Bildhauer Wieland Förster

Den vielen Opfern ein Denkmal setzen

29:32 Minuten
Der Bildhauer Wieland Förster steht am Dienstag (22.09.2009) in Dresden in der Skulpturensammlung im Zwinger inmitten seiner 58 Werke, die er den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als Stiftung überlassen hat.
Der Bildhauer Wieland Förster. © picture-alliance/ dpa / Matthias Hiekel
Von Carola Wiemers und Michael Opitz · 07.02.2020
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In Wieland Försters Plastiken spiegeln sich die Erfahrungen des im Jahr 1930 Geborenen wider: Eindrücke des zerstörten Dresdens, Bilder von Misshandelten und Toten und die Lagerhaft, zu der er mit 16 unschuldig verurteilt wurde.
"Ich bin einer, der davon gekommen ist," sagt der Bildhauer, Maler und Schriftsteller Wieland Förster. "Ich bin auch nur Bildhauer geworden, um der Welt immer wieder zu sagen, welches Leid die Jahrhundertmitte gebracht hat. Krieg, Vorkrieg, Nachkrieg - diese Zeit, für die ich stehe, als Jahrgang 1930."
Am 12. Februar wird Wieland Förster in einem Vorort von Dresden geboren. Am Dresdner Elbufer verlebt er als Kind endlos scheinende Sommertage, die er in dem Tagebuch "Sieben Tage in Kuks" heraufbeschwört: "Ich liebte den Fluß, wenn wir an heißen Sommertagen die Schiffszieherpfade entlangzogen und im Schutze von Fliederbüschen und Erlengehölz die kamelhaarene Decke ausbreiteten, Hemd und Hose zu Kopfkissen zusammenrollten, die Tasche mit den Malzkaffeeflaschen, den Margarinebroten – wir sagten Bemmen – und Handtüchern ins Gebüsch schoben und ermüdet vom Fußweg ausruhten, in der Sonne lagen, im Schneidersitz saßen."
Als Dresden am 13. Februar 1945 bombardiert wird, ist Förster gerade 15 Jahre alt geworden. An die Katastrophe erinnert er sich in seiner Autobiographie "Seerosenteich": "Noch immer betäubt von dem Minenschlag, dem Höllenfeuer um mich, den Notschreien der Verwundeten, Zerquetschten und Verschütteten, versank mein Sehnen und Denken in der innigen Beobachtung eines Märchenspiels von erst in der Tiefe aufblitzenden, dann oben auftauchenden und wieder versinkenden weißen Seerosenblüten. Allmählich, aber noch jenseits aller Glaubwürdigkeit, erschloss sich mir aus den verschieden großen, verschieden geformten Blättern ihre ungeheuerliche Herkunft. Da schwammen, meine Augen mussten es glauben, blattgrüne Uniformfetzen mit goldglänzenden Knöpfen und aufgesteppten Taschen, Gürtel, Teile eines weißen Capes, Handschuhe mit großen, geometrisch geschnittenen Stulpen, alles herrliche weiße Seerosenblütenblätter. Ich erkannte einen bleichen, ausgebluteten Arm, ins Leere greifende Hände, Knie und Unterschenkel tauchten geisterhaft auf und glitten in die Tiefe zurück. Etwas in mir weigerte sich, diese Körperteile in bestimmbare Beziehung zu setzen und diese endlich anzuerkennen als einen grausam massakrierten menschlichen Körper, als den von der Bombe zerfetzten Leib."
Die Skulptur "Große Stehende auf einem Bein" von Wieland Förster in der Nähe des Kleinen Teiches im Volkspark Friedrichshain im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Im Berliner Volkspark Friedrichshain steht Försters "Große Stehende auf einem Bein". © dpa / Manfred Krause

Tante Marthas Schichttorte

Dresdens Untergang schreibt sich dem Jugendlichen tief ins Gedächtnis ein. Tausende kommen bei der Bombardierung ums Leben. Dem damals Fünfzehnjährigen hatten sich grausame Bilder eingeprägt. Wieland Förster überlebt. Den Opfern ist die zwischen 1979 und 1983 entstandene Bronze-Figur "Großer Trauernder Mann" gewidmet.
Es muss berichtet, es muss erinnert werden, lautet Försters Credo. Aber das Erinnern braucht eine Form. Noch fehlt ihm dafür das künstlerische Ausdrucksvermögen, wie er in der Erzählung "Vollständiger Bericht für Dr. Krull" schreibt.
Am 17. September 1946 wird er von der sowjetischen Militäradministration verhaftet. Ein deutscher Kommunist hatte ihn wegen angeblichen Waffenbesitzes angezeigt – er wird zu zehn Jahren Haft verurteilt. Was er bisher erlebte, war nur die Vorhölle im Vergleich zu der Hölle, durch die er nun gehen musste. Die Torturen, denen er als Jugendlicher im Speziallager Bautzen ausgesetzt ist, sind nicht nur in seinen bildkünstlerischen Arbeiten, sondern auch in seiner Prosa präsent. Wie das zwischen 1991 und 1994 entstandene Drama "Die Ungleichen" handelt auch sein Roman "Tamaschito" von der Lagerhaft. "Tamaschito" ist die Abkürzung für "Tante Marthas Schichttorte", an die sich einer der Inhaftierten sehnsuchtsvoll erinnert.
Wieland Förster wird 1950, nach dreieinhalb Jahren Haft, aus dem Lager entlassen und hat nur noch eine halbe Lunge. Erst jetzt beginnt für den Gezeichneten der Frieden, aber er wird nach den Jahren der Isolation immer ein Fremder bleiben.

