Blutiges Geschehen in Österreichs Kellern

Josef Hader und Wolfgang Murnberger im Gespräch mit Holger Hettinger · 15.02.2009
"In Österreich gibt es so etwas wie eine Tradition des Nestbeschmutzens", sagt der Drehbuchautor und Regisseur Wolfgang Murnberger. Sein Film "Der Knochenmann" reiht sich da ein, auch wenn er, wie Hauptdarsteller Josef Hader bezeugt, keine Provinzsatire werden sollte. Im Film wird ein Wirt erpresst und der so Genötigte steckt den Erpresser kurzerhand in den Hühnerknochen-Häcksler im Keller.
Holger Hettinger: Darf ich mal was sagen, ja? "Der Knochenmann" ist der Berlinale-Film, der mir bis jetzt am besten gefällt. Es ist ein weiteres Film-Abenteuer des Privatdetektivs Brenner, das dritte insgesamt, und diesmal wird Brenner in die Steiermark geschickt, in eine verranzte Großgaststätte, in der unfassliche Mengen Backhendl verzehrt werden.

Eigentlich soll Brenner nur ein Auto von jemandem zurückfordern, der mit seinen Leasingraten im Rückstand ist, aber schon sehr rasch wird er hineingezogen in eine wilde Geschichte aus Erpressung, Zuhälterei und gierigen Erben. Der Wirt der Gaststätte wird von Zuhältern erpresst, für eine Tat, die sich im Nachhinein als gar nicht so wild herausstellt, und der Sohn des Wirts, ein Lebemann, sieht ganz entsetzt sein Erbe schwinden. Der Wirt versucht, das Problem in den Griff zu bekommen, indem er den Erpresser durch den Hühnerknochen-Häcksler im Keller jagt - daher der Titel. Und der Brenner fängt ein Verhältnis mit der Schwiegertochter des Wirts an, lernt Schlittschuhlaufen und ist am Schluss froh, dass er das nackte Leben hat.

Der Film lebt einerseits von der wilden Geschichte, andererseits aber ganz wesentlich von der Figur des Brenner - die wird verkörpert von Josef Hader, dem bekanntesten Kabarettisten Österreichs - und Josef Hader ist nun hier im Berlinale-Studio von Deutschlandradio Kultur, gemeinsam mit dem Regisseur und Drehbuchautor des Films, Wolfgang Murnberger.

Herr Hader, erklären Sie's einem Piefke wie mir: Was lernt man aus der Figur des Brenner über Österreich?

Josef Hader: Das ist ja ... - das ist ja 'ne Frage!

Holger Hettinger: Ich dachte mir, ich bringe die Klopper gleich am Anfang ...

Josef Hader: (lacht) Nicht schlecht! Man lernt über Österreich anhand der Figur des Brenner, dass diese schlechte Laune, diese raue Schale, die man ja auch als Tourist manchmal erlebt, wenn man in Wien an die falschen Leute gerät, dass das nur eine raue Schale ist und dass dahinter ein wahnsinnig weicher Kern steckt. Es ist eine Einladung an alle Leute, doch ein paar Tage länger in Wien Urlaub zu machen, als sie geplant haben, damit sie irgendwie an die Österreicher herankommen. Wenn man die nur oberflächlich trifft, dann hat man ganz einen schlechten Eindruck, der so gar nicht stimmt.

(Gelächter)

Josef Hader: Der Film wird ja auch gesponsort vom Tourismus-Verband, er zeigt ja auch die Schönheiten der Provinz, es ist ein richtiger Werbe-Heimatfilm ...

Holger Hettinger: ... vor allem dieser Knochen-Häcksler. Das lädt zum Verweilen ein, wie die Tourismus-Leute sagen würden. Das ist nun der dritte Film mit dem Brenner. Wie hat sich denn die Figur entwickelt über die Stationen "Komm, süßer Tod", und "Silentium"?

Josef Hader: Also, sie ist älter geworden. Da kann man gar nichts dagegen tun, denn alle vier Jahre machen wir einen Film. Das sieht man richtig auf der Leinwand, wie man älter wird. Und ich denke mir: es ist noch aussichtsloser geworden für den Brenner, weil am Anfang jedes Films bemerkt man, er ist immer noch nicht weiter gekommen, er hat immer noch diese richtig schlechten Jobs, er hat noch nichts erreicht, und er blickt immer trotziger, immer beleidigter auf diese Welt, weil sie ihm nichts bietet. Und diesmal sieht er seine letzte Chance, noch etwas vom Kuchen abzukriegen, und stürzt sich Hals über Kopf in eine Liebe.

