Biotechnologiefirmen in Brandenburg (2)

Von der Gravitationsphysik bis zur Biotechnologie

Ein Blick in das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam
Ein Blick in das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam © Till Budde
Von Vanja Budde · 30.05.2018
In Brandenburg gibt es nur Kiefern und Wölfe? Weit gefehlt: Rund um Berlin ist einer der bedeutendsten Biotechnologie-Standorte Europas entstanden. Heute stellen wir das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung in Potsdam vor.
Biochemikerin Maren Wandrey führt in die Brutkammer des Institutes: Große silberne Edelstahl-Bottiche stehen hier, ähnlich einer Whiskey-Destillerie. Doch hier werden keine edlen Schnäpse gebrannt, sondern Moleküle gepäppelt.
"Das ist unser Biotechnikum. Wir haben hier verschiedene Bioreaktoren, die wir brauchen, um unsere biologischen Bausteine herzustellen, mittels Fermentation. Wir können hier sogenannte Escherichia coli, das sind Bakterienzellen, kultivieren, die man verwendet, um Enzyme herzustellen, Proteine oder auch biologische Bausteine für die Materialien."
Die 100 Liter fassende Fütterungsfabrik ist softwaregesteuert. Ein Behälter zum Sterilisieren steht hier, überall Schläuche und Messgeräte.
"Die wollen halt einen bestimmten Nährstoffgehalt und Sauerstoff und dafür sind die ganzen Leitungen. Da kann man das vollautomatisiert zudosieren und kann auch viele Behälter gleichzeitig betreiben."
In den Laboren herrscht Sicherheitsstufe eins: Wir müssen keine Schutzkleidung anziehen und auch nicht das Mikrofon sterilisieren, von hier geht keine Gefahr für Mensch und Umwelt aus.
Maren Wandrey hat an der Universität Potsdam studiert, am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie promoviert. Am Fraunhofer-Institut leitet sie die Abteilung "Biologische Bausteine und Bioprozessentwicklung". Maren Wandrey und ihre Kollegen versuchen Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.
"Das ist ein Hauptgedanke, ja, dass wir versuchen, nach und nach das Erdöl zu ersetzen, dass wir biobasierte Bausteine entwickeln, die man verwenden kann, um die Materialien so, wie wir sie jetzt kennen, herzustellen, dass wir also nicht mehr die Komponenten aus dem Erdöl nehmen, sondern aus der Biomasse, aus der pflanzlichen Biomasse."
An der Wand hängen weiße Kittel und Schutzbrillen, aus den Laborfenstern blickt man auf Kuhweiden: 50 Hektar Wissenschaftspark wurden auf die grüne Wiese gestellt. In Golm wird internationale Spitzenforschung betrieben, von der Gravitationsphysik bis zur Biotechnologie. Die Universität Potsdam hat hier die Mathematisch-Naturwissenschaftliche und die Humanwissenschaftliche Fakultät angesiedelt.
Im ersten Stock hat Alexander Böker sein Büro: Seit 2015 Leiter des Fraunhofer-Instituts und Professor für Polymertechnologie an der Universität Potsdam. Böker ist von der RWTH Aachen in den Osten gewechselt. Polymere, erklärt er, das sind sehr lange Moleküle, wie eine Perlenkette chemisch aneinandergehängt - für seine 250 Mitarbeiter schlicht ein "Baukasten".
"Einer der am meisten benutzten Kunststoffe oder Polymere ist zum Beispiel Polyethylen. Das ist nichts anderes, als eine riesig lange Kette mit vielen Kohlenstoffatomen und Wasserstoffatomen."
Die hochkomplizierte Kunst ist nun, den Polymeren Eigenschaften zu verleihen, die in der Industrie gebraucht werden: Faserverstärkte Kunststoffe, ohne die ein Airbus zu schwer zum Fliegen wäre; Fasern und Folien für Windräder oder für die Karosserien von Elektroautos; Textilien, die Schweiß nach außen transportieren, im Dunkeln leuchten und eigenständig Energie erzeugen; Kunststoffe, die abbaubar sind, weil sie aus biologischen Ressourcen gewonnen werden, zum Beispiel aus Zellulose.
"Dementsprechend ist es auch wichtig: Wie lange wird ein Kunststoff benutzt, bevor er sich abbauen darf? Sie möchten ja keine Wasserflasche haben, die, nachdem sie zwei Wochen im Supermarkt gestanden hat, schon erste Auflösungserscheinungen zeigt, weil sie eben fantastisch bioabbaubar ist. Das heißt also, man muss sich ganz genau überlegen: Wofür ist der Kunststoff gedacht, was ist sein Anwendungsspektrum und in welcher Umgebung würde er sich dann wieder abbauen? Und das ist ein hochkomplexes Thema."
Die Wissenschaftler können Proteine herstellen, die wasserabweisend sind, die Bakterien abtöten oder verhindern, dass Bakterien überhaupt auf einer Oberfläche wachsen möchten, erklärt Alexander Böker. Die Begeisterung liegt in der Familie: Schon sein Großvater war Chemiker bei der Höchst AG.
"Selbst wenn es jetzt noch 50 oder 70 Jahre dauert, irgendwann sind ja die Erdölressourcen dann doch weitestgehend aufgebraucht, die Preise werden steigen, und spätestens dann ist die Stunde der Kunststoffe aus den nachwachsenden Rohstoffen gekommen. Bis dahin hat man eben Zeit, die so fit zu machen, dass sie eben den Anforderungsprofilen entsprechen."

