Beschreibung einer explosiven Stimmung

19.10.2011
Die Gründe für das Scheitern der DDR und die vertanen Chancen der Wendezeit - das sind Themen, mit denen sich der Berliner Schriftsteller Volker Braun seit mehr als 20 Jahren befasst. Auch in seinem neuen Erzählband "Die hellen Haufen" geht es um ungenutzte Möglichkeiten.
Von den "hellen Haufen" erzählt Volker Braun in seiner neuen Erzählung, in der das Geschehen des Bauernkriegs in Erinnerung gerufen wird. Einst führte Florian Geyer einen "schwarzen Haufen". Brauns "Haufen" sind dagegen hell, als würden sie zu lichteren Zeiten gehören.

Eine vermeintlich "hellere Zeit", allerdings erstarrt in ihrer Unbeweglichkeit, hat Braun in dem Thomas Müntzer gewidmeten Gedicht "Ist es zu früh. Ist es zu spät" aus dem Band "Training des aufrechten Gangs" (1979) beschrieben. Gegen Schluss des Gedichts wirft er die Frage auf: "Wie wenig frei / Gehen wir aus uns".

Thomas Müntzer scheiterte während des Bauerkriegs bei dem Versuch, die einzelnen "Haufen" zu einem schlagkräftigen Bauernheer zusammenzuführen. In Brauns Erzählung, in der es zum Kampf kommt, tritt Müntzer als Mintzer auf. Braun wendet sich historischen Ereignissen zu, aber es sind die gegenwärtigen Verhältnisse, die ihn dazu veranlassen. Entstanden ist ein vorausschauender Rückblick, bei dem es sich um eine närrische Geschichte handelt, in der der Autor als Narr agiert.

Dieser Narr behauptet, dass sich die Geschichte, so wie er sie erzählt, nicht ereignet hat. Allerdings erinnern die Bergleute aus Bitterode, die in den Hungerstreik treten, weil das Salzbergwerk geschlossen wurde, an jene realen Kumpel aus Bischofferode. Durch die Oberfläche des Erfundenen schlägt in Brauns Text immer wieder die nackte Realität des in der Vergangenheit Gefundenen durch. Explosive Brisanz bekommt der Text, wenn im letzten der insgesamt drei Teile der Bereich der fiktiven Fakten verlassen wird, um den Konflikt in den "unermesslichen Bereich der Erfindung" zu verlegen. Dann wird vom Möglichen erzählt, wobei das Mögliche die unmittelbare Gegenwart der Ereignisse von New York, Madrid, Rom oder Berlin atmet. Die Entrechteten spielen nicht mehr mit.

In Brauns Erzählung streiken und hungern sie, weil sie ihre Arbeitsplätze nicht verlieren wollen. Braun spielt ein Szenario durch: was passiert, wenn Geschichte nicht mehr als Istzustand hingenommen wird und die Rufe der Empörten ungehört verhallen? Zwar kommt es in Brauns Erzählung zum blutigen Kampf, doch der findet nur im Text statt. Der "Aufstand, von dem hier berichtet wird, hat nicht stattgefunden", heißt es im Buch.

Bei der Lektüre im Buch der Geschichte ist Braun auf ein Ereignis gestoßen, das mit Gewalt ausgetragen wurde. Angesichts dieses Kampfes zeigt die Parole "Keine Gewalt" ihre zauberische und verzaubernde Kraft. Von ihrem utopischen Gedanken lebt Brauns närrische Erzählung.

Volker Braun legt mit "Die hellen Haufen" eine bewegende, eine die Geschichte in ihrer Bewegung erfassende Erzählung vor. Aufgeschrieben wurde sie von einem Narren, der den Glauben verloren hat, und der von der Hoffnung nicht lassen will. In dieser respektlosen Erzählung wird eine explosive Stimmung beschrieben und der Narr spottet über die Mächtigen, die nicht hören.

Diesem Text sind die realen Ereignisse zur Seite getreten. Sie verhelfen ihm zu einer unerhörten Wucht und verstörender Aktualität. Die Geschichte legt den Harnisch an – überall scheppert es und es klingt nach Gewalt. Braun erzählt vom aktuellen Geschehen, indem er einen historischen Verlauf darstellt. In "Die hellen Haufen" hat er dafür eine eindringliche und beunruhigende Sprache gefunden.

Besprochen von Michael Opitz

Volker Braun: "Die hellen Haufen"
Suhrkamp, Berlin 2011
96 Seiten, 14,90 Euro

Links bei dradio.de
Anthologie mit verschiedenen Stimmlagen
Heinz Ludwig Arnold/Hermann Korte (Hrsg.): "Lyrik der DDR", S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 448 Seiten

Trübe Aussichten
Volker Braun: "Flickwerk", Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2009, 81 Seiten
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