Biotechnologiefirmen in Brandenburg

Hightech aus der Märkischen Streusandbüchse

Die Medizintechnik-Firma Miethke produziert in Brandenburg in liefert in alle Welt.
Die Medizintechnik-Firma Miethke produziert in Brandenburg in liefert in alle Welt. © Jan Pauls Fotografie
Von Vanja Budde · 13.04.2018
In Brandenburg gibt es nur Kiefern und Wölfe? Weit gefehlt: Vor allem der Speckgürtel rund um Berlin ist einer der bedeutendsten Biotechnologie-Standorte Europas. Knapp 200 Biotech-Firmen und Pharma-Unternehmen sind in der Region ansässig.
Die neurochirurgischen Implantate werden in einer umgebauten Reithalle aus dem 19. Jahrhundert am Stadtrand von Potsdam hergestellt. Es ist schon der dritte Standort in Brandenburgs Landeshauptstadt: Die Medizintechnik-Firma Miethke wächst stetig. Ein schlanker junger Mann steht an einem Tisch, darauf ein Mikroskop. Er beugt sich konzentriert über ein kleines weißes Plastiksieb. Darin liegen winzige Teile, kleiner als Stecknadelköpfe, die er mit einer Pinzette aussortiert.
"Sie können ja mal gucken: An manchen Teilen wickeln sich Späne rum. Sieht man wahrscheinlich nicht, ne? Da sind ganz kleine Späne und die drücken sich drauf auf die Teile. Und das ist Ausschuss."
Qualitätskontrolle wird groß geschrieben bei Miethke, das muss es auch, denn aus den winzigen Teilen wird später ein Ventil, aus silbernem Titan und daumennagelgroß. Neurochirurgen in aller Welt implantieren im Jahr 24.000 Miethke-Ventile ihren Patienten hinter das Ohr unter die Kopfhaut. Über einen Katheter wird so bei Menschen, die am Hydrozephalus leiden, überschüssiges Hirnwasser abgeleitet, erklärt Eva Riek-Brand von der Marketingabteilung.
"Denn hat man zu viel Hirnwasser im Kopf, führt das zu furchtbaren Symptomen und Ausfallerscheinungen. Das Gehirn wird, vereinfacht gesagt, zusammengepresst und es gibt natürlich irreversible Hirnschäden."
Solche Ventillösungen stellen auch andere Unternehmen her, die Giganten Medtronic und Codman zum Beispiel. Doch Firmengründer Christoph Miethke hatte Anfang der 90er-Jahre eine Idee:
"Wenn der Patient steht, muss ein Ventil anders funktionieren als im Liegen. Das haben die anderen im Wesentlichen ignoriert. Mit diesem Gedanken, im Stehen, im Liegen unterschiedliche Ventile zu haben, die sich automatisch mit der Haltung immer anpassen, haben wir es geschafft, dass wir in Deutschland definitiv Marktführer sind. Und wir sind in vielen, vielen Märkten sehr dynamisch am Wachsen, einfach aufgrund dieser Erkenntnis."

Das Unternehmen will Weltmarktführer werden

Miethke hat mit zwei Mitarbeitern angefangen, heute sind es 170. Er macht 14 Millionen Euro Jahresumsatz, bekleidet Rang drei im Weltmarkt, doch damit nicht genug: Miethke will an die Spitze.
"Wissenschaft ist nicht der Gegner von Marketingambitionen."
Für seine neuartige Gravitationstechnik und ihre Weiterentwicklung hat der in Krefeld geborene Christoph Miethke schon zwei Mal den Brandenburger Innovationspreis bekommen. Mit 18 wollte er noch Töpfer oder Glasbläser werden, dann Arzt. Weil dafür aber seine Abiturnote zu schlecht war, hat er Medizintechnik studiert. Das passte ja auch ganz gut zu dem Tüftler.
"Ich komme aus einer Familie mit vielen Kindern. Wir waren sieben Kinder, da ging mir das auf den Keks, dass bei uns lauter kaputte Fahrräder standen. Und einen Nachmittag habe ich alle Fahrräder repariert, weil ich das einfach nicht mehr wollte, dass die kaputt waren."
Zu verstehen, was Medizintechnik im menschlichen Körper ausrichten kann, wo da die Grenzen sind, das ist für den schlanken 57-Jährigen spannender als Raumfahrt. Mit seiner neu gegründeten Firma ging er in den Osten, weil das Bedingung war: Nach der Wende wurden Gründungen in den neuen Bundesländern zu 85 Prozent gefördert. Für den Standort Potsdam sprach die Nähe zu Berlin mit seinen zwei Flughäfen und der Uniklinik Charité. In Brandenburg hat Miethke sich auf Anhieb gut aufgehoben gefühlt: Wer hier durchstarten wolle, sei willkommen, das betont auch Wissenschaftsministerin Martina Münch.
"Wir bemühen uns sehr intensiv gemeinsam mit den Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium, hier möglichst passgerecht und möglichst schnell zu fördern, gerade auch junge Unternehmen, Unternehmensgründungen zu unterstützen. Wir unterstützen das seitens der Hochschulen auch, dass dort Ausgründungen ermöglicht werden."
Denn die SPD-Politikerin und früheren Ärztin will Forschung und Entwicklung mehr miteinander verzahnen. Stichwort Transfer:
"Dahinter verbirgt sich, dass wir wollen, dass die Hochschulen, aber auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, dass sie in der Region auch wirksam werden. Dass das, was dort geforscht wird, in einen Bezug gesetzt wird zu dem, was im Land und im Umfeld auch gebraucht wird."

