Bestsellerautor Peter Wohlleben

"Wir haben eine tiefe Natursehnsucht"

Buchen
Buchenwald südlich von Hannover © picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte
Peter Wohlleben im Gespräch mit Nana Brink · 28.02.2017
Mensch und Holz, Mensch und Baum: Das ist sei eine ganz enge Verwebung, erklärt Peter Wohlleben. Der Wald sei unser natürliches Ökosystem: "Da erden wir uns quasi, wenn wir mal genug von Computern und Schreibtischen haben", so der Forstwirt und Bestsellerautor.
Nana Brink: Der Wald – allein, wenn ich das schon sage, kommen ja bei jedem von uns sofort Bilder hoch. Der Wald, eine sehr emotionale Angelegenheit, eine sehr deutsche emotionale Angelegenheit. Jahrzehntelang war er ja krank, da war die Aufregung groß. Dann hat er sich erholt, angeblich, und nun ist er selbst sozusagen als Therapeut im Rennen. Zu verdanken hat das der Wald auch Peter Wohlleben. Hunderttausende kaufen die Tier- und Baumbücher des Eifel-Försters, und er hat uns schon viel Lust gemacht, im Wald spazieren zu gehen. "Das geheime Leben der Bäume" war ja ein Bestseller, jetzt kommt sein neues Buch heraus, "Gebrauchsanweisung für den Wald". Ich grüße Sie, Herr Wohlleben!
Peter Wohlleben: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wieso brauchen wir eine Gebrauchsanweisung für den Wald?
Wohlleben: Wir brauchen sie vielleicht nicht, aber ich glaube, wir haben im Lauf der letzten Jahrzehnte so ein bisschen verlernt, mit dem Wald umzugehen. Ich sage Ihnen mal ein einfaches Beispiel: Wenn Familien mit Kindern im Wald unterwegs sind, und die Kinder schreien da und spielen Fangen, dann sagen die Eltern oft, ihr müsst leise sein, dass ihr nicht die Tiere stört.
Es ist genau das Gegenteil der Fall. Je mehr Krach man macht – jetzt vielleicht nicht gerade mit Ghettoblaster, aber beim Spazierengehen und so weiter –, desto weniger stressig ist das für die Tiere, weil die genau wissen, ach, das sind bloß Wanderer, das sind keine Jäger, die laufen von A nach B. Das können die prima einschätzen, und dann bleiben die Tiere ganz ruhig.
Brink: Gibt es noch andere Irrtümer, die wir haben? Ich habe ja immer gedacht, das stört wirklich die Vögel.

Bei Gewittern nicht im Wald aufhalten!

Wohlleben: Es gibt natürlich jede Menge andere Irrtümer. Es gibt zum Beispiel so einen schönen Spruch bei Gewitter: Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen. Da kann ich nur dringend davon abraten. Das hängt damit zusammen, dass Eichen eine raue Rinde haben. Es bildet sich kein glatter Wasserfilm, und dann läuft der Blitz im nassen Holz, und das Holz reißt. Und dann sieht man hinterher bei der Eiche, au, da hat der Blitz eingeschlagen.
Bei der Buche ist es so, die hat eine ganz glatte Rinde. Die bildet außen einen Wasserfilm, und da läuft der Blitz außen auf der Rinde ab. Das heißt, der Baum wird nicht beschädigt, man sieht hinterher nichts. Und die Leute haben dann gedacht, in Buchen schlägt kein Blitz ein. Das ist allerdings ein Irrtum. Also bitte, bei Gewittern grundsätzlich nicht im Wald aufhalten.
Brink: Aber wir können dann schon im Wald spazieren gehen, oder? Was tun, wenn es regnet?

Unter Fichten ist es bei Regen trocken

Wohlleben: Was tun, wenn es regnet? Das einfachste ist, wenn man trocken bleiben will, man geht unter Nadelbäume. Laubbäume, da sagt man immer, unter Laubbäumen regnet es zweimal. Die haben die Äste auch schräg nach oben stehen, um das Regenwasser regelrecht einzusammeln. Die Nadelbäume sind auf Schnee spezialisiert, das heißt, die haben die Äste schräg nach außen hängen, um bei Schneelast die Äste anlegen zu können. Und da läuft natürlich auch das Regenwasser wie bei einem Regenschirm ab. Unter Fichten zum Beispiel ist es bei Regen sehr trocken.
Brink: Nun habe ich natürlich schon mal geblättert in dem Buch, das muss ich ja ganz ehrlich zugeben. Und eines der wunderbarsten Kapitel, die ich darin fand, war, was wir auch so gar nicht wissen, oder was wir uns vielleicht auch in unserem Alltag gar nicht so klar machen: Der Wald als Nahrungsquelle. Soll ich jetzt Rinde essen und Käfer?
Wohlleben: Ja, das können Sie tatsächlich machen. Das weiß man ja mittlerweile, dass Insekten eine gesunde Proteinquelle sind. Aber beispielsweise, wenn da mal so ein Baum gefallen ist – bei stehenden sollte man es nicht machen. Zum Beispiel bei frischen Fichten kann man so im – ja, es geht eigentlich jetzt schon los – im März, April, Mai die Rinde, die äußere Rinde so ein bisschen abziehen, und darin ist eine glasklare Schicht, die kann man mit dem Taschenmesser ganz dünn abschaben. Die schmeckt so ein bisschen wie Mohrrüben. Glasklar, ist leicht klebrig, also sehr viel Zucker und Stärke drin. Da kann man sich wirklich, wenn man das wollte, monatelang von ernähren.
Brink: Vielleicht kommt es ja wirklich auf die Verpackung an. Aber ist es auch gut für die Bäume?
Wohlleben: Nein, für die Bäume ist das nicht gut. Die Bäume haben was dagegen, wenn wir quasi ihren Kühlschrank plündern, und deswegen sollte man das nur bei Bäumen machen, die zum Beispiel – es war ja in den letzten Tagen sehr stürmisch, da wird die eine oder andere Fichte gefallen sein, und da kann man das dann mal an so einem liegenden Baum, der ja dann sowieso abtransportiert wird, gut ausprobieren.
Ein paarungsbereiter Rothirsch (lat. Cervus elaphus) in der Brunft, aufgenommen am 08.10.2013 in einem Gehege im Wildpark Schorfheide in Groß Schönebeck (Brandenburg).
Rothirsch in einem Brandenburger Wildpark.© picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Brink: Aber apropos, die Tiere machen das doch, die Rehe und die Hirsche. Sind die denn wirklich daran schuld – das ist ja auch so ein Klischee, das ich zum Beispiel so im Kopf habe –, dass es kaum noch Laubbaumwälder sind?