Holger Hettinger: Ist natürlich ein Problem, wenn das Dach des Cabrios vorher wegfliegt - das scheint mir irgendwie sinnbildlich für das Ganze zu sein. Ich habe allen Bekannten versucht, diesen Film schmackhaft zu machen, und bin regelmäßig daran gescheitert, die Handlung einigermaßen packend zu erzählen. Gut, das kann jetzt an mir liegen, aber auch an der ziemlich üppigen Geschichte, da sind ganz viele Stränge und Seitenaspekte miteinander verzwirbelt - liegt das daran, dass mit dem Autor der Romanvorlage, Wolfgang Haas, dem Drehbuchautor Wolfgang Murnberger und Ihnen da gleich drei hochkreative Köpfe ihre Finger im Spiel haben?

Wolfgang Murnberger: Ja, es ist immer unser Bestreben beim Drehbuchschreiben, eine wirklich turbulente Handlung zu erzählen, verschiedene Stränge zu haben. Es ist ja sehr schön im Film, wenn man Parallelhandlungen erzählen kann. Ich bin selber überrascht, obwohl ich den Film ja selber gemacht habe, weil man sich auf eine Geschichte einlässt, und auf einmal kommt ein Bild, und dann sieht man zum Beispiel diese drei Hasen da hängen - und es geht mir dann so, ich denke, es wird beim Publikum ähnlich funktionieren: dass man sich denkt, ach ja, da gibt's ja auch noch eine Geschichte, die weitererzählt werden muss.

Und diesen Effekt, den mag ich unheimlich, das macht auch den Film sehr kurzweilig. Und es sagt ja jeder, dass er ihm nicht wie 120 Minuten vorkommt, sondern wie ein normaler Eineinhalbstundenfilm. Und das ist natürlich ein sehr großes Lob für mich, dass man nicht das Gefühl hat, er ist zu lang - obwohl er wirklich lang ist.

Holger Hettinger: Im "Knochenmann" ist ganz viel drin: diese morbide Wirtshaus-Tristesse, dann dieses Zuhälter-Prostitutions-Milieu, es fliegen Gliedmaßen durch die Gegend, aber dann ist auch noch Platz für eine ganz zarte Liebesgeschichte zwischen Brenner und der Schwiegertochter des Wirts - gab es da so etwas wie eine Rollenverteilung zwischen den drei Autoren?

Josef Hader: Das ist bisher die beste Verteilung, die gefragt wurde. Die Fragen gehen oft einerseits dahin, ob ich nur meine Rolle schreibe, oder ob ich nur Dialoge mache. Sehr schön. Und Sie würden mir das Romantische zuordnen?

Holger Hettinger: Ööööh, ja, was denn sonst?

(Gelächter)

Josef Hader: Im Grunde schreiben wir hintereinander, es ist ein sehr darwinistisches Prinzip, nämlich wenn wir uns mal auf die Geschichte geeinigt haben, dann legt jeder eine Fassung vor, und die anderen zwei fallen über ihn her. Da überleben wenige Ideen.

Holger Hettinger: Und da machen Sie einen Film von 119 Minuten? Allerhand!

Josef Hader: Ja, wir haben viele Fassungen geschrieben, und sind noch immer nicht zerstritten. Und er war schon mal noch länger. Es war halt unser Bestreben, so einen Knödel von verschwitzten Menschen zu haben, wo jeder eine Sehnsucht hat, und jeder will eigentlich geliebt werden, und nur, weil viele verschiedene Menschen diese Liebe gerne hätten in ihrem Leben, passieren furchtbarste Verbrechen. Und der Brenner ist nicht der große Detektiv, der da gegenübersteht, sondern der rutscht da hinein. Und ist auch einer von denen, die da schwitzen und lieben. Dafür war es auch notwendig, diese Filmstränge zu haben.

Wir wollten einen Film machen, so richtig über alle menschlichen Facetten - nicht so einen Film, wo es nur Gute und Böse gibt. Man versteht ja auch den Mörder, man ist mit ihm als Zuschauer, man ist ständig hin und her gerissen, mit wem man sich identifizieren soll: mit dem so genannten Helden oder mit dem so genannten Bösewicht - die sind eigentlich gleich sympathisch, oder?

Holger Hettinger: Der Vorgänger-Film, "Silentium", war eine bitterböse Abrechnung mit der Bigotterie der katholischen Kirche - ich habe mich gefragt, wofür "Der Knochenmann" steht?

Josef Hader: Also, uns war von Anfang klar, wir wollen diesmal keine Satire machen über eine Institution - weil wir uns nicht wiederholen wollten. Es wäre natürlich möglich gewesen, eine Provinzsatire zu machen. Solche Filme gibt's ja auch, da fährt das Filmteam aus der Stadt hinaus aufs Land, und filmt dort die Provinz-Zombies - das Ganze ist dann meist noch politisch unterfüttert in der Art, dass dort nur Faschisten leben. Das war uns zu einfach.

Holger Hettinger: Diese Stadt-Land-Geschichte hat bei mir schon funktioniert, allerdings habe ich das auf die liebevolle Tour aufgefasst. Der Film soll laut Presseinfo ein "Austro-Fargo" sein - Herr Murnberger, wieso das, es kotzt doch niemand?!?

