Bitterböse Komödie

Witzfiguren des Kapitalismus

Die Schauspieler Devid Striesow (r) und Sebastian Blomberg in einer Szene des Films "Zeit der Kannibalen".
Die Schauspieler Devid Striesow (r) und Sebastian Blomberg in einer Szene des Films "Zeit der Kannibalen". © dpa / picture alliance / Farbfilm
Moderation: Susanne Burg · 18.05.2014
In "Zeit der Kannibalen" wird der Berufsstand der Unternehmensberater gnadenlos vorgeführt. Überheblichkeit sei in diesem Job "eine Berufsvoraussetzung", sagt Drehbuchautor Stefan Weigl. Wer sich "mit der Außenwelt auseinandersetzt, könnte diese Arbeit nicht machen".
Susanne Burg: Und nun ist derjenige, der die Dialoge verzapft hat, für uns im Studio in München, der Drehbuchautor Stefan Weigl. Hallo!
Stefan Weigl: Ja, hallo!
Burg: Ja, sehen Sie sich denn auch als radikalen und anarchistischen Autor?
Weigl: Das würde ich jetzt so unterschreiben, ja.
Burg: Ist es für Sie ein Kompliment?
Weigl: Das ist ein Kompliment, ja.
Burg: Wie würden Sie sich denn selber als anarchistischen Autor beschreiben, was macht die Anarchie aus?
Weigl: Erstens mal, Anarchie heißt, dass ich kein Bekenntnisstück geschrieben habe, sondern auch beim Schreiben anarchistisch bin und gucke, wohin mich das führt, und ich versuche mich mit den Tätern auseinanderzusetzen und nicht mit den Opfern, um die nicht noch ein zweites Mal auszubeuten.
Burg: Ja, diese Täter, diese Charaktere sind ja wirklich grotesk überzeichnet. Die Dialoge, die die führen, sind teilweise absurd. Lässt sich eigentlich nur so übers Groteske, noch über diesen entfesselten Kapitalismus reden, über den ja sonst schon so viel gesagt wurde?
Weigl: Ja, ich finde schon, es gibt einfach ein Haufen ganz toller Dokumentationen über diese Leute oder über die Zustände, und ich habe eine ganz andere Herangehensweise gewählt, nämlich eine satirische, humoristische. Also mir fällt es einfach leichter, so zu schreiben. Das gibt mir einfach die nötige Distanz auf der einen Seite, und ich bin ja auch Konsument und ich sehe so was einfach lieber, ehrlich gesagt. Der Film soll ja auch Spaß machen.
Burg: Da sind natürlich ganz böse Charaktere – haben Sie auch noch eine gewisse Sympathie trotzdem für Ihre Figuren?
Weigl: Ja, absolut. Ich hab auch versucht, die menschlich zu zeigen. Ich wollte nicht, dass das einfach so reine Charaktermasken sind. Ich wollte das nicht kabarettistisch angehen, ganz verkürzt, sondern ich wollte die als echte Menschen zeigen.
Burg: Diese Figuren haben ja teilweise absurd-neurotische Angewohnheiten, also Kai Niederländer, gespielt von Sebastian Blomberg, zum Beispiel, hasst Begrüßungsschokolade auf seinem Kopfkissen, und er trainiert, seinen Koffer immer schneller zu packen, damit er im Notfall auch innerhalb von 37 Sekunden das Hotel verlassen kann. Wie absurd durften diese Ticks werden und wie wichtig waren solche neurotischen Details fürs große Ganze?
Weigl: Die dürfen so neurotisch sein, wie sie wollen. Ich finde das auch gar nicht so schlimm, ich hab auch so kleine Neurosen. Ich verrate jetzt nicht welche, aber ...
Burg: Ich frag Sie auch höflicherweise nicht danach.
Weigl: ... die konnte ich benutzen. Es gibt eigentlich keine Grenze nach oben in puncto Absurdität und Neurosentum bei den Figuren.
Burg: Und wie wichtig waren die jetzt fürs große Ganze, für diese ja auch sehr hermetisch abgeschlossene Welt dieses Luxushotels, indem es eben so um entfesselten Raubtierkapitalismus geht?
Weigl: Ja, die waren schon wichtig, einfach um zu zeigen, was diese Arbeit aus den Leuten macht. Es sind so kleine Hinweise auf den Typus und auf, dass man so was einfach nicht ungestraft macht, so eine Arbeit.
Burg: Die drei haben ja eigentlich jegliche Bodenhaftung verloren. Sie verlassen das Hotel nicht, weil es draußen zu real für sie ist, zu warm, zu viele Krankheiten et cetera. Sie selber, Herr Weigl, Sie waren mal Werbetexter für eine Bank. Wie ähnlich sind sich diese beiden Welten – Unternehmensberatung und Bank? Haben Sie diesen Verlust an Bodenhaftung auch bei Bankern so empfunden?
Berater und Banker müssen "permanent 120 Prozent geben"
Weigl: Ich würde fast sagen, das ist eine Berufsvoraussetzung. Es geht einfach nicht, dass man sich permanent mit der Außenwelt auseinandersetzt, sonst könnte man diese Arbeit einfach nicht machen. Sie ist zu fordernd. Man muss permanent 120 Prozent geben. Es geht nicht, dass man sich auseinandersetzen würde mit den Folgen, mit den Konsequenzen für die Gesellschaft, für die Menschen – dann könnte man so einen Job nicht machen. Diese Unternehmensberater identifizieren sich einfach zu 100 Prozent mit ihren Auftraggebern.
Burg: Im Film heißt der nur "The Company".