"Standort Golm entwickelt sich sehr dynamisch"

Das Fitness-Center liegt unten im Erdgeschoss: Drei Labore, auf deren großen Arbeitsflächen in der Mitte der Räume Dutzende Plastikgefäße stehen, Gläser und Pipetten. Zentrifugen stehen bereit und ein Mikrotiterplattenleser.
"Damit kann man viele Proben gleichzeitig analysieren, und hier drin ist ein optischer Scanner, der jede Probe einzeln abscannt."
Maren Wandrey und ihr Team arbeiten zurzeit zusammen mit Industriepartnern an einer neuartigen schmutzabweisenden Beschichtung: biologische Moleküle statt Fluorkarbon.
"Weil, diese Fluorkarbon-Verbindungen sind giftig, die akkumulieren in der Umwelt, und man will dafür einen Ersatz finden. Wir haben ein bestimmtes Protein, was wir verwenden, was diese schmutzabweisenden Eigenschaften hat. Also man sagt dazu: Es ist hydrophob, also es ist ungeladen. Wir versuchen, das auf die Teppichfasern oder textilen Stoffbezüge zu bringen, dass es auch eine permanente ungiftige Alternative darstellt."
Wissenschaftlerin Wandrey reist viel auf Konferenzen, immer auf der Suche nach neuen Proteinen, die Funktionen von Kunststoffen übernehmen könnten. Gerade aktuell: Muschelprotein.
"Die Muscheln haben die Eigenschaft: Die bilden diese Vielzahl an Füßen aus, womit die sich an die Steinunterlagen festhaften können und da wirklich festkleben. Das ist darauf zurückzuführen, dass sie in ihren Füßen solche bestimmten Proteine haben, die ganz doll geladen sind, die auch bestimmte Aminosäuren haben. Und wir wollen einerseits diese Proteine herstellen, um vielleicht Kleber daraus zu entwickeln, und andererseits wollen wir diesen Effekt auch auf andere Proteine übertragen, dass wir andere Proteine auch an Oberflächen kleben können."
Das Fraunhofer-Institut betreibe zwar auch Grundlagenforschung, arbeite aber auch im Auftrag der Industrie an Projekten, die nicht Jahrzehnte lang warten können, erklärt Alexander Böker.
"Bei uns ist die Visionspanne ein bisschen kürzer, die ist dann eher so auf fünf bis zehn Jahre, wo man dann noch mal genauer schaut: Was ist eigentlich in dieser Zeit wirklich relevant für die Industrie? Das ist nicht minder spannend, weil das natürlich auch ein gewisses befriedigendes Element hat für den Forscher, der dann durchaus unmittelbar sehen kann, dass seine Entwicklung auch wirklich etwas bringt."
Wie der Kollege, der 2008 ein Hornhautimplantat entwickelt hat.
"Was mittlerweile schon 40 Menschen das Augenlicht wieder gegeben hat."
Sein Institut sei keine verlängerte Werkbank, betont Böker. Aber nur mit dieser klar anwendungsorientierten Forschung sei es zu schaffen, 70 Prozent des Etats selbst zu verdienen.
"Das ist ein bisschen anders als bei Max Planck oder bei Helmholtz, wo die Grundfinanzierungsanteile doch deutlich höher sind."
Seinen Wechsel auf die grüne Brandenburger Wiese hat Alexander Böker nicht bereut. Der Standort Golm, wo sich vor 20 Jahren noch Fuchs und Hase gute Nacht sagten, entwickele sich sehr dynamisch, lobt der Chemiker.
"Industrie wird angesiedelt, wir haben ein neues Standortmanagement, da ist gerade furchtbar viel in Bewegung, die außeruniversitären Forschungsinstitute und die Universität wachsen stärker zusammen."
So fänden die Forscher neue Modelle der Kooperation über die Institutionsgrenzen hinweg.
"Brandenburg ist bekanntermaßen nicht das reichste aller Bundesländer, aber das, was mit den Mitteln hier geschaffen wird, das ist aller Ehren wert."
Übrigens: Vorgestern hat die Europäische Kommission ihre Vorschläge veröffentlicht, wie Plastikmüll reduziert werden kann, der zunehmend auch die Meere belastet. Die EU-Plastik-Strategie sieht vor, Einwegprodukte wie Wattestäbchen, Plastikbesteck, Plastikteller und Strohhalme zu verbieten. Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Wissenschaftlerin Maren Wandrey vom Fraunhofer Institut für Angewandte Polymerforschung:
Die meisten Plastiktüten vermüllten Afrika und Asien, Strohhalmverzicht in Westeuropa nütze da nicht viel. Die Forschung an neuen, biologisch abbaubaren Kunststoffen in Brandenburg ist also wichtig für unser aller Zukunft.
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