und damit ihrem Kind auch zumuten wollen. Sie bilden ja dann eine Familie in einer Gesellschaft, die zwar von sich aus sagt, wir wollen Diversität, wir wollen mit vielen verschiedenen Spielarten des Menschen und der Natur leben, auf der anderen Seite sind es eben genau diese Fragen, die dann Eltern umtreiben: Können wir es uns wirklich vorstellen, ein behindertes Kind großzuziehen? Tun wir dem Kind damit auch einen Gefallen und uns? Und das sind schwierige Fragen, die Selbstbestimmung ansprechen der werdenden Mutter, des werdenden Vaters auch, und hier sind die Eltern gefordert, für sich und ihr werdendes Kind eine sehr gut überlegte Entscheidung zu treffen.

Heise: Das Ganze spricht ja trotzdem eigentlich nicht gegen den Test, was Sie jetzt sagen, weil so ein Test muss ja wahrscheinlich auch eingebunden sein. Befürworter des Tests weisen ja auf dem Fortschritt der Methode hin, denn man muss ja sehen, auch heute wird auf Trisomie 21 getestet, aber eben erst in fortgeschrittener Schwangerschaft und dann eben mit einem erhöhten Risiko, dass beispielsweise bei dem Test ein Fötus, auch ein gesunder Fötus, abgeht. Ist Risikominderung nicht auch im Sinne der Verantwortung für die Bürger?

Steger: Ja, völlig richtig, ich sehe das auch so. Ich bin auch sicherlich kein Gegner dieses Tests, weil wir Fortschritt nicht aufhalten können, das wäre auch unethisch, Fortschritt aufzuhalten, man muss nur die Risiken eben abwägen. Sie haben gerade gesagt, die Fruchtwasserpunktion hat ein Risiko von 1 zu 100, dass Sie hier einen Fötus töten beziehungsweise es zu einem Abort kommt, zu einer Abtreibung kommt, zum Absterben des Föten kommt. Bei dem Bluttest sind derzeit, zumindest was die Trisomie 21 angeht, die Wahrscheinlichkeiten sehr hoch, dass sie eine richtige Aussage treffen, und die Risiken tatsächlich, die mit diesem Bluttest einhergehen, sind bei null. Insofern, muss man natürlich sagen, bietet dieser Bluttest gegenüber anderen Verfahren eine enorme Sicherheit und zugleich auch minimiert er die Risiken, die sonst auftreten, wenn Sie beispielsweise Fruchtwasser punktieren.

Heise: Für wen wären denn diese Tests? Ich kann mir vorstellen, anfangs eben für Risikogruppen, also für ältere Schwangere, irgendwann aber, kann man sich doch vorstellen, wird das ein Standard.

Steger: Also der kommerzielle Anbieter sagt ja jetzt, dass er zum einen erst ab der 12. Schwangerschaftswoche einsetzt, und …

Heise: Möglich soll es angeblich schon nach der zehnten sein, aber in der zehnten eben erst.

Steger: Das ist eben der erste Punkt, dass es technisch wohl auch ab der zehnten möglich ist, ja, und zweitens sagt der, dass es im Grunde genommen nur für Hochrisikogruppen sind. Man darf aber eines nicht vergessen – und da beginnt die Medizinethik –, das sind natürlich alles Steine, die Sie ins Rollen bringen, und die Frage ist, was kommt dann. Erst die 12. Woche, dann die zehnte Woche – erst die Trisomie 21, dann weitere Trisomien, und dann vielleicht ganz andere Erkrankungen, und das sagen Fachleute, gerade hier auch Kolleginnen aus der Genetik prognostizieren das auch, dass Sie mit diesem Verfahren, was technisch sehr ausgereift ist, eine ganze Reihe von Krankheiten detektieren können. Und wenn Sie sich mal vorstellen, wie hochemotional wir diskutiert haben über die Präimplantationsdiagnostik, und wie wenige Menschen das eigentlich betrifft – ein paar Hundert vielleicht –, und wir reden hier aber von Tausenden von Menschen, wenn wir von diesem Bluttest sprechen, der ja teil unserer Routinediagnostik werden könnte, …

Heise: Ja, eben, werden könnte, genau.