Bildhauer durch Zufall

Zur Dresdner Kunstakademie kam er im Herbst 1952 eher zufällig, wie er in "Im Atelier, abgefragt" beschreibt: "Für mein damaliges Dafürhalten versagte ich schon am ersten Abend auf gräßliche Weise durch Zaghaftigkeit, während der größte Teil der Kursteilnehmer mit stürmischen barocken Gebärden das Papier einschwärzte, war mein Blatt nur zögerlich vom Bleistift berührt worden."
Zu seiner Verwunderung lobt ihn der Kursleiter und nimmt den Anfänger in den Kreis der Talentierten auf. Aus dem Talent Wieland Förster, das zunächst in Dresden bei dem Bildhauer Walter Arnold Plastik studiert, wird schließlich ein Meisterschüler, der nach Berlin geht.
In Berlin kommt Wieland Förster in die Meisterklasse von Fritz Cremer. Als Künstler ist Fritz Cremer Wieland Försters Antipode. Während Cremer am Realismus festhält, studiert der begabte Schüler und interessiert sich für die westliche Moderne, für Henry Moore, Marino Marini und Alberto Giacometti. Bereits nach 18 Monaten wird er exmatrikuliert, weil Fritz Cremer die Kritik des Schülers an seinem Buchenwaldenkmal nicht akzeptieren kann.
Der Bildhauer Wieland Förster (vorn r.) steht am Freitag (20.07.2007) auf dem Domplatz in Güstrow neben dem von ihm geschaffenen Denkmal für den Schriftsteller Uwe Johnson (1934-1984), das kurz zuvor am 73. Geburtstag von Johnson enthüllt wurde. Die 2,10 Meter hohe Bronzestele steht vor der John-Brinckman-Schule, die Johnson von 1948 bis zum Abitur 1952 besuchte. Die Stele wurde im vergangenen Jahr von dem bei Oranienburg (Brandenburg) lebenden Bildhauer Förster geschaffen. Johnson stammte aus Pommern und zählte mit seinen Werken, die sich meist mit der Ost-West-Problematik beschäftigten, zu den großen Autoren des 20. Jahrhunderts. (zu Meldung lmv 4248 vom 20.07.2007) Foto: Bernd Wüstneck dpa/lmv +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Wieland Förster schuf Denkmal für Schriftsteller Uwe Johnson in Güstrow© dpa-Zentralbild

Er ließ sich von niemandem vereinnahmen

Wieland Förster musste in der DDR erhebliche Widerstände überwinden. Heute gilt er als der bedeutendste figürliche Bildhauer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ließ sich weder vom sozialistischen Realismus noch von der abstrakten Moderne vereinnahmen. Eine Villa am See für eine Porträtbüste von Otto Grotewohl schlägt er ebenso aus wie das Konrad Adenauer-Stipendium, für das ihn der Westberliner Bildhauer Bernhard Heiliger vorschlägt: "Heiliger ist dann ein richtiger Freund geworden und wir haben uns erst überworfen, als er mir das Adenauer-Stipendium besorgt hatte und ich es nicht angenommen habe: Ich habe gesagt: Wissen Sie, wenn ich jetzt in der Welt rumreise und bei ihnen dies und das mache, das ist nicht mein Leben, das ist auch nicht mein innerer Auftrag: Ich habe den jungen Toten versprochen, ihr Bild zu wahren und ihr Leid darzustellen."
In seinem nur sechzehn Quadratmeter großen Atelier in der Greifswalder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg arbeitet der Einzelgänger Wieland Förster unermüdlich. 80 Porträtbüsten hat er geschaffen, weil er als Einzelgänger damit eine Verbindung zur Gesellschaft herstellen konnte.
Zu Konflikten mit der herrschenden Kunstdoktrin in der DDR kam es dabei immer wieder.
Seine letzte große Arbeit war eine Uwe-Johnson-Stele von 2,50 Meter Höhe, was dem damals 77-Jährigen körperlich derart forderte, dass er beschloss, sich künftig der Schriftstellerei zu widmen. 2017 erschien das Buch "Tamaschi. Roman einer Gefangenschaft".
(dw)

Sprecher: Otto Mellies und Bernhard Schütz
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Ton: Thomas Monnerjahn
Redaktion: Dorothea Westphal

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