Bielefeld

Eine Stadt will sich neu erfinden

Alter Markt in Bielefeld
Und es gibt sie doch: Das Bild zeigt den Alten Markt in Bielefeld mit seinen historischen Weserrenaissance-Giebeln. © picture alliance / dpa / Foto: Robert B. Fishman
Von Moritz Küpper · 16.09.2015
Der Gag wurde vor mehr als 20 Jahren geboren. Doch bis heute hält sich das Gerücht, die westfälische Großstadt existiere womöglich nicht. Die Bielefelder selbst sind davon nur noch genervt und gehen das Imageproblem jetzt offensiv an.
"Sandhausen musste es lernen, Berlin musste es lernen, Bremen musste es lernen, Wolfsburg musste es lernen, wird es lernen. Niemand erobert den Teutoburger Wald…"
Es ist ein Mittwochabend, Ende April, kurz vor halb neun in Ostwestfalen.
"Arminia, Arminia, wir sind die besten Fans der Welt."
Halbfinale im DFB-Pokal, bei dem ganz Deutschland in den Nord-Westen der Republik schaut. Die ARD überträgt live, wer nicht vor dem Fernseher sitzt, hört Radio…
"Auf dieser Alm wird nicht gejodelt, sondern gejubelt. Wer tut das am Ende? Jetzt beginnt es, das Pokalhalbfinale zwischen dem Drittligisten und dem großen Außenseiter Arminia Bielefeld und dem Tabellenzweiten der Fußball-Bundesliga, dem VfL Wolfsburg. 26.137 Zuschauer, ausverkauftes Haus…"
Nun also gilt es mal wieder, für die Arminia: Auf dem Weg ins Pokal-Halbfinale haben die Spieler namhafte, höherklassige Konkurrenz ausgeschaltet – unter anderem Erstligist Hertha BSC aus der Hauptstadt. Der Fußballverein, 1905 gegründet und insgesamt 16 Jahre Mitglied der Bundesliga, er steht symbolisch für eine Stadt, ist Sorgenkind und Aushängeschild zugleich. Dieses Pokalspiel, es wird, gut neunzig Minuten später glatt und deutlich mit 0:4 verloren gehen, doch wenige Wochen später, da steigt die Arminia auf. In Liga zwei, spielt wieder mit, im Fußball auf nationaler Ebene… Doch dabei, gibt es Bielefeld doch gar nicht, oder?
"Ich möchte Sie heute darüber in Kenntnis setzen, dass Bielefeld Opfer einer geheimen Verschwörung geworden ist."
Es ist wohl die bekanntes Verschwörungstheorie Deutschlands.
"Ich selbst habe beobachtet, dass nicht nur Gebäude in dieser Stadt verschwinden."
Der offizielle Trailer zur Bielefeld-Verschwörung, ein Film der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2010. Es ist eine Reaktion auf diese Satire, diesen Internet-Gag aus dem Jahr 1993, der mittlerweile schon Züge eines Mythos hat. Doch nicht nur bei diesem Filmprojekt fand der Dauerwitz einen Nährboden: Grundlage für den Film war ein Roman, die Fortsetzung landete auf der Theaterbühne in Bielefeld. Und auch die klassischen Medien greifen den Grundgedanken immer wieder auf: "Das gallische Dorf", schrieb die Zeitung "Die Welt" in den Tagen des Pokalhalbfinals in diesem Jahr, in denen Deutschland ja mal wieder auf Bielefeld, genauer gesagt, auf die Arminia schaute. Die "Süddeutsche Zeitung" attestierte der Stadt den – Zitat – "Reiz des Durchschnitts" – und schrieb von einem Außenseiterstatus. Auch, aber eben nicht nur, im Fußball.
"Na, Bielefeld hat kein klares Profil wie andere Städte. Die sind dann die Bischofsstadt oder die schon immer gewesene Universitätsstadt oder die Kaiserpfalz oder weiß der Himmel was – und das fehlt in Bielefeld."