Der Wald ist eine riesige Weide

Wohlleben: Nein, die Rehe sind eigentlich nicht schuld. Natürlich gibt es viel, viel, viel, also ein Zigfaches von dem, was es von Natur aus hier geben würde, aber das liegt halt daran, dass sehr viel gefüttert wird im Wald von Jägern. Das hängt auch mit der Art der Forstwirtschaft zusammen. Die Wälder werden ja immer wieder aufgelichtet durch Fällungen, und dadurch haben wir eine sehr reiche Bodenvegetation, die es so in einem natürlichen Wald gar nicht geben würde, sprich, der Wald ist eine riesige Weide. Dadurch vermehren sich diese Tiere eben ganz kräftig, und ihre Leibspeise sind halt kleine Laubbäume. Und insofern ist der Zusammenhang dann doch wieder richtig, dass dadurch überall Laubwälder verschwinden.
Brink: Nun habe ich eingangs schon erwähnt, der Wald ist ja eine sehr emotionale Angelegenheit. Wer könnte das besser beschreiben als Sie. Haben Sie ja auch in Ihrem "Geheimen Leben der Bäume". Warum fasziniert uns das so. Also ich gehe nur mal auf Lichtungen zum Beispiel. In unheimlich vielen Dichtungen wird die Lichtung beschrieben. Sie ist gemalt worden. Was ist das, was uns so fasziniert an ihr?
Wohlleben: Das ist eigentlich das Komische. Wir sind alle gern im Wald, aber nicht stundenlang.
Brink: Genau. Wir suchen dann irgendwann das Licht.
Wohlleben: Wir suchen dann das Licht, Sonne und so weiter, weil wir evolutionär gesehen Steppentiere sind. Das heißt, wir möchten weit blicken können. Unser Hörsinn, unser Geruchssinn, die sind nicht so wahnsinnig gut ausgebildet. Wir können Gefahren auf große Entfernungen erkennen, und wir fühlen uns wohl, wenn wir große Rundumblicke nehmen können. Deswegen klettern wir auch so gern auf Aussichtstürme, oder wenn man im Hochhaus mal Gelegenheit hat, mal aus dem Fenster zu schauen. Das finden wir superfaszinierend, wie weit man gucken kann.
Das ist allerdings genau das Gegenteil von Wald. Im Wald kann man halt nicht weit gucken. Das ist so ein bisschen paradox, dass wir auf der einen Seite den Wald lieben, aber es dann unheimlich gern haben, wenn wir auch wieder raus sind.
Brink: Können Sie sich erklären, warum so viele Menschen Ihre Bücher kaufen? Was macht diese Faszination aus, dass man da mehr wissen möchte?

Wir erden uns im Wald

Wohlleben: Also zuerst hat man gedacht, gut, das sind vielleicht die Deutschen mit ihrem kleinen Wald-Spleen und mit Märchen, Gebrüder Grimm und so weiter und so fort, aber es funktioniert ja weltweit. Ich glaube einfach, dass Menschen schon eine besondere Beziehung zu Bäumen haben. Unsere Entwicklungsgeschichte hängt auch damit zusammen. Denken Sie mal an Feuer. Ohne Holz kein Feuer. Und die Frühmenschen machen schon wahrscheinlich, seit einer Million Jahren haben die Feuer gemacht. Das ist bis heute so.
Letztendlich brennt ja sogar Feuer in unseren Motoren. Das ist ja auch nichts anderes, was das antreibt. Und dazu brauchten sie früher Holz.
Ich glaube, das ist einfach eine ganz enge Verwebung: Mensch-Holz, Mensch-Baum. Es gab auch immer Religionen, die Bäume verehrt haben, auch bei uns. Bei den Germanen waren Bäume ganz wichtig, heilige Haine. Und da steckt noch ein bisschen von uns drin, auch so eine tiefe Natursehnsucht. Und da ist Wald natürlich unser natürliches Ökosystem, und da erden wir uns quasi, wenn wir einfach mal genug von Computern und Schreibtischen haben.
Brink: Peter Wohlleben. Vielen Dank für das Gespräch!
Wohlleben: Danke, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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