Besucher in Holocaust-Gedenkstätten

Erst ins KZ, dann zu McDonald’s

04:46 Minuten
"Arbeit macht frei" steht am 19.11.2012 an einem Tor zum ehemaligen Konzentrationslager in Dachau nahe München. Zwei Menschen gehen nacheinander hindurch.
In den KZ-Gedenkstätten Dachau (im Bild) und Flossenbürg kommt es mitunter zu unangemessenem Verhalten von Besuchern. © Andreas Gebert / picture alliance / dpa
Von Michael Watzke · 27.01.2020
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Antisemitische Einträge im Gästebuch, Selfies vor Holocaust-Kulisse – manche Besucher verhalten sich in KZ-Gedenkstätten äußerst problematisch. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, sagt, viele Schulklassen kämen völlig unvorbereitet.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, macht in der Synagoge am Jakobsplatz nach öffentlichen Führungen bisweilen die Entdeckung, "dass die Bänke dann mit Nazi-Motiven oder sonstigem zerkratzt werden. Es gibt eben in der Bevölkerung einen gewissen Judenhass. Und die kommen dann extra an solche Orte, um das zum Ausdruck zu bringen."
Solche oder ähnliche Fälle gibt es auch in den bayerischen KZ-Gedenkstätten Dachau und Flossenbürg. Allerdings sind es Einzelfälle, zeigt eine Recherche von Deutschlandfunk Kultur. Auch antisemitische oder rechtsradikale Äußerungen von Gästen seien eher selten, sagt Julius Scharnetzky. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Gedenkstättenleitung in Flossenbürg stellt fest:
"… dass solche Äußerungen tatsächlich eher die Ausnahme bilden. Von daher würde ich auch nicht davon sprechen, dass es im letzten Jahr oder den letzten Jahren zugenommen hätte. Wenn es solche Äußerungen gibt, dann werden die ganz oft nicht offen geäußert, sondern eher in einer verdeckten Art und Weise. Das nimmt uns ein bisschen die Möglichkeit zu reagieren. Zum Beispiel bei Einträgen in Besucherbüchern. Da ist oft nicht nachzuvollziehen: Wer hat diese Einträge überhaupt verfasst?"

Wie Gedenkstätten reagieren

Wenn Besucher in Flossenbürg in einem Gästebuch zweifelhafte Kommentare hinterlassen, verfahren die Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte folgendermaßen, erklärt Scharnetzky:
"Wir haben uns entschieden, die mit einem Vermerk zu versehen, dass sie nicht der Haltung der Gedenkstätte Flossenbürg entsprechen. Und auch nicht der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und wir laden Besucher ein, das zu diskutieren und zu kommentieren. Um in einen Austausch zu treten und keinen Vorwurf von Zensur aufkommen zu lassen. Bei massiv rechtsextremen und antisemitischen Einträgen müsste man das natürlich entfernen."
Bevor Besuchergruppen – vor allem mit Schülern und jungen Gästen – in eine KZ-Gedenkstätte fahren, sei vor allem eine gute Vorbereitung nötig, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Schuster kritisiert, dass Schulklassen häufig mit folgender Haltung in Holocaust-Gedenkstätten kämen:
"Heute steht’s im Programm, weil es vermutlich im Lehrplan ist. Wir fahren jetzt nach Sachsenhausen, eineinhalb Stunden Führung. Naja, dann haben wir noch McDonald’s oder was sonst noch auf dem Programm. Es kommen viele Schulklassen – und das hat sich im Vergleich zu früher geändert – völlig unvorbereitet. Das A und O ist, dass Schulklassen, die zur KZ-Gedenkstätte fahren, nötiger Vorbereitung bedürfen. Natürlich sind (Entgleisungen) nie ganz zu verhindern, aber mit guter Vorbereitung wäre diese Tendenz gut zu bekämpfen."

Selfies für Instagram

"Es sind vor allem auch die Selfies, die dort gemacht werden", sagt Charlotte Knobloch. "Das kann man zwar schwer verhindern, aber es muss den jungen Leuten schon gesagt werden, wie sie sich an einem solchen Ort zu benehmen haben. Dass sie also nicht auf Instagram oder sonstwo gleich posten, dass sie an einem bestimmten Ort waren."
Diese Eindrücke bestätigt der Religionslehrer Matthias Fiedler, der regelmäßig Gymnasiums- und Berufsschulklassen durch die KZ-Gedenkstätte Dachau führt:

"Ich habe gute Erfahrungen gemacht, bin aber ab und zu auch frustriert, wenn die Schüler nicht vorbereitet sind. Wenn die in die Gedenkstätte kommen, als wäre es ein Zirkus, ohne Vorbereitung, ohne gar nichts. Und das frustriert mich, weil es Sinn der Sache ist, sich kundig zu machen und bewusst Fragen zum Thema zu stellen. Das ist nicht irgendein Ausflug, sondern ein besonderer Erinnerungsort."

Der Holocaust und die Gegenwart

Für Julius Scharnetzky von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ist vor allem wichtig, jungen Besuchern klarzumachen, was die Vergangenheit ganz konkret mit der Gegenwart der Besucher zu tun hat:
"Wir wollen zeigen, dass Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und generell Menschenfeindlichkeit nicht genuin nationalsozialistisch ist. Sondern das ist auch in unserer heutigen Gesellschaft teilweise in Ansätzen vorhanden. Und durch dieses Element – dass es anknüpfbar ist für die Teilnehmer dieses Programme – hat es für sie eine höhere Relevanz. Und sie beteiligen sich auch sehr rege in der Diskussion mit Fragen. Um die Strukturen, die zum Mitmachen und zur Täterschaft führen, auch zu verstehen."
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