Sagt Pit Clausen. Der 53-jährige Jurist, einst Arbeits-Richter, ist seit 2009 Oberbürgermeister der insgesamt 328.000 Bielefelder: Er trägt eine Brille, weißes Hemd und eine rote Krawatte und sitzt in seinem holzvertäfelten Amtszimmer. Unter dem Tisch liegt ein Golden Retriever, draußen demonstrieren die Erzieherinnen und Erzieher – Kita-Streik. Das sind die aktuellen Probleme in fast jeder Kommune in Deutschland zu dieser Zeit – die Bielefeld-Verschwörung dagegen, die hat die Stadt exklusiv und sie kommt immer wieder, die wird auch das Stadtoberhaupt nicht los. Wie jetzt:
"Ja, Bielefeld, das gibt’s doch gar nicht, ist ein Running Gag aus dem Internet, glaube, 30 Jahre alt. Also schon grauer Bart…"
Wenn sie gewusst hätte, dass es um die Bielefeld-Verschwörung ginge, scherzt die Pressesprecherin der Stadt, dann hätte sie dem Termin gar nicht erst zu gestimmt. Clausen nimmt es mit Humor – was bleibt ihm auch übrig.
"Ja, schauen sie, wenn sie das 30 Jahre lang hören und immer, wenn sie überregional unterwegs sind und sagen: Ja, ich komme aus Bielefeld. Als erstes entweder auf Arminia angesprochen werden, den Fahrstuhlweltmeister oder: ´Das gibt’s doch gar nicht`. Diese Internet-Geschichte, das Bielefeld nur ein Fake wäre. Dann ist man es nach 30 Jahren auch ein bisschen leid, aber ich weiß natürlich: Ich hab es tausend Mal gehört und der Münchener, den ich beim nächsten Mitgliederversammlung des Deutschen Städtetages begegne, der bringt diesen Gag zum ersten Mal und für den ist das was Besonderes. Also, augenzwinkernd damit umgehen, ist, glaube ich, eine gute Methode."
Es ist die Parole "Augenzwinkern", die der SPD-Politiker über die Jahre entwickelt hat – und sie nun mantra-mäßig wiederholt:
"Augenzwinkernd, in dem wir uns selber einen Spaß draus machen, uns auch mal selbst auf die Schippe nehmen und ich glaube, dass dieser augenzwinkernde Umgang mit diesem Running Gag eine ganz gute Methode ist."
"Die Bielefeld-Verschwörung"
Halt wie in dem Film "Die Bielefeld-Verschwörung". Zum Humor und offenen Umgang der Ostwestfalen mit dem Thema passt, dass in der Agenten-Persiflage und Komödie ausgerechnet der Mann eine Nebenrolle hat, dem Bielefeld all dies zu verdanken hat – und der dies im Film dann auch noch in Frage stellt:
"Professor Huwanstone, sie entwickeln wirklich eine blühende Phantasie. Leider ist meine Zeit zu knapp für solche Hirngespinste."
Sagt Achim Held, der in dem Film einen Professor spielt, der den Hörsaal verlässt. Held, ein Informatiker, hatte eigentlich gar nichts mit Bielefeld zu tun. Er lebt in Kiel, im hohen Norden, doch mittlerweile gibt es eine wohl lebenslange Beziehung:
"Entstanden ist das vor inzwischen zwanzig Jahren auf einer Studentenparty in einem Studentenwohnheim hier in Kiel. Es war eine ganz normale Party, man hat halt ein bisschen geplaudert, auch mit Leuten, die man da zum ersten Mal getroffen hat und da war eben ein Kommilitone, der erzählte, dass er ursprünglich aus Bielefeld käme."
Eine verhängnisvolle Begegnung, denn:
"Daraufhin hat ein Freund von mir so aus Jux eingeworfen, ich glaube, Bielefeld gibt das gar nicht. Das haben wir dann in der folgenden Zeit immer weiter gesponnen, hab gedacht: Mensch, das ist doch eigentlich… Da kann man doch eine schöne Verschwörungstheorie draus machen. Einfach nur so erst bei uns im Freundeskreis. Aber dann eben, im Jahr 1994, da habe ich gedacht: Da kann man eigentlich auch mal einen schönen Text draus machen, mit dem man sich über ernstgemeinte Verschwörungstheorien im Internet lustig machen kann."
