Bewährte Mittel

Von Elske Brault · 16.01.2010
Einen modernen "Parzival" schaffen - so lautete der Auftrag des Staatstheaters Hannover an den Schweizer Autor Lukas Bärfuss. Der hat aus den 25.000 mittelalterlichen Versen Wolfram von Eschenbachs einen zweistündigen Theaterabend gemacht, sich aber leider darauf beschränkt, die Sprache zu modernisieren.
Einen modernen "Parzival" schaffen – so lautete der Auftrag des Staatstheaters Hannover an den Schweizer Autor Lukas Bärfuss. Der hat aus den 25.000 mittelalterlichen Versen Wolfram von Eschenbachs einen zweistündigen Theaterabend gemacht, sich aber leider darauf beschränkt, die Sprache zu modernisieren. Und genau so bleibt die Regie von Intendant Lars-Ole Walburg auf einer rein handwerklichen Ebene und benutzt bewährte Theatermittel, um den Text sauber über die Rampe zu nageln.

Einen Regieeinfall hat Walburg immerhin, und der wird bestimmend für den Abend: Er hat Parzival mit einer Frau besetzt, der durch den Film "Requiem" bekannten Sandra Hüller. Es ging vermutlich nur darum, die schwierige Rolle dem besten Ensemblemitglied anzuvertrauen, und das ist nun mal eine Frau. Sandra Hüller bewältigt tatsächlich den extremen Spagat, einerseits dumm und rüpelhaft zu sein wie ein unerzogener Junge und andererseits so rührend naiv und aufrichtig, dass alle sich in diesen Parzival verlieben.

Leider glaubte Regisseur Lars-Ole Walburg, er könne Parzivals kindliche Unschuld und Schamfreiheit darstellen, indem er Sandra Hüller zu Beginn zehn Minuten splitternackt über die Bühne hüpfen lässt. Doch wir sehen keinen unbekümmerten Parzival im Wald, sondern eine Schauspielerin auf einer Theaterbühne, die von ihrem Regisseur zu einer peinlichen Performance gezwungen wird. Ergebnis: Mitleid und Fremdschämen im Publikum.

In solch unangenehmen Gefühlen geht dann ausgerechnet jener Textbaustein unter, der tatsächlich eine moderne Deutung des Stoffes erlaubt hätte: Weil der Gesang eines Vogels Parzival so sehr bezaubert und beunruhigt hat, dass er Lust bekommt, den Wald zu verlassen, lässt seine Mutter Herzeloyde alle Vögel im Wald töten. Parzivals Vater ist in den Kreuzzügen gefallen. Herzeloyde will wenigstens den Sohn mit allen Mitteln behalten.

Doch ihr brachiales Vorgehen offenbart, dass sie nicht die seelische Stärke besitzt, Gefühle auszuhalten. "Er hat dich sehnsüchtig gemacht" antwortet sie auf Parzivals Frage, warum sie diesen und alle anderen Vögel umgebracht habe. Indem sie Sehnsüchte unterdrückt, glaubt Herzeloyde, sich gegen den Trennungsschmerz wappnen zu können. Ihr Mangel an Gefühlsdurchlässigkeit macht ihren Sohn Parzival beziehungsunfähig und erzeugt jenen Mangel an Empathie, der ihm später auf der Gralsburg den Mund verschließt.

Dem sichtbar an einer unheilbaren Wunde leidenden Anfortas stellt Parzival nicht die erlösende Frage: "Was fehlt dir?" So ließe sich interpretieren: Parzival kann sich selbst nicht erlösen aus dem Kerker seines Ehrgeizes, Ritter zu werden, weil er nicht in der Lage ist, Gefühle zuzulassen und mit anderen mitzufühlen.

Doch Autor Lukas Bärfuss hat längst das Interesse verloren an der Psychologie seiner Hauptfigur, zu solchen Zusammenhängen oder Erklärungsansätzen kommt es bei ihm nie. Und so stolpert Parzival mehr oder minder unmotiviert durch jene Handlung, die bereits bei Wolfram von Eschenbach steht. Szene reiht sich an Szene: Parzival an König Artus Tafelrunde, Parzival bei seinem Erzieher Gurnemanz, Parzival im Bett einer Königin in einer belagerten Burg, Parzival als Befreier und Sieger in der Schlacht.

Regisseur Lars-Ole Walburg bewältigt mit minimalen Mitteln, zum Beispiel geschickten Lichtwechseln die Aufgabe, die verschiedenen Orte heraufzubeschwören auf der grauen, zum Publikum schräg abfallenden Einheitsbühne. Vor allem der halb im Bühnenboden versenkte Musiker Tomek Kolczynski sorgt für die jeweils benötigte Athmosphäre, indem er den Marschschritt von Armeen herbei trommelt oder mit Vogelgezwitscher vom Band Waldatmosphäre erzeugt.

7 Darsteller spielen 30 Figuren, teilweise, indem sie einfach nur eine andere Kappe aufsetzen. Die Theatervereinbarung "Wenn ich das anziehe, bin ich jetzt der" funktioniert, aber insgesamt ergibt sich der Eindruck von Schwerstarbeit im Textbergwerk, und dabei kommt doch nur Blei heraus statt Gold, und genau so bleischwer applaudiert am Ende das Publikum.

Übrigens: Da Sandra Hüller in "Requiem" eine Besessene spielte, muss natürlich auch ihr Parzival besessen sein, und zwar von seinem Gewissen, und mit zwei verschiedenen Stimmen sprechen. "Gollum" im "Herrn der Ringe" war beeindruckender - und vor allem hatte seine Schizophrenie eine dramatische Funktion. Lukas Bärfuss hätte ins Kino gehen sollen, bevor er sich an einem Fantasy-Ritterspiel versucht.