Beziehungen im Altenheim

Liebe auf der letzten Etappe

Zwei Senioren sitzen an einem kleinen Teich.
"Liebe im Alter" ist ein beliebtes Thema - doch Schneiders Thema "Liebe im Altenheim" ist ein gänzlich anderes © picture alliance / dpa-ZB / Soeren Stache
Von Tobias Lehmkuhl · 02.09.2015
Nach einem Schlaganfall und wegen beginnender Demenz kann Herr Schneider seine Frau nicht mehr daheim versorgen. Die Autorin Paula Schneider erzählt in ihrem leisen und traurigen Feature von Beziehungen im Altenheim.
"Die meisten Bewohnerinnen, die hier sind, haben ja keinen Partner mehr, und manchmal denke ich, die beneiden uns oder wie auch immer, und dann sagen sie immer: Ah, Frau Schneider, sie haben aber einen guten Mann. Und was hast du darauf gesagt? - Gar nichts. - Nein, du hast neulich mal gesagt: Ja, er hat aber auch eine gute Frau."
Zehn Jahre zuvor, auf einem Video, das während der Feier zur Goldenen Hochzeit aufgezeichnet wurde, sagte Frau Schneider noch, sie wolle rechtzeitig den Absprung schaffen, niemandem zur Last fallen, das Ende selbst wählen. Dann aber landet sie, wie es in diesem leisen, traurigen, aber auch tröstlichen Feature heißt, doch im Bummelzug, in den sie niemals steigen wollte - im Alten- oder sogenannten Feierabendheim. Nach einem Schlaganfall und beginnender Demenz, schafft es ihr Mann nicht mehr sie allein zuhause zu betreuen. Jetzt kommt er sie täglich besuchen.
"Wir haben uns heute erst wieder einen richtigen Kuss gegeben. Als ich sie dann hochhob - ich muss ihr ja immer erst helfen beim Aufstehen aus dem Rollstuhl, um dann an den Rollator zu kommen - und da haben wir uns fest umarmt und haben uns einen Kuss gegeben, einen richtigen Zungenkuss."
Liebe im Alter ist seit Jahren ein beliebtes Thema, vor allem im Film. "Liebe im Altenheim" aber ist anderes. Hier geht es eben nicht vornehmlich ums Küssen, eher um das Glück gemeinsamen Singens, um das Zusammenleben mit anderen, darum, wie es ist, sich Pflegerinnen und Pflegern überlassen zu müssen. Auch wenn es Missgunst gibt, Intrigen und den Herrn, der seiner Waffensammlung nachtrauert, der meint, sein Zimmer würde durchsucht und sich - wir befinden uns in Weimar - breit thüringisch über die Zustände auslässt.
Genau auf die kleinsten Geräusche gehört
"Herr Kiesewetter weiß zu viel. Hier pass ich genau auf. Pass ich ganz genau auf. Und wehe, da läuft was schief. Da sag ich: Moment einmal, wieso bekommt der zuerst das Essen und die anderen warten, bis sie dran sind. Wie sind gezwungen zusammen zu leben. Wenn's nicht jeder – gibt's wieder einen auf die Mütze. Da bin ich nämlich groß immer."
Paula Schneider, die Autorin dieses Features, scheint selbst in jenem Heim zuhause gewesen zu sein, in dem ihre Großmutter lebt, so nah kommt sie den Menschen, so genau horcht sie auf die kleinsten Geräusche des Rollators, auf den fast unhörbaren Gesang ihrer Großmutter, aufs Schnaufen des Herrn Kiesewetter. Ruhig fließt ihr Feature dahin, und es fällt einem im ersten Moment gar nicht auf, was doch alles in ihm steckt, so klug und abwechslungsreich ist es komponiert. Einen Anteil am Gesamteindruck hat auch Katharina Schmalenberg, die mit sanfter, unprätentiöser Stimme die Erläuterungen spricht.
"Im Wäscheraum gegenüber ruckeln die Maschinen. Hinter der Wand stellt die Etagenälteste 'Gute Seele' den Fernseher leiser. Die kleine Frau L., zwei Türen weiter, spricht Polnisch mit ihrem früheren Leben. Sonst regt sich niemand. Eine Bummelzugwelt."
Es sei die "schlechteste Etappe meines Lebens" sagte die Großmutter der Autorin anfangs, als sie so etwas noch zu äußern vermag. Nun dämmert sie dahin, legt denen, die aggressiv werden, nur mehr beruhigend die Hand auf die Wange. Ihr Mann kommt nach wie vor, muss sich aber selber immer öfter hinlegen, gerade diese Hand halten und ausruhen. Wollte man einen Schluss ziehen aus "Bleib bei mir, denn es will Abend werden", dann vielleicht den, dass jede - auch die schlechteste Etappe zum Leben dazugehört.

Paula Schneider: Bleib bei mir, denn es will Abend werden. Lieben im Altenheim
Christoph Merian Verlag, Basel 2014
1 CD, 13,90 Euro

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