Denn in diesem Usenet standen damals Verschwörungstheorien, wie beispielsweise die Mär des Infrarotsensors der Fernbedienungen bei Fernsehgeräten. Damit würde die Regierung Menschen überwachen. Held stellt seinen Text online, sozusagen direkt daneben – mehr aber nicht:
"Ich habe mich selber nicht mehr drum gekümmert. Also, das war einmal veröffentlicht. Es ist jetzt nicht so, dass ich dann zu jedem hingelaufen bin und gesagt habe: Das musst Du unbedingt mal lesen und weitererzählen, sondern das hat tatsächlich eine sehr starke Eigendynamik dann sehr schnell entwickelt, also, durch Mundpropaganda immer weiter verbreitet."
Denn die heute klassischen Kanäle für ein solchen Schneeball-Effekt, sprich: Facebook oder auch Twitter, die gab es damals noch gar nicht. Doch irgendwann – so um 1995 oder 1996 – da landete Helds Verschwörung wieder bei ihm, beim Autor:
"Ich merkte eben, dass das doch seine Kreise gezogen hat, als tatsächlich die ersten Anfragen von der Presse damals kamen. Das erste war, glaub ich, eine lokale Zeitung aus Bielefeld. Ich glaube, es war das Westfalenblatt oder so, die damals gerne einen Bericht über diese Verschwörung schreiben wollten. Und das war so der erste Schritt dieses Textes aus dem Usenet raus."
Für Held ein Signal: Er machte weiter, erstellte eine professionelle Website, kümmerte sich um das Phänomen. Und bekam Hilfe durch so manche Begebenheit. Als er beispielsweise einmal auf dem Weg von Kiel nach Essen auf der A2 war, gab es rund um Bielefeld zu diesem Zeitpunkt eine große Baustelle. Alle Ausfahrten Richtung Bielefeld waren mit orangefarbenem Band durchgestrichen. Ein Zeichen?
Für Held war das alles nicht geplant, vielmehr Zufall oder besser: Zufallstreffer. Denn aus seiner Sicht war und ist Bielefeld das ideale Opfer:
"Es gibt nicht viele Leute, die sagen: Mensch, im Urlaub will ich unbedingt mal nach Bielefeld, weil ich das und das besichtigen will oder so. Sondern, jeder hört was von Bielefeld, man kommt auch eben an der Autobahn dran vorbei, jeder kennt die Pizzen aus Bielefeld, aber, so richtig als Urlaubsziel oder als Reiseziel haben das doch die wenigsten. Und deswegen passt das mit Bielefeld sehr gut, weil man eben sehr viele Leute fragen kann: Waren Sie schon mal in Bielefeld? Und wenn die dann sagen, nein. Dann kann man gleich sagen: Ja, sehen Sie, gibt es nämlich auch gar nicht. Das hätte mit anderen Städten nicht so gut funktioniert."
Eine Stadt feiert sich
Ironie der Geschichte – auch Held selbst war bis zu diesem Punkt auch noch nie in Bielefeld gewesen. Im Jahr 2009 drehte die Hochschule dann den Film – und Held kam. Erstmals. Für ihn ein Höhepunkt seiner Autoren-Tätigkeit – doch bei weitem nicht der Einzige:
"Zwei weitere Highlights wären, zum einen, dass es ja tatsächlich bis zu unserer Bundeskanzlerin vorgedrungen ist, dieses Gerücht, die ja tatsächlich auch einmal sagte, sie sei in Bielefeld gewesen, so es denn existiert. Und letztes Jahr war ich ein Ehrengast bei der Abschlussveranstaltung des 800-jährigen Stadtjubiläums in Bielefeld."
Der 28. Juni im vergangenen Jahr. Ein Wochenende lang ist Bielefeld das Zentrum in Nordrhein-Westfalen:
"In Frieden wollen wir heute gemeinsam uns feiern. Uns Nordrhein-Westfalen, uns Bielefelder und das ist einfach großartig. Man kann gar nicht alles sehen und gar nicht alles erleben, aber ich lade sie herzlich ein, nehmen sie sich den ganzen Tag Zeit, laufen sie sich die Sohlen heiß und schauen sie und gucken sie. Genießen Sie es, genießen sie unsere Stadt, genießen sie unsere Gemeinsamkeit."
Luftballons steigen in den Himmel am NRW-Tag am 28.06.2014 in Bielefeld.
