Bestseller "Girl on the Train" von Paula Hawkins

Erfolgreich abgekupfert

Coverausschnitt von Paula Hawkins' Bestseller "Girl on the Train".
Coverausschnitt von Paula Hawkins' Bestseller "Girl on the Train". © Blanvalet Verlag München / dpa
Von Kolja Mensing · 25.06.2015
In unserer Rubrik "Aus den Listen" nehmen wir uns jede Woche einen Titel der "Spiegel"-Bestsellerliste vor und befragen ihn nach seinem Erfolgsrezept. Bei Paula Hawkins' Thriller "Girl on the train" besteht es vor allem darin, einen anderen Bestseller zu imitieren.
Wenn man verstehen will, warum dieses Buch umgehend in den Bestsellerlisten gelandet ist, muss man zunächst über einen anderen Titel sprechen: über Gillian Flynns Thriller "Gone Girl", der vor drei Jahren zu einem internationalen Überraschungserfolg wurde und mittlerweile auch noch verfilmt worden ist.
Paula Hawkins' "Girl on the Train" ist jetzt der erfolgreiche Versuch, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Hier wurde ein Folgeprodukt strategisch geschickt am Markt platziert, und das erst einmal mit rein äußerlichen Mitteln.
Zum Beispiel mit einem Titel, den auch der deutsche Verlag im englischen Original beibehalten hat, trotz Zungenbrecher-th in der Mitte: "Gone Girl" und "Girl on the Train", das klingt schon mal ähnlich, und dann sehen die beiden Bücher auch noch gleich aus. Das gleiche nachtschwarze Cover, die gleiche Typographie auf dem Titel.
Nicht mehr als ein solider Psychothriller
Und der Inhalt? "Girl on the Train" spielt zwar in England und nicht in den USA, aber eben genau wie "Gone Girl" im Milieu der Vorstadt – mit all den kleinen und großen Tragödien, die den Alltag in dieser Welt beherrschen.
Das Mädchen im Zug, auf das der Titel anspielt, ist eine frisch geschiedene Pendlerin mit Alkoholproblem. Auf ihren Fahrten nach London träumt sie sich in das scheinbar idyllische Leben eines Ehepaars hinein, das neben ihrem Ex-Mann lebt – und wird dabei nach und nach in ein Netz von Lügen und Selbsttäuschung hineingezogen wird, unter dem sich allmählich die Konturen eines Gewaltverbrechens abzeichnen.
Von der Person, die dir am nächsten ist, weißt du am wenigsten: Das ist (seit Hitchcocks Filmklassiker "Verdacht") die Standardannahme im Genre, und so ist "Girl on the Train" am Ende nicht mehr als ein solider Psychothriller.
Wegen der Geschichte muss man diesen Roman also nicht lesen. Aber man kann an "Girl on the Train" eben auch nicht einfach vorbeigehen. Dass mit Titel und Cover die Bestsellertauglichkeit eines Buches behauptet wird und dieses Buch dann tatsächlich ein Bestseller wird – diese Geschichte nämlich ist wirklich faszinierend.

Paula Hawkins: "Girl on the Train. Du kennst sie nicht, aber sie kennt dich"
Roman. Aus dem Englischen von Christoph Göhler
448 Seiten; 12,99 EUR