Weigl: "The Company" – und die bringen keine, nicht für fünf Pfennig oder Cent Empathie für die Menschen auf. Das ist einfach deren Jobprofil.
Burg: Insofern war es auch wichtig wahrscheinlich, dass Sie diesen Film in dieser hermetisch abgeschlossenen Welt dieses einen Hotels haben spielen lassen.
Weigl: Ja, das war auch die Grundidee, das hat mich auch so fasziniert, dass die wie so Astronauten in einer Raumkapsel den Planeten umkreisen, so ein Gefühl wollte ich auch vermitteln.
Burg: Stefan Weigl, der Drehbuchautor des neuen Films "Die Zeit der Kannibalen" ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Weigl, ich finde ja die Dialoge für deutsche Drehbücher sehr ungewöhnlich. Die Dialoge haben ein unglaubliches Tempo, große Brutalität und auch so in alle ihrem Zynismus - vor allem sitzen die Pointen! Wie stark hat Ihnen dabei Ihre Erfahrung als Werbetexter geholfen?
Weigl: Ja, ich würde mal sagen 49 Prozent. Also das Tempo, was man in dem Film findet, das ist so ... so geht's eigentlich auch in Agenturen zu. Das ist ein ungeheures Tempo und wahnsinniger Druck, und das ist so ein bisschen das, was ich abbilden wollte in dem Film auch. Der Witz kommt eher aus der Absurdität und aus der Geschwindigkeit.
Burg: Ja, also ich persönlich dachte ja so bei manchem Schlagabtausch zwischen den Figuren, dass es fast so was ist wie das deutsche Äquivalent eines Martial-Arts-Films aus Hongkong, also der durchchoreografierte Kampf mit Worten. Wie stark sehen Sie den Kampf mit Worten denn auch als Sport an?
Weigl: Das ist ein absoluter Sport. Das dient dazu, sich abzugrenzen, sich selber hochzupuschen, sich zu bestätigen, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört – das ist wahnsinnig wichtig.
Burg: Also ich dachte auch so manchmal, wahrscheinlich in anderen Filmen, Actionfilmen würden die schießen, das ist doch im Grunde genommen dann für einen Drehbuchautor der Traum, dass man all das ausleben kann mit Worten.
Weigl: Ja, das stimmt. Ich hab auch selber lange Zeit geboxt und Kickboxen gemacht, und vielleicht ist das die Sublimation dessen.
Burg: Tja, sonst müssten Sie vielleicht auch selber mitspielen in dem Film... Sie machen auch Hörspiele, und man kann sich das Ganze auch gut als Hörspiel vorstellen. Wenn man so dermaßen von der Sprache und dem Akustischen kommt, wie schwer ist dann beim Schreiben, auch immer das Bild mitzudenken?
Für zynische Dialoge "hab ich eigentlich nur Zuspruch bekommen"
Weigl: Ja, das war eine ziemliche Herausforderung, und da hab ich einfach wahnsinnig gute Partner gehabt. Den Johannes Naber als Regisseur, die Milena Maitz, die Produzentin – da gab's also Diskussionen darüber, und die haben mir da sehr geholfen.
Burg: Können Sie mal ein Beispiel geben, wo dann ein Regisseur, der vom Visuellen kommt, Ihnen gesagt hat, ah, na ja, hier vielleicht ein bisschen anders?
Weigl: Ich weiß gar nicht, ob das jetzt so visuell ist, aber das ist ... dramaturgisch hab ich unheimlich von ihm profitiert. Es gibt so eine Szene, wo Niederländer sagt, er ist bei den Grünen, und Bianca März sagt, sie ist auch bei den Grünen. Die funktioniert jetzt so im Film wahnsinnig gut, wie ich bei der Vorführung schon gesehen habe. Ich hatte diesen Grünen-Gag in der ersten Fassung schon ein paar mal vorher benutzt, und ich hab gemerkt, auf Rat von Johannes hin, weniger ist mehr. Also weil es jetzt nur einmal erwähnt wird, hat es eine wahnsinnige Kraft, man merkt auch, wie die Leute da mitgehen im Kino, und, na ja, es war gut, dass er mir geraten hat, das an den anderen Stellen rauszustreichen. Man träumt natürlich davon immer, dass alles da drin bleibt, das geht nicht natürlich nicht. Der Film ist jetzt auch in einer genau richtigen Länge, wie ich finde, und er ist so knapp und schnell geworden und lustig geworden, wie ich mir das eigentlich gewünscht habe.
Burg: Der ist ja in Zusammenarbeit mit dem WDR, arte und dem BR entstanden ...
Weigl: Ja.
Burg: ... ich hab mich gefragt, war denen das Drehbuch nicht an manchen Stellen zu menschenfeindlich, zynisch, grotesk?
Weigl: Also ich muss sagen, da hab ich eigentlich nur Zuspruch bekommen. Die fanden die Sprache total außergewöhnlich – jetzt hab ich mich selber gelobt. Also da gab's super Feedback von den Redakteuren, man hat ja da immer so Gruselvorstellungen im Kopf, was einem da vielleicht dann rausgestrichen wird, aber das war hier überhaupt nicht der Fall. Vielleicht auch, weil es okay war, weil eben von den Tätern gesprochen wird. Also das macht es fürs Publikum auch, glaube ich, leicht, da eine Distanz zu finden.
Burg: Stefan Weigl, der Drehbuchautor von "Die Zeit der Kannibalen". Der Film in der Regie von Johannes Naber kommt am Donnerstag in die Kinos. Ihnen, Herr Weigl, vielen Dank fürs Gespräch!
Weigl: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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