Luftballons steigen in den Himmel am NRW-Tag am 28.06.2014 in Bielefeld.© picture alliance / dpa / Foto: Oliver Krato
Schon damals ist Clausen, der Oberbürgermeister, Gastgeber. Er nutzt die Gelegenheit für Eigenwerbung – und die Stadt spielt mal wieder mit seiner mittlerweile angestammten, humorvollen Rolle:
"Bielefeld. 800 Jahre, das gibt’s doch gar nicht. Unglaublich jung, unglaublich modern."
Und so weiter. Doch an diesem Wochenende feiern die Bielefelder nicht nur ihren 800-jährigen Geburtstag – die Landesregierung hat auch den NRW-Tag nach OWL, wie Ostwestfalen-Lippe genannt wird, gelegt. Denn auch das Bundesland hat Geburtstag, wird ganze 68 Jahre alt – und ist damit exakt 732 Jahre jünger. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die natürlich auch gekommen ist, weiß dementsprechend, was sich gehört:
"Ich sehe ganz viele rote Ballons, ich habe gestern gesehen, was da draufsteht: Ich finde, Bielefeld ist Liebefeld."
Die Ballons steigen zum Himmel.
"Was für ein schönes Bild."
Humor hilft
"Bielefeld ist Liebefeld", so das Wortspiel der Ministerpräsidentin, "Das gibt’s doch gar nicht", so lautete ja der offizielle, ironische Einfall der Stadt, "die freundliche Stadt am Teutoburger Wald", hieß dagegen der Stadt-Slogan in den 1980er-Jahren. Ideen und Einfälle, die, um mit Achim Held zu sprechen, es der konspirativen Theorie durchaus einfach gemacht haben, sich fest zu setzen. Denn: Selbst der ironische Jubiläums-Slogan ist ja eigentlich nur eine Verlegenheitslösung.
"In Ermangelung anderer Slogans nutzt man dann Humor. Und, es ist natürlich so, dass uns das Thema Bielefeld-Verschwörung in Bielefeld eigentlich nervt. Und wir dann irgendwann gesagt haben, wir müssen das Thema aber mal aktiv aufgreifen, statt einfach immer nur zu schmollen und müssen das Thema mal bespielen und entsprechend haben wir das Ganze ja strategisch runterdekliniert in verschiedene Bereiche, wo man dann ja gesagt hat: Unglaublich künstlerisch, unglaublich weiblich, unglaublich sportlich. Einfach verschiedene Bereiche in diesem Jubiläumsjahr identifiziert hat."
Sagt Martin Knabenreich. Bei den Jubiläumsfeierlichkeiten war er schon als Berater und Moderator dabei. Seit Anfang des Jahres ist er Geschäftsführer der Bielefeld Marketing GmbH, vorher war er Chefredakteur von Radio Bielefeld. Knabenreich weiß um die Kraft von Marken, kennte die Wirkung und Haltbarkeitsdauer, die einprägsame, skurrile Geschichten haben – erst recht am Beispiel Bielefeld. Doch, das Jubiläumsjahr mit all seiner Ironie, soll eine Zäsur sein:
"Aber in der Tat müssen wir jetzt den nächsten Schritt gehen. Und der heißt, jetzt mal rauskriegen, wofür wollen wir künftig stehen, wohin entwickeln wir uns? Und: Wofür auch nicht? Die Gefahr ist ja, dass man beliebig ist – und beliebig bleibt. Ich glaube, dass ist das Problem in vielen Städten. Wir alle, alle Städte sind in Deutschland familienfreundlich, vielfältig, weltoffen. Das unterscheidet uns nicht. Aber dennoch muss ich doch die Frage beantworten: Warum sollten Menschen in unserer Stadt studieren?"
Oder arbeiten, oder leben, oder sich engagieren. Knabenreichs Aufgabe: Er soll der Stadt eine neue Identität verpassen.
"Ob es am Ende ein Slogan werden wird, oder ein neues Logo, sollte man am Anfang eines Prozesses vielleicht noch gar nicht so genau festlegen. Jetzt geht es erstmals darum, rauszukriegen, was unterscheidet eigentlich die eigene Stadt von anderen Städten?"
Und das soll nicht die Verschwörungstheorie sein. Denn, nicht nur OB Clausen, seine Pressesprecherin oder auch der Film-Professor, den Urheber Held spielt, sind dies mittlerweile leid – auch die Bielefelder Bürger:
"Ich finde es so langsam irgendwann nicht mehr witzig. Man hört es ja jedes Mal, sehr oft, und nach dem 10.000 Mal wird der Witz halt nicht besser."
