Besuch von Ole

Von Franziska Rattei · 21.09.2013
Ein Bremer Pflegeheim für Demenz-Kranke macht gute Erfahrungen mit einer in Japan entwickelten Roboter-Robbe. Wissenschaftlich untersucht ist ihre Wirkung nicht, aber laut Pflegeheimleitung finden drei Viertel der Senioren über sie wieder einen Draht in die Jetzt-Zeit.
Günter Ahrens: "Ole, biste wach? Hallo? Das dauert aber heute Morgen. Da biste ja! Jetzt langsam, ne. Kommste in die Socken. Wolln wir zu Frau Kollerth gehen. Die freut sich immer, wenn du kommst, ne? Ja!"

Ole ist kein Mensch, kein Tier. Ole ist ein Roboter. Eine Roboter-Robbe genau genommen. So groß und so schwer wie ein drei Monate altes Baby. Bis eben hat Ole noch in einer Plastikkiste gelegen, im kleinen Wirtschaftsraum des Altenheims, und hat keinen Mucks gemacht.

Erst als Günter Ahrens seine rechte Pfote gedrückt hat, ist er aufgewacht.

Ahrens arbeitet ehrenamtlich im Haus O'Land, einem Altenheim in Bremen. Er kommt regelmäßig hierher, um sich mit den Senioren zu unterhalten oder um mit ihnen zu spielen. Heute ist er mal wieder mit der Ergotherapeutin des Hauses unterwegs: Ruth Kurz. Sie schiebt einen Rollwagen aus Holz durch die Gänge, in den Fahrstuhl und schließlich in den dritten Stock. Oben drauf: Ole. Auf einer bunten Patchwork-Decke.

Ruth Kurz: "Alles klar, es geht los, Bibbele."
Ahrens: "Bist unser Bester, ne."

Die Robbe hat ein weiches, plüschiges Fell aus antibakterieller Mikrofaser. In der kleinen glänzenden schwarzen Nase ist eine Kamera verbaut, damit Oles Augen auf Licht und Schatten reagieren können. Die sind genau wie bei einem Sattelrobben-Baby tief schwarz und haben lange Wimpern. Ole kann seinen Kopf heben und neigen - je nachdem, woher eine Stimme kommt. Diese ortet er über akustische Sensoren. Und seinen Schwanz bewegt er auch manchmal. In Japan kommt Paro - so heißt der 5.000 Euro teure Therapie-Roboter im Original - schon seit zehn Jahren zum Einsatz. In Deutschland derzeit in rund 50 Altenheimen.

""Auf geht's!" Ruth Kurz setzt Ole regelmäßig ein, um mit den dementen Senioren in Kontakt zu kommen. In ihrem Therapie-Wagen liegen noch eine Reihe anderer Hilfsmittel, zum Beispiel ein Schellenkranz, ein Bilderbuch und Decken aus verschiedenen Stoffresten. Aber Ole mögen die alten Menschen am liebsten: Sein großer Kopf und der pummelige Körper entsprechen dem Kindchen-Schema. Und weil Ole reagiert, schafft er eine Kontaktaufnahme, die mit einem Buch oder einem Spielzeug oft nicht möglich ist.

Ruth Kurz: "Hallo! Hallo!"
Ahrens: "Mahlzeit, Frau Kollerth!"

Besuch bei Helga Kollerth. Die 81-Jährige macht einen heiteren Eindruck. Ihre Tochter Ute ist gerade zu Besuch. Die beiden sitzen an einem kleinen Tisch vor dem Fenster. Die Ergotherapeutin legt die Computer-Robbe einfach in den Arm der Seniorin. Dann setzt sie sich auf das Bett der alten Dame. Neben Günter Ahrens, den ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Ute Kolata: "Das ist immer schön, wenn Ole kommt, ne?"
Helga Kollerth: "Ja, doch, doch. Den hab ich schon öfter im Arm gehabt, gell? Ja, du bist ein ganz Lieber. Nicht, ja? Du bist ganz ruhig."

Helga Kollerth lebt seit dreieinhalb Jahren im Haus O'Land. Erste Anzeichen der Demenz hat ihre Tochter vor gut fünf Jahren bemerkt. Da wusste die alte Dame manchmal nicht mehr, welcher Tag oder welche Uhrzeit gerade war. Inzwischen ist die Krankheit fortgeschritten, aber Helga Kollerth kommuniziert noch immer gern - allerdings fehlen ihr manchmal die Worte. Beim Schreiben geht es besser, sagt ihre Tochter. Manchmal schreiben Mutter und Tochter deshalb Glückwunschkarten zusammen - mehr zum Üben, als um jemandem zu gratulieren. Jetzt aber gerade rückt das alles in den Hintergrund. Mit Ole auf dem Arm fängt die 81-Jährige plötzlich an, von früher zu erzählen:

"Wir hatten vier Pferde. Und wir haben, als Kinder schon, immer den Schwanz hinterhergelaufen (lacht)."
Ute Kolata: "Ihr hattet auch mal ein Huhn gehabt, das ist euch immer entgegengeflogen, wenn ihr von der Schule kamt, ne?"
Helga Kollerth: "Heute weißt du immer noch davon."
Ute Kolata: "Manche Sachen weiß ich, aber alles weiß ich auch nicht."

Vor drei Jahren, als die Heimleitung alle Angehörigen fragte, was sie von einer Roboter-Robbe halten würden, war Kollerths Tochter schon ein bisschen skeptisch. "Meine Mutter unterhält sich mit einem Computer-Tierchen", dachte sie. Heute denkt sie anders.

Ute Kolata: "Hauptsache, sie hat Freude. Und wenn ein kleiner Ole-Roboter dazu beitragen kann, finde ich das in Ordnung."
Helga Kollerth: "Du machst die Augen zu, hm?"

Nach einer Viertelstunde möchte Günter Ahrens weiter mit Ole, zu den anderen Bewohnern der dritten Etage. Unauffällig drückt der Ehrenämtler Oles rechte Vorderpfote, damit die Robbe aufhört, auf Helga Kollerth zu reagieren.

Günter Ahrens: "Gleich gibt's Mittagessen. Und Ole muss sich jetzt auch bisschen ausruhen. Nu ist er auch ganz müde."
Helga Kollerth: "Jetzt ist er eingeschlafen, glaub ich. Guck."

Ab und zu kommen auch echte Tiere ins Haus O'Land: Meerschweinchen, ein Huhn oder ein Hund. Aber auf Dauer ist Ole einfach praktischer, sagt Günter Ahrens. Die Roboter-Robbe beißt nicht und braucht keinen Auslauf. Demnächst allerdings müssen die Bewohner des Altenheims Ole eine Weile entbehren. Er muss zur Fellpflege in die Werkstatt. Drei Jahre Streicheleinheiten hinterlassen Spuren.
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