Steger: … und das ist eine ganz große Gefahr, die man hier auch sehen muss, und die zum Beispiel in solche Bewertungen mit einfließen muss.

Heise: Im Deutschlandradio Kultur hören sie den Medizinethiker Florian Steger zum Thema: Bluttest kann Trisomie 21 früh anzeigen. Herr Steger, kommen wir doch mal zu den möglichen Folgen für unsere Gesellschaft. Heute gibt es integrative Schulen, Ausbildungsmöglichkeiten und so weiter, die Menschen mit Down-Syndrom ja ein weitgehend selbstständiges Leben ermöglichen können. Wird das eigentlich auch dann noch der Fall sein, wen Down-Syndrom eine zu 100 Prozent vermeidbare Behinderung sein wird, oder müssen Eltern dann damit rechnen, beispielsweise künftig die Kosten selber tragen zu müssen, weil es ja eine private, bewusste Entscheidung war?

Steger: Sie sprechen diesen Punkt an, den ja gerade die Kritiker des Bluttests auch immer jetzt deutlich machen, dass wir eine Gesellschaft frei von bestimmten Krankheitsentitäten werden. Und jetzt wäre das Beispiel eben die Trisomie 21 – wir verändern damit unsere Gesellschaft selbst. Wir Menschen, die wir Verantwortung für unser Zusammensein haben, greifen darin ein, wie unsere Gesellschaft künftig sich darstellen wird. Nun kann ich Ihnen nicht sagen, wie tatsächlich die Gesellschaft sich in 30, 40 Jahren dann darstellt, aber natürlich wird auch das eben auch aus einem Druck heraus auf die werdenden Eltern eine ganz große Herausforderung sein, überhaupt auszuhalten, du lässt dich dieses Bluttests nicht unterziehen, du bist doch schon eine ältere Frau, ihr seid doch ein älteres Ehepaar, das ist doch eine große Gefahr.

Und wenn man dann tatsächlich ein Kind geboren hat, das an dieser Krankheit leidet, dann würden sich auch Fragen stellen, will die Gesellschaft für ein solches Kind aufkommen. Und da kann es sein, dass der Einzelne dann die Konsequenzen auch zu tragen hat für diese Mehrkosten, wenn es denn welche sind überhaupt, ja, für die Betreuung, noch mehr selbst in die Tasche zu greifen, als er das bisher tut.

Heise: Sie haben im Laufe des Gespräches aber gesagt, Sie sind durchaus nicht gegen den Test.

Steger: Das ist auch richtig, das ist sehr richtig erkannt, weil Fortschritt aufzuhalten unethisch wäre.

Heise: Das heißt, Sie wünschen sich eine breite Diskussion.

Steger: Ich wünsche mir eine sehr breite Diskussion, wie wir sie in Präimplantationsdiagnostik auch gehabt haben, und ich wünsche mir vor allem, dass alle versuchen, so unemotional als möglich damit umzugehen.

Heise: Schwierig bei so einem Thema.

Steger: Unheimlich schwierig, aber es hat wenig Sinn, wenn auf der einen Seite die großen Befürworter des biologischen Fortschritts und auf der anderen Seite die Behindertenverbände nur aufeinander losgehen und loshacken, sondern es müssen Argumente ausgetauscht werden. Und es gibt gute Argumente für den Bluttest, beispielsweise eben die Verringerung des Risikos und die hohe prognostische Aussagekraft, und es gibt aber sehr starke Argumente dagegen, eben die Veränderung der Gesellschaft, die dazu führt auch, dass behinderte Menschen nicht mehr diesen Raum bekommen, den sie ja haben sollen, und den ich mir auch persönlich wünsche, dass wir eine diverse Gesellschaft sind und Behinderung auch nicht mehr primär als eine Krankheit ansehen, sondern als ein gemeinsames Miteinander, was eben sehr divers ausfallen kann.

Heise: Sagt Florian Steger, Medizinethiker an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Herr Steger, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

Steger: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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