Bertolt Brechts Lai-tu

Von Carola Wiemers · 10.08.2006
Die Dänin Ruth Berlau-Lund gehörte zum so genannten Brecht-Tross und durchlebt die Exilstationen Schweden, Finnland, Sowjetunion, Amerika. Ohne sie wären viele seiner Manuskripte verloren gegangen. Berlau ist die einzige Frau in Brechts Arbeits- und Lebensumfeld, der als literarisierte Figur mit dem Namen Lai-tu ein Platz im Werk zugewiesen wird.
Am 4. Juni 1930 meldet die dänische Presse: Eine junge Schauspielerin mit dem Namen Ruth Berlau habe sich allein auf eine Fahrradtour begeben, die von Kopenhagen über Helsinki und Leningrad nach Moskau führt. Als Ziel der Reise gab sie an, überprüfen zu wollen, was aus der Sowjetunion nach der Revolution geworden sei.

Ruth Berlau wird am 24. August 1906 in Kopenhagen geboren. Die wohlhabenden Eltern schicken ihr Kind auf eine Klosterschule, damit sie auch die französische Sprache lernt. Sie muss die Schule aufgrund einer Schwangerschaft im Alter von 13 Jahren verlassen und wird diese Entscheidung ihr Leben lang bereuen.

Berlau begeistert sich früh für das Theater, nimmt Schauspielunterricht und wird mit der Rolle der Anna aus Bertolt Brechts Stück "Trommeln in der Nacht" in Dänemark bekannt. Nebenbei schreibt sie Kolumnen für die Zeitung und veröffentlicht als Schriftstellerin ihre Texte unter dem Pseudonym Maria Sten.

Mit großem Engagement ist sie Anfang der 30er Jahre am Aufbau des revolutionären Arbeitertheaters "RT" in Kopenhagen beteiligt. Dazu gehört es vor allem, Stücke zu organisieren, die für Laiendarsteller spielbar sind.

1933 erfährt sie, dass sich der Autor des Dramas "Trommeln in der Nacht" mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, auf der dänischen Insel Fünen aufhält. Im Auto ihres Mannes, sie ist seit 1928 mit dem Arzt Robert Lund verheiratet, fährt sie bei den Brechts vor und kehrt wenig später mit seinem Stück "Die Mutter" im Gepäck zurück.

"Er legte sich doch immer hin nach dem Essen, da konnte ich ein bisschen klauen und ich hab geklaut 'Die Mutter', das Stück 'Die Mutter'. Und das habe ich als allererstes übersetzt und telefonisch gestanden aus Kopenhagen nach Svendborg, dass ich das geliehen hatte. Und da hat er geholfen mit Regie."

Es ist der Beginn einer 23-jährigen engen Zusammenarbeit mit Brecht, die für Berlau auch nach seinem Tod 1956 weitergeht. Anders als Elisabeth Hauptmann oder Margarete Steffin, die sich als Brechts Mitarbeiterinnen verstehen, bezeichnet sich Berlau als seine "Aufschreiberin" - ein Wort, das Brecht sehr gefällt. Sie gehört nun zum so genannten Brecht-Tross und durchlebt die Exilstationen Schweden, Finnland, Sowjetunion, Amerika. Bereits in Dänemark ist sie darum bemüht, sein Schaffen bekannt zu machen.

"Sonst kannte man ihn in Dänemark ja nur wegen dieser 'Dreigroschenoper'."

"Aber in Dänemark ist es mir zu sehr aufgefallen, dass man gar nicht versteht, Bertolt Brecht zu gebrauchen."

"Und der Brecht ist ja überhaupt so unheimlich aktuell in viele, in meisten seiner Sachen."

Nach der Pariser Uraufführung von Brechts Stück "Die Gewehre der Frau Carrar" 1937 fertigt Berlau eine Übersetzung an und bringt es auf die Bühne. Sie besorgt Geld, damit Brechts zweite große Sammlung von Exilgedichten, die "Svendborger Gedichte", in Kopenhagen gedruckt wird und 1939 erscheinen kann.

Das letzte Gedicht dieser Sammlung trägt den Titel "An die Nachgeborenen" und wird für Berlau in seiner politischen Botschaft bis in die Nachkriegszeit hinein aktuell sein.

"Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt. Der dort ruhig über die Straße geht, ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde, die in Not sind."

Im finnischen Exil wird Brecht 1940 durch Berlau mit der Schriftstellerin Hella Wuolijoki bekannt, die als Funktionärin und Managerin eine zentrale Rolle in der intellektuellen Szene Finnlands spielt. Auf der Stoffbasis von Wuolijokis Stück "Die Sägemehlprinzessin" entsteht "Herr Puntila und sein Knecht Matti".

Noch in Dänemark beginnt Berlau Fotos und Pressemeldungen zum Kriegsgeschehen zu sammeln und führt diese Arbeit mit Brecht auch in New York fort. 1944 entsteht in Santa Monica daraus die erste DIN-A5-Fassung der späteren "Kriegsfibel". Es sind Fotoepigramme, die ein völlig neues künstlerisches Genre begründen.

Zeitgleich entsteht die Idee der Mikrofiche, mit der Brechts Arbeit noch im Exil eine erste Form der Archivierung erfährt. Berlau profiliert sich fortan als Chronistin von Brechts Theaterarbeit, ohne sie wären viele seiner Manuskripte verloren gegangen. Erst mit dem Fotoapparat, später mit der Kamera verfolgt sie minutiös das Probengeschehen. Ihr Filmmaterial, auf das bald auch das FBI aufmerksam wird, ist Grundlage der "Modellbücher", von dem als erstes das "Antigonemodell 1948" veröffentlicht wird.

Ruth Berlau ist die einzige Frau in Brechts Arbeits- und Lebensumfeld, der als literarisierte Figur mit dem Namen Lai-tu ein Platz im Werk zugewiesen wird. Und während Brecht im "Buch der Wendungen" über Lai-tus Tugenden reflektiert, beschließt diese Anfang der 60er Jahre

"Jetzt werde ich die Tugenden, die Brecht lobte, aufschreiben. Hilfsbereit, freundlich, bescheiden, Pünktlichkeit, genussfreudig,…"

"Genießen muss man können, sagte Brecht. Selber lebte er in größter Bescheidenheit und freute sich über kleine Sachen. Wenn man ihm in Dänemark Himbeeren brachte, war das ein Genuss für ihn …"

Ruth Berlau stirbt am 15. Januar 1974 und hat auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin ihre letzte Ruhestätte gefunden.