Bernd Heinrich: "Der Heimatinstinkt"

Geschichten über die Heimatliebe der Tiere

Das Buchcover "Der Heimatinstinkt" von Bernd Heinrich vor dem Foto eines malerischen Wolkenhimmels
Mit "Der Heimatinstinkt" ist Bernd Heinrich ein Kleinod der erzählenden Biologie gelungen, urteilt Susanne Billig. © Verlag Matthes & Seitz / Christof Martin / dpa
Von Susanne Billig · 25.01.2017
Als Kind hatte Bernd Heinrich ein folgenreiches Erlebnis mit einem Albatros: Wie ein Roman beginnt das Sachbuch "Der Heimatinstinkt". Darin beschreibt der deutsch-US-amerikanische Biologe spannend die globalen Reisen der Tiere – und was die Forschung über ihre Orientierung weiß.
Als Zehnjähriger steht Bernd Heinrich tagelang an der Reling eines großen Schiffes – seine Eltern wandern aus der vertrauten deutschen Provinz in das ferne Südamerika aus. "Ziellos kam ich mir vor, wie ein Blatt, das der Sturm vor sich hertreibt, ich fühlte nur das Schwanken, die Gischt, die Unendlichkeit und die Macht der Wellen." In seiner Trauer freut sich der Junge, als ein riesiger weißer Albatros neben dem Schiff auftaucht. Tagelang kreuzt das Tier zwischen der gestaltlosen Leere des Himmels und dem Schiff hin und her. Wie schafft er es, über dem gleichförmigen Ozean zielsicher immer wieder das Schiff anzusteuern?

Auf du und du mit Spinnen und Sturmvögeln

Wie einen Roman beginnt Bernd Heinrich sein Buch "Der Heimatinstinkt" und kehrt oft zu dieser Erzählform zurück, verwebt kunstvoll Sachbuch, Forscherbiografie und literarisches Wort miteinander. Die Begegnung mit dem Albatros wurde für ihn zur Initialzündung, sein Forscherleben der Heimatliebe der Tiere zu widmen. Was er in jahrelangen biologischen Feldversuchen – auf du und du mit Spinnen, Sturmvögeln und Kastaniensetzlingen – herausgefunden hat, erzählt er in seinem Buch.
Ob Raupen in ihrem Kokon oder Vögel in Höhlen und Nestern, ob Ameisen in ihrem Bau oder Menschen in der Etagenwohnung, ob Spinnen in ihrem Netz oder Baumkeimlinge auf einem Stück Waldboden – einen Ort einnehmen zu wollen, an dem es sich leben und überleben lässt, an dem Junge aufgezogen oder Samen verstreut werden können, ist ein universelles Bedürfnis. Selbst kleine Fische finden im endlosen Ozean ein Zuhause in ihrem Schwarm, mit dem sie sich so eng verbinden, dass sie sich lieber gemeinschaftlich von einem Wal verschlucken lassen, als sich auch nur für einen Moment zu verstreuen. In der nüchternen Sprache der Biologie "rechnet" sich das: Fische, die bei ihrem Schwarm bleiben, haben trotz Walappetit die höhere Überlebens- und Reproduktionswahrscheinlichkeit.

Beeindruckende Beschreibung der Tierreisen

In beeindruckenden Passagen beschreibt der Autor die globalen Reisen der Tiere. Spannend berichtet das Buch, was die Forschung heute über die Orientierung an Erdmagnetfeld, Sternenhimmel, Sonnenstand und Landschaftsmerkmalen weiß – und vieles bleibt ein Geheimnis. Was bewegt einen kleinen Vogel dazu, einen zehntausend Kilometer langen Non-Stop-Flug aufrecht zu erhalten, bei dem er das eigene Gewicht halbiert und auf dem letzten Wegstück selbst die eigenen Muskeln aufzehrt, um daraus ein letztes Quentchen Energie zu gewinnen? Was bewegt einen Lachs dazu, sich gegen die Strömung von Meeren und Flüssen zu quälen, um verendend im letzten Lebensmoment seine Eier genau an dem Ort abzulegen, an dem er selbst geboren wurde?
Aus biologischer Sicht ist die Antwort klar: "Wo ich selbst herkomme, da lässt sich ein Kind aufziehen", das ist das evolutionäre Prinzip hinter jeder Heimatliebe, schlussfolgert der Autor. Ein Hauch Vermenschlichung, viel geduldig beobachtende Biologie und eine großartige Vielfalt überraschender Lebenseinsichten und Forschungserkenntnisse – mit "Heimatinstinkt" ist Bernd Heinrich ein Kleinod der erzählenden Biologie gelungen.

Bernd Heinrich: Der Heimatinstinkt. Das Geheimnis der Tierwanderung
Herausgegeben von Judith Schalansky, übersetzt von Hainer Kober
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017
320 Seiten, 38 Euro

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