"Och so, das kommt aus Münster, ne? Ja, doch, da habe ich schon was von gehört. Aber Bielefeld gibt es..."
"Haben Sie schon was von der Bielefeld-Verschwörung gehört?"
"Oh, das sag ich nichts."
"Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme und ich sage: Aus Bielefeld. Ah, das gibt es doch gar nicht. Ist halt irgendwann nicht mehr witzig. Es ist wahrscheinlich wie, wenn man irgendwie einen lustigen Namen hat und man hört dann ständig: Ah, ist ja fast wie keine Ahnung… Also, ist, glaube ich, genauso unlustig. Irgendwann. Für einen selber."
Tourismus und Wirtschaft in der Region
Das Selbstverständnis der Stadt und seiner Bürger, das ist ein Teil von Knabenreichs Aufgabe. Aber eben nur einer.
Die Bahnhofshalle. Rund zwei Stunden sind es von hier nach Düsseldorf, gut zehn Minuten weniger nach Köln, den beiden großen NRW-Metropolen. Wer in Bielefeld ankommt, den Hauptbahnhof verlässt, steht auf einem kleinen Vorplatz aus Kopfsteinpflaster. Die Innenstadt ist fußläufig zu erreichen. Im Umfeld der Stadt lockt das Grün – und drei verschiedenen Landschaften: dem Teutoburger Wald in seiner Mitte, der Sennelandschaft im Süden und dem Ravensberger Hügelland im Norden. Doch nach aktuellen Zahlen von "Tourismus NRW" sanken die Besucherzahlen im Teutoburger Wald. Köln mit Karneval und Dom, Düsseldorf mit der Königsallee, kurz Kö, das Ruhrgebiet mit seinem Industrie-Charme oder selbst das Sauerland mit dem Wintersport, alles Städte und Regionen mit einem klaren Profil. In NRW touristisch unterschätzt werden, laut Experten, Aachen, Bonn und – ja klar – Bielefeld.
"Es geht natürlich gewissermaßen auch um einen Wettbewerb mit anderen Städten. Es geht aber zum Beispiel auch darum, dass man gegen andere Länder möglicherweise ein stückweit im Wettbewerb steht, um andere Standorte, wenn es um Wirtschaft geht."
Lindenallee am Teutoburger Wald
Lindenallee am Teutoburger Wald: Sie wurde 2013 vom BUND zur "Allee des Jahres" gewählt.© picture alliance / dpa / Foto: Thomas Ulrich
So Marketing-Mann Knabenreich. "Die Westfalen", so wird der frühere NRW-Ministerpräsident Fritz Steinhoff zitiert, "müssen immer das halten, was die Rheinländer versprechen." Sprich: Geldverdienen. Die Region um Bielefeld ist voll mit mittelständischen Unternehmen, die Weltmarktführer sind, führt auch OB Clausen ins Feld:
"Also, wenn Sie im Bereich der Automobilzulieferer in Stuttgart jemanden fragen, dann weiß der ganz genau, die Verbindungselemente, die kommen alle hier aus dem Raum Bielefeld oder Ostwestfalen. Also, die Kenner der Szenen wissen das. Aber wahrscheinlich weiß das nicht jeder, der sich nur damit beschäftigt Tageszeitungen das Feuilleton zu lesen, der wird dann auch nicht wissen, wie stark Ostwestfalen-Lippe in seinem Wirtschaftspotential ist."
Denn: Das Unternehmen "Dr. Oetker", ist da wohl nur der bekannteste Name. Doch diese Unternehmen, sie brauchen auch engagierte Mitarbeiter – was auch für die Stadt gilt. Nochmal Marketing-Mann Knabenreich:
"Aber es geht vor allem auch darum, dass die Menschen sich mit ihrer Stadt identifizieren. Und ein Nebenaspekt dabei ist ja, wenn sich jemand in seiner Stadt wohlfühlt, engagiert er sich auch. Und ich meine: Auch das sind Faktoren. Ehrenamt, Engagement, Aufenthaltsqualität in der eigenen Stadt. All das spielt eine Rolle. Was wir eben nicht wollen, ist, dass Menschen, ich sag mal, anonym in einer Stadt leben und im Grunde genommen nur leben, weil sie da arbeiten, sondern uns ist wichtig, dass sich die Menschen mit der Stadt identifizieren."