Wolfgang Murnberger: Ich weiß gar nicht, von wem dieses Zitat ist - ich glaube, das hat ein deutscher Journalist erfunden ...

Holger Hettinger: ... schon wieder die Piefkes ...

Wolfgang Murnberger: ... aber dieser Vergleich ehrt uns, weil wir alle die Filme der Cohen-Brüder schätzen. Und ohne die Cohen-Brüder kopieren zu wollen: es gibt eine Seelenverwandtschaft, wie man mit dem schwarzen Humor umgeht.

Holger Hettinger: Herr Hader, hat sich durch diesen Film Ihre Einstellung zum Backhendl verändert?

Josef Hader: Nein - ich musste ja nicht jemanden spielen, dem das schmeckt. Der Brenner mag die ja nicht, und deshalb musste ich ja nicht so viel davon essen während der Dreharbeiten - ich bin da völlig unbelastet.

Holger Hettinger: Die Vorstellung, dass da ab und zu ein Finger drin sein könnte, fand ich nicht sonderlich beruhigend ...

Josef Hader: Das ist ja auch bei McDonald's so, dass da schon mal eine Maus drin war - hat man schon gehört in der Vergangenheit. Ist schon einige Jahre her, muss man dazusagen - bevor ich verklagt werde.

Holger Hettinger: Wie ist das mit diesen Brenner-Filmen - es ist mittlerweile der dritte. In Deutschland werden die sehr gemocht, weil es so schrill ist, so schräg, so abgedreht, weil es so viele folkloristische Elemente hat. Werden diese Filme in Österreich anders wahrgenommen als in Deutschland?

Josef Hader: Wir warten schon auf die Wiener Premiere, und man kann jetzt schon sagen, dass der Film weniger begeistert aufgenommen wird als in Berlin. Aber das hat weniger mit der Mentalität zu tun als damit, dass in Wien viele Kollegen drinsitzen, die nicht zu laut lachen wollen. Aber ansonsten denke ich mal, dass die Reaktionen nicht zu unterschiedlich sein werden.

Holger Hettinger: Tatsächlich, Herr Murnberger?

Wolfgang Murnberger: Was mir aufgefallen ist: In Österreich gibt es so etwas wie eine Tradition des Nestbeschmutzens - was wir ja auch ein wenig machen, wenn wir über die Salzburger Festspiele herziehen. Und das wird durchaus als Satire angenommen, man wird nicht angefeindet deswegen. Ich war ja in Frankreich, beim Kinostart von "Silentium", und jeder Reporter dort hat mir gesagt, es gäbe keinen französischen Regisseur, der so einen bösen Film über eine solche Institution in Frankreich machen würde, die so berühmt ist. Also, das würde niemand in Frankreich machen.

Josef Hader: Ich glaube aber, dass die Franzosen einige Dinge ernst genommen haben, die wir eigentlich gar nicht ernst gemeint haben. Wir wollten ein böses Märchen erzählen, und wollten nicht irgendetwas sozialkritisches machen, oder die katholische Kirche dazu bringen, sich zu verändern, oder was weiß ich - doch in Frankreich gingen alle Fragen immer in diese Richtung. Die sahen das als Sozialkritik.

Wolfgang Murnberger: Ja, ist es ja teilweise auch, aber nicht so in einer Unerbittlichkeit. Um mit Hitchcock zu sprechen: Diese Filme sind nicht Brot, sondern Kuchen.

Josef Hader: Und da kann man nicht daherkommen und sagen: Wir machen großartige Sozialkritik. Natürlich, der "Knochenmann" handelt von einem Mann in Österreich, der in seinem Keller furchtbare Dinge anstellt, da könnte man jetzt sofort sagen, ja ...

Josef Hader: ... was ist alles passiert in Österreich im letzte Jahr.

Wolfgang Murnberger: ... in Österreichs Kellern!

Josef Hader: ... ja, in Österreichs Kellern, und welche gesellschaftlichen Ereignisse dort stattfinden. Ich finde mit Sozialkritik ist es ein bisschen so wie mit Männern, wenn sie über Frauen reden: die, die das so vor sich hertragen, sie wären so furchtbar sozialkritisch, oder erfolgreich bei Frauen, die sind das oft gar nicht. Das macht man einfach und redet nicht groß drüber.

Holger Hettinger: Ich fühle mich getroffen und möchte das nicht weiter vertiefen.

(Gelächter)

Holger Hettinger: Vielen Dank, die Herren! Josef Hader und Wolfgang Murnberger hier im Berlinale-Studio von Deutschlandradio Kultur. "Der Knochenmann" ist der Titel ihres Films, mit dem sie sich hier bei der Berlinale beteiligen. Ich danke sehr fürs Kommen!
Schauspieler Josef Hader auf der Berlinale
Schauspieler Josef Hader auf der Berlinale© AP