Wissenschaft und Innovation sollen die Region voranbringen

Wie Entwicklungen für die medizinische Versorgung von schwach bevölkerten Regionen oder auch in der Medizin des Alterns. Hier greift die sogenannte "rote" Biotechnologie mit ihren medizintechnischen Anwendungen. Damit beschäftigen sich fast 80 Prozent der etwa 100 Biotec-Firmen in Brandenburg mit ihren rund 5300 Beschäftigten. Soll die einst geschmähte "Märkische Streusandbüchse" also zum modernen Forschungsstandort werden?
"Unbedingt! Wissenschaft und Innovation sind die Zukunftsthemen, und sie bringen unsere Region voran. Das gilt gerade für Regionen wie die Lausitz, die vom Strukturwandel betroffen ist. Gerade da ist es besonders wichtig, auf Zukunftsthemen zu setzen. Und die entstehen in der Forschung, in der Wissenschaft, in dem, was die klugen Leute in ihren Köpfen haben und vorantreiben. Und das wollen wir unterstützen."
Dazu gehört auch, mit Hilfe der Universitäten Fachpersonal bereit zu stellen. Die Firma Miethke bildet zurzeit noch viele Mitarbeiter selber aus, erklärt Eva Riek-Brand.
"In der Produktion werden die Leute jeweils spezifisch angelernt, weil es dieses Berufsbild als solches nicht auf dem Markt gibt, weil es was ganz Spezifisches ist. Aber es braucht eben die Feinmotorik dazu, um dann die Montagen gut abzuschließen."
Das Unternehmen beschäftigt Uhrmacher, Zahntechniker und auch eine Schneiderin mit ruhiger Hand, Zerspanungsmechaniker, wie heute die Dreher und Fräser heißen, und Feinmechaniker wie Jochen Scholz: In der Produktionshalle beobachtet er, wie eine computerprogrammierte Maschine aus meterlangen silbernen Titan-Stangen daumennagelgroße Bestandteile künftiger Ventile fräst.
"Wir haben ja Genauigkeiten bis zu 10 My, also Toleranzen von 10 My. Da immer drinzubleiben, ist eigentlich die größte Herausforderung."
Ein paar Meter weiter sitzen große, kräftige Männer an Laser-Schweiß-Maschinen und stellen Ventilfedern her, kleiner als ein Fingernagel. Mit Händen, so groß wie Topfdeckel, befestigen sie unterm Mikroskop behutsam Drähte an den Federn, die dünner sind als ein Menschenhaar.
"Präzision ist bei uns das A und O. Weil später im Reinraum pressen wir die Teile. Die Teile müssen einfach präzise ineinander passen."
Schließlich geht es um die Lebensqualität von Menschen, die am Hydrozephalus leiden. Wenn da ein Fehler passiert, kann das schlimme Auswirkungen haben. Ein offener Umgang mit Fehlern und die gemeinsame Suche nach Lösungen gehörten darum zur Unternehmenskultur, sagt Gründer Christoph Miethke.
"Ich bin ganz stark davon überzeugt, ich glaube, das können wir hier für alle Leute sagen, dass wir einen wesentlichen Beitrag leisten, den Therapieerfolg des Hydrozephalus systematisch zu verbessern."
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