Die erste kommunale Demografiebeauftragte
Zurück im Rathaus, eine Etage über OB Clausens Amtszimmer. Hier, in Zimmer 225, hat Susanne Tatje ihr Büro. Als ob die Bielefelder der Pointe der Verschwörungstheorie entgegenwirken wollten, waren sie die erste Stadt, die das Amt einer Demographie-Beauftragten einführten. Im Jahr 2004, also vor nunmehr elf Jahren übernahm die gelernte Diplom-Soziologin die Position der bundesweit ersten kommunalen Beauftragten für Demografie.
"Grundsätzlich ist Bielefeld eine Stadt, die einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen hat. Der aber sehr moderat ausfällt, wenn ich die mittlere Variante nehme. Im Gegensatz zu ganz anderen Städten. Also, es gibt einen Bevölkerungsrückgang, das hören aber Politiker nicht so gerne, die wollen ja immer das alles wächst, wächst, wächst. Aber es ist nicht vergleichbar mit Städten in den sogenannten neuen Bundesländern oder zum Beispiel auch im Ruhrgebiet."
Denn die Wirtschaftskraft, auch die Universität und vielleicht auch die Natur in der Umgebung sorgen für eine gewisse Attraktivität, die auch Demographie-Beauftragte Tatje bestätigt:
"Es ist einfach eine Stadt, in der viele Menschen wohnen, die gar nicht aus dieser Gegend kommen."
Und geblieben sind. So wie Tatje selbst:
"Ich bin nach Bielefeld gekommen damals wegen der Universität. Eigentlich gingen meine ganzen Freunde und Freundinnen nach Berlin oder Hamburg. Also, ich wurde auch ein bisschen belächelt – und wegen der Liebe."
Tatjes Zahlen, ihre Prognose und auch ihre persönliche Verbindung sind Wasser auf die Mühlen von Marketing-Mann Knabenreich. Ab Herbst soll es losgehen, dann sollen auch Bürger und Experten befragt werden.
"Sechs Monate später, das wäre dann im Frühjahr 2016, ein Marketing-Leitbild für uns entwickelt haben und danach in einem halben weiteren Jahr, auch mit professionellen Werbeagenturen darüber reden, wie man das denn nach draußen bringt, was heißt das für ein Logo, was heißt das für eine Kampagne? Und das Ganze vollständig dann 2017 zur Entfaltung kommt."
Doch, was könnte das Ergebnis dieses Prozesses sein? Wofür könnte die Stadt stehen, wenn nicht für eine Verschwörung? In den 80er-Jahren war Bielefeld vor allem bei Marktforschungsunternehmen sehr beliebt. Der Grund: Die Stadt bildete die totale Durchschnittlichkeit Deutschlands ab. Auch das wäre ja ein Alleinstellungsmerkmal. Marketing-Mann Knabenreich formuliert es ein wenig anders, positiver:
"Ja, wir fokussieren uns nicht auf einen Slogan, mit dem die meisten Menschen Probleme hätten, zu identifizieren. Was soll das auch sein? Sondern, dass man einfach sagt: Moment, was sind denn die Tugenden, die wir hier haben? Was sind denn die Dinge, hinter denen wir uns wirklich alle wiederfinden, wie Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, wie Solidität, wenn man sich hier die Wirtschaftsstruktur anschaut. Wirtschaftliche Stärke. Kreativität. Das sind so Dinge, wo man sagt: Vielleicht ist es genau das, was man so ein bisschen sagt: Ja, dazu bekennen wir uns und da sind wir auch ganz, ganz stolz auf diese Eigenschaften."
Ob sich damit allerdings der Verschwörungsfluch dann nachhaltig bekämpfen lässt, ist fraglich. Denn: Gegen ein bisschen Profit aus diesem nachhaltigen Hirngespinst, dagegen hätten sie Bielefeld sicherlich nichts. Nicht OB Clausen, die Arminia, Marketing-Mann Knabenreich oder Demografie-Beauftragte Tatje. Oder, um es mit dem Schluss des Film-Trailers zu sagen:
"Dann sehen wir uns in Bielefeld."
Also nicht wieder?!
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