Bittere Pointe der Globalisierung

Von Moritz Holfelder · 12.03.2007
1984 stellte das Zündapp-Werk in München seinen Betrieb ein. Der gesamte Maschinenpark wurde nach China verkauft. Vor ziemlich genau 20 Jahren hieß es dann "Die Chinesen kommen". Der bayerische Regisseur Manfred Stelzer hatte nach einem Drehbuch von Ulrich Enzensberger diese Demontage einer ganzen Fabrik als Spielfilm inszeniert - im April 1987 kam er in die deutschen Kinos.
Scheinbar ist alles beim Alten. Die Chinesen kommen immer noch nach Deutschland und kaufen ganze Fabriken auf. Sie beschriften jedes Teil mit rätselhaften Zeichen, verschiffen alles und bauen es in Fernost wieder zusammen. Und doch hat sich etwas verändert: Kamen die Chinesen früher, um alte Produktionsstraßen zu demontieren, so nehmen sie mittlerweile modernste Technik mit.

"Unser Unternehmen baut die Kokerei ab", erklärt der chinesische Delegationsleiter, "wenn sie wieder in China steht, haben wir eine großartige technische Modernisierung vollzogen."

"Losers and Winners" heißt der Dokumentarfilm von Ulrike Franke und Michael Loeken. Eineinhalb Jahre lang haben die beiden Filmemacher die Demontage der Dortmunder Kokerei Kaiserstuhl begleitet.

Dabei hatte der Konzern Deutsche Steinkohle ursprünglich große Pläne gehabt, als das Werk nach fünfjähriger Bauzeit 1992 in Betrieb genommen wurde. Die 650 Millionen Euro teure Anlage galt weltweit als die modernste ihrer Art und sollte das benachbarte Stahlwerk der damaligen Hoesch AG für viele Jahre mit Koks versorgen - gemäß eines langfristigen Vertrags, der vorsah, dass deutsche Stahlwerke deutschen Koks kauften. Als der Vertrag jedoch 1999 auslief und Hoesch vom Krupp-Konzern geschluckt wurde, steuerte die deutsche Stahlindustrie um: Fortan bezog man Koks aus China und Polen - fünfzehn Euro pro Tonne billiger.

Anfang 2003 verkaufte man den Komplex nach nur acht Jahren Betriebszeit an einen chinesischen Zwischenhändler, die Rede war von 30 Millionen Euro. Im Dortmunder Norden entstand für knapp zwei Jahre ein neuer Mikrokosmos, eine seltsame China Town - dynamisch und effektiv. Für rund 400 chinesische Arbeiter wurde ein Wohncontainerdorf errichtet - mit Aufenthaltsräumen inklusive Satellitenschüsseln fürs Heimatfernsehen und eigener Großküche mit Riesenwoks.

"Losers and Winners": Desillusionierte Deutschen treffen auf hoch motivierte Chinesen. Das ist deutsche Gründlichkeit kontra fernöstliche Improvisation, Individualität kontra Loyalität, Vergangenheit kontra Zukunft. Die Chinesen sind nach Dortmund gekommen, um Etwas zu erschaffen, sich nämlich ein Werk zu holen, das sie in technischer Hinsicht um Jahrzehnte voranbringen und ihre Zukunft sichern soll. Die Deutschen dagegen sind an einem destruktiven Prozess beteiligt - sie müssen helfen, ihren eigenen Arbeitsplatz zu demontieren.

Für die einen ist der Abbau ein Schritt in die Zukunft, während die anderen etwas verlieren, von dem sie immer glaubten, es sei ihre Zukunft. Ein paar deutsche Arbeiter helfen den rund 400 Chinesen, aber es kommt zu Missverständnissen, auch zu kleineren Unfällen:

Ein chinesischer Vorarbeiter sagt: "Mao lehrt uns, dass bei der Revolution immer ein paar Opfer auf der Strecke bleiben."

Heute Abend feierte der Film in Dortmund seine Premiere. Das, was in "Losers and Winners" zu sehen ist, erlebt man dort nach wie vor mit sehr gemischten Gefühlen. Natürlich haben die Chinesen es geschafft, das Werk in China wieder aufzubauen. Immer noch will man in Deutschland nicht wahr haben, dass die Menschen in scheinbar unterentwickelten Ländern sich längst aufgemacht haben, sich das zu holen, was auch ihnen zusteht.

In dem Film von Ulrike Franke und Michael Loeken treffen hoch motivierte Menschen aus einem Niedriglohnland auf finanziell abgesicherte, aber perspektivlose Arbeiter einer Industrienation. Deren einstige Quelle von Macht und Wohlstand installieren die anderen kurzerhand bei sich zu Hause in China.

Wie sich im Nachhinein herausstellte, waren die wirtschaftlichen Prognosen aus deutscher Sicht falsch und der Verkauf der Kokerei ein großer Fehler: Inzwischen herrscht auf dem Weltmarkt ein enormer Mehrbedarf an Koks, nicht zuletzt durch die boomende Wirtschaft in China selbst. Der Preis pro Tonne Koks stieg in den Jahren nach der Stilllegung der Kokerei Kaiserstuhl von 30 auf 550 Dollar pro Tonne. Es ist als hätte die Globalisierung einen bitteren Sinn für Ironie und sich ausgerechnet Dortmund-Mitte für eine vernichtende Pointe ausgesucht.

Auch wenn die beiden Filmemacher ihren Film nicht als Globalisierungskritik missverstanden sehen wollen, sondern betonen, ihnen sei es darum gegangen, von den Emotionen der Menschen und ihren Geschichten zu erzählen, ist "Losers and Winners" doch auch eine furiose Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen und kulturellen Umwälzungen auf unserem Planeten. Ein großartiger Film, der - obwohl mehrfach preisgekrönt - leider bisher nur vereinzelt in deutsche Kinos kommt. Schade - denn selten wurden kulturelle Unterschiede auf ein so menschliches Maß gebrochen wie hier.