Bilder über die schwärzesten Kapitel der Geschichte

Von Kerstin Schweighöfer · 17.02.2011
Der Belgier Luy Tuymans traut sich was. Er malt die Abgründe der menschlichen Geschichte: Holocaust, Kolonialismus, Kindesmissbrauch. Der Maler ist weltweit anerkannt und war mit seinem Werk in einer Retrospektive in Städten der USA zu sehen. Jetzt kehrt er wieder heim, nach Belgien - die einzige europäische Station seiner großen Ausstellung.
"Diese Ausstellung bedeutet mir sehr viel. Es ist eine Art Heimspiel. Und eine Bestandsaufnahme der letzten 30 Jahre. Und das in einem Gebäude meiner Jugend: Ich war hier sehr oft, um mir Ausstellungen anzuschauen – und damals hätte ich nie gedacht, dass ich hier selbst auch einmal ausstellen würde."

Luc Tuymans über seine allererste Retrospektive in Brüssel: 70 der für ihn so typischen bleichen, blassen Gemälde sind zu sehen – angefangen bei den "Händen" aus dem Jahre 1978 bis hin zu seinen allergrößten Bildern, fast vier mal sechs Meter groß wie "Turtle" oder "Wonderland" von 2007, in denen Tuymans das Imperium von Walt Disney infrage stellt.

Zwei Jahre lang war die Schau in den USA auf Tournee, zum Abschluss ist sie nun im Brüssler Palast der schönen Künste zu sehen, 1928 entworfen vom Meisterarchitekten des Art nouveau Victor Horta:

"Achtung!" hatte Tuymans die beiden amerikanischen Kuratorinnen, die für seine Schau verantwortlich sind, augenzwinkernd gewarnt: "Zum Abschluss bekommt Ihr es mit echter Architektur zu tun!"

Tuymans beherrscht wie kein anderer die Kunst des Weglassens: Seine Gemälde sind bleich und konturlos, verschwommen, wie von einem Schleier überzogen. "Ich male keine Bilder", pflegt er zu sagen, "ich male die Erinnerung daran."

Doch je dünner und flacher die Bilder wirken, desto größer ist das Unbehagen, das sie auslösen: Die leblose Person, die auf dem Gemälde "Schwarzes Licht" auf dem Sofa liegt – ist die tot oder schläft sie nur?

Die kaputte Puppe auf dem Bild mit dem Titel "Körper"- hat die etwas mit Kindesmisshandlung zu tun?

Bei anderen Arbeiten bestätigen sich die bösen Ahnungen durch den Titel: Bei den zehn Porträts aus der Serie "Der diagnostische Blick" etwa handelt es sich um die Symptome unheilbar Kranker aus einem medizinischen Handbuch.

Und was hat es mit dem Skifahrer auf sich, der in den kalten, bläulich-weißen Schnee gefallen ist und eine unheimliche weiße Maske trägt? "Der Architekt" heißt dieses Bild – und gemeint ist Albert Speer, Hitlers Generalbauinspektor und späterer Reichsminister für Bewaffnung und Munition.

Auch dieses Bild wirkt wie eingefroren - als ob die Zeit plötzlich stillsteht und auch alle Geräusche verstummt sind. Stille ist eines der wichtigsten Kennzeichen von Tuymans Bildern – das, so der Künstler, stellten auch die amerikanischen Museumsbesucher fest:

"Ich habe mir die Zeit genommen, ihre Blogs nachzulesen. Und was viele zu schätzen wussten, war das Zurückhaltende in meinen Arbeiten, die Stille."

Die Brüssler Schau ist zwar nicht die bislang größte, aber die erste nach insgesamt 105 Ausstellungen, in der die Arbeiten in chronologischer Reihenfolge zu sehen sind.

Es ist auch das erste Mal, dass Tuymans nicht sein eigener Kurator ist. Aufbau und Auswahl der Werke war Sache von Madeleine Grynsztejn vom Museum für zeitgenössische Kunst in Chicago sowie Helen Molesworth vom Harvard Art Museum.

"Statt von innen heraus", so betont diese, "wollten wir von außen einen Blick auf das Oeuvre werfen".

Den Kuratorinnen ist es gelungen, vier berühmte Serien, deren Teile in alle Welt verstreut sind, für diese Ausstellung vollständig zu rekonstruieren. Darunter der "Diagnostische Blick", aber auch "Mwana Kitoko - beautiful white man", jene schonungslose Abrechnung mit der kolonialen Vergangenheit Belgiens.

Immer wieder macht Tuymans die Banalität des Bösen sichtbar und setzt sich mit den schwärzesten Kapiteln der Geschichte auseinander, auch dem Holocaust oder den New Yorker Terroranschlägen.

Für die beiden Kuratorinnen ist er ein zeitgenössischer Historienmaler. Wie keinem anderen gelinge es ihm, den Zeitgeist festzuhalten und uns einen Spiegel vorzuhalten – und das ganz konsequent ohne jemals sentimental zu werden:

"Luc is many things but he is never sentimental." (Lachen)

Tuymans kann ihnen da nur beipflichten:

"Yes that's true." (Lachen)

Genauso unsentimental analysiert er die Lage seines Heimatlandes: Auch nach 249 Tagen hat Belgien immer noch keine Regierung – ein Weltrekord, den der Künstler immer wieder kommentieren muss, da er mit der Eröffnung seiner Ausstellung zusammenfällt:

"Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Der Karren ist total verfahren. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Land auseinanderfällt, auch wenn Politiker und Medien das immer wieder suggerieren. Denn 85 Prozent aller Bürger wollen das nicht."