Bernard Pivot

Frankreichs Kritikerpapst kommt zur Buchmesse

Literaturkritiker Bernard Pivot
Literaturkritiker Bernard Pivot Mitte der 1980er-Jahre in der französischen Literatursendung "Apostrophes". © imago/Leemage
Von Dirk Fuhrig · 26.09.2017
Bernard Pivot schuf in den 1980er-Jahren mit der französischen Kultursendung "Apostrophes" die Vorlage für das "Literarische Quartett" mit Marcel Reich-Ranicki. Heute ist der Literaturkritiker immer noch aktiv - und er reist auch zur Frankfurter Buchmesse. Hier erzählt er, worauf er sich besonders freut.
Hausbesuch beim Literaturpapst. Bernard Pivot wohnt fast direkt an einer der Straßen, die sternförmig vom Arc de Triomphe abgehen, im großbürgerlichen Teil des 17. Arrondissements. Ich klingele aber nicht an einem der klassischen Pariser Haussmann-Gebäude, sondern an einer Art Pförtner-Häuschen – in dessen oberster Etage empfängt mich Frankreichs Fernseh-Legende in einem loftartigen Raum mit gläserner Kuppel in der Decke. Sofort kommen wir auf die Lage der Literatur im öffentlichen Bewusstsein zu sprechen:
"Früher waren unsere Spitzen-Politiker hier in Frankreich selbst begeisterte Leser: Charles de Gaulle, Georges Pompidou, François Mitterrand – aber der war der letzte. Danach war es zum Verzweifeln: Chirac, Sarkozy und Hollande konnten mit Literatur nichts anfangen."
Kein Wunder also, dass es mit Frankreich in jenen Jahren bergab ging… Seit der diesjährigen Wahl, die das Land so aufgewühlt hat, gibt es Hoffnung, meint Pivot:
"Jetzt ist es zum Glück wieder anders. Unser neuer Präsident hat Philosophie studiert und liest gern, der Premierminister ebenfalls. Die Kulturministerin ist Verlegerin – nun gut, das ist ja eher normal. Aber das Lesen hat in Frankreich eine neue Vitalität entwickelt."

Sprudelt seine Sätze hervor wie eh und je

Vital wirkt auch Bernard Pivot, wie er da auf seinem weißen Ledersofa sitzt. Er ist in diesem Jahr 82 geworden – und sprudelt seine Sätze hervor wie eh und je.
"Ich hatte Glück. Als ich beim Fernsehen war, gab es noch keine Quoten. Da wusste man noch nicht einmal, was das ist. Manchmal hat mir der Chef gesagt: Mensch, gestern hattest Du ne ganze Menge Zuschauer. – Na ja, gut, dachte ich. – Heute haben Sie am nächsten Morgen um fünf nach neun die Ergebnisse vom Vorabend, praktisch Minute für Minute. Quoten-Faschismus nenne ich das."
Bernard Pivot ist der Marcel Reich-Ranicki Frankreichs. Jedenfalls was die Präsenz im Fernsehen angeht, wo er jedoch immer eher jovialer Gastgeber als scharfer Kritiker war. Seine Büchersendung "Apostrophes" war in den 70er- und 80er-Jahren ein Pflichttermin für rund zwei Millionen Zuschauer. Danach kam "Bouillon de Culture". In der "Kultursuppe" – wie der Sendungstitel wörtlich zu übersetzen wäre – plauderte er mit Schriftstellern, Schauspielern und sonstigen Medienstars in heiterer Runde.
"Das wird schon spektakulär, wenn wir als Académie Goncourt in Frankfurt auftreten. Wir machen damit Werbung für die französische Literatur und die Sprache. Ich bin grundsätzlich ein Freund von allen Buchmessen und Preisen, weil dadurch Aufmerksamkeit erregt wird."
Der Präsident der Académie Goncourt, unter dessen Ägide Virginie Despentes – Autorin des extrem zeitgenössischen Erfolgsromans "Subutex" – in die Jury aufgenommen wurde, ist ein Profi in Sachen PR. Er wirbt für eine Öffnung des literarischen Betriebs.
"Französische Literatur wird ja nicht nur von Franzosen geschrieben. Es sind auch Autoren aus Québec, aus Belgien, aus der Schweiz, aus Afrika, aus dem Maghreb. Ich erinnere daran, dass der letzte Goncourt-Preis an Leïla Slimani ging, eine Franko-Marokkanerin."

Der TV-Legende Pivot liegen besonders die oft übersehenen Bücher aus dem frankophonen Teil Kanadas am Herzen.
"Schauen sie Tahar Ben Jalloun an, er ist Marokkaner und Mitglied der Académie Goncourt. Oder Kamel Daoud, er ist Algerier und im Rennen für den diesjährigen Prix Goncourt. Es ärgert mich, dass wir für die Literatur aus Québec nicht besonders offen sind. Was jenseits des Mittelmeers passiert, interessiert uns mehr als das, was jenseits des Atlantiks geschrieben wird. Das ist schade."
Bernard Pivot (l) und Leïla Slimani
Bernard Pivot (l) und die französisch-marokkanische Schriftstellerin Leïla Slimani, die 2016 für ihren Roman "Chanson douce" mit dem Goncourt-Preis ausgezeichnet wurde. © picture alliance/dpa/Foto: Christophe Petit Tesson

Hat selbst auch Bücher geschrieben

Bernard Pivot hat selbst Bücher geschrieben. Über die französische Sprache – aber auch über die Kunst des Weintrinkens. Die Reise an den Main, so erzählt er schmunzelnd, reizt ihn auch aus durchaus außerliterarischen Gründen:
"Ich freue mich sehr, wieder nach Frankfurt zu fahren. Ich habe wunderbare Erinnerungen an meine Jugend, als ich dort als Zeitungsreporter die Literaturleute aus aller Welt interviewt habe. Das war in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Abends sind wir zusammen mit den Verlegern in die Bars gegangen. Im Bahnhofsviertel gab es unerhörte Striptease-Shows. Und mit den Schriftstellern haben wir morgens um zwei noch Whiskey getrunken."
Schöne Aussichten also für den 11. Oktober – den Beginn der Buchmesse mit ihrem Motto "Francfort en français".
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