Berückende erzählerische Fantasie

17.12.2011
Größe, Überspanntheit und präzise Beobachtungen: Mit "Alles ist grün" ist nun der zweite Teil der Erzählungen des Amerikaners David Foster Wallace auf Deutsch erschienen. Alles, was seinen Stil ausmacht, findet sich auch in diesen Texten wieder.
David Foster Wallace ist eine Ikone der amerikanischen Literatur. Vor allem sein Mega-Roman "Unendlicher Spaß" aus dem Jahr 1996 hat ihn dazu gemacht, aber auch die Sammlungen seiner verwegenen experimentellen Erzählungen. Im Jahr 2008 hat David Foster Wallace Selbstmord begangen, um seinen quälenden Depressionen zu entkommen. Damals war er 46 Jahre alt.

2001 ist das erste Buch von David Foster Wallace auf Deutsch erschienen, der Erzählungsband "Kleines Mädchen mit komischen Haaren". Dieser Band enthielt nur die Hälfte der Originalausgabe aus dem Jahr 1989. Die zweite Hälfte der Erzählungen kann man erst jetzt unter dem Titel "Alles ist grün" auf Deutsch lesen. Der Verlag Kiepenheuer und Witsch wollte seinem deutschen Publikum diese frühen Wallace-Texte offenbar nicht als Erstes zumuten. Nachdem nun aber das vielgepriesene Textungetüm "Unendlicher Spaß" mit 70 000 verkauften Exemplaren zu einem überraschenden Erfolg geworden ist, bringt der Verlag auch die damals aussortierten Erzählungen heraus.

Die Titelgeschichte "Alles ist grün" ist das eine Extrem in diesem Band, eine nur dreiseitige, hoch emotionale Etüde über einen Abschied, geschrieben in einer kunstvoll unbeholfenen Sprache. Auf diese kurze Geschichte folgt der große Hammer, die fast 200 Seiten umfassende Erzählung "Westwärts geht der Lauf des Weltreichs". Der Text spielt mit einem Gründungstext der amerikanischen Postmoderne, der Erzählung "Lost in the Funhouse" von John Barth. Barth selbst geistert als Literaturlehrer und Unternehmer durch diesen Text. Die gute Nachricht ist: diese lange Erzählung funktioniert auch für die Leser, die von den Metafiktions-Theorien und literaturwissenschaftlichen Diskursen rund um John Barth noch nie etwas gehört haben. Sechs Personen sind da unterwegs zu einer historischen Zusammenkunft, zu einem Treffen aller 44 000 Menschen, die je in einem MacDonald-Werbespot aufgetreten sind. Mit diesen in ein Auto gesperrten Figuren inszeniert Wallace ein Diskursgewitter aus amerikanischen Mythen, Werbetheorien und Persönlichkeitsverzerrungen, während draußen über den endlosen Maisfeldern von Illinois ein echtes Jahrhundertgewitter heraufzieht.

Dieser Text zeigt die Größe und die Überspanntheit, die man in vielen Arbeiten von David Foster Wallace findet. Öfter geht der Diskursgaul mit ihm durch, aber immer wieder leuchten einzelne Sätze und Szenen auf, in denen er seine berückende erzählerische Fantasie ausspielt, seine Gabe für präzise Beobachtungen, leise Stimmungen und aberwitzige Erfindungen. Auch die anderen Erzählungen des Bandes haben diese Qualität. Das Buch beginnt mit einer kühlen Studie über einen Manager, der eine andere Führungskraft per Herzdruckmassage im Leben zu halten versucht. Beide sind eingesargt in einer Tiefgarage, in der Wallace diese Szene für die Ewigkeit eingefroren hat. Die Kälte dieser Erzählung wird ausbalanciert durch die Wärme eines anderen Paares, zweier alter Menschen, die man in "Sag nie" in einer rührend diskreten Liebe zueinander erlebt. Alle diese Erzählungen mit ihren ganz verschiedenen Sprachstilen hat Ulrich Blumenbach in ein hervorragendes Deutsch gebracht - der Mann, dem wir schon den deutschen "Unendlichen Spaß" zu verdanken haben.

Besprochen von Frank Meyer

David Foster Wallace: Alles ist grün, Storys
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach,
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
268 Seiten, 19,99 EUR
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