Berliner Schulgebäude

Lernen bei Einsturzgefahr

Berlin-Weißensee: Die Proteste an den Schulen weiten sich aus. Nach dem geplanten Lehrerstreik am 12. April 2000 wollen die Schüler zu einem großen Sternmarsch im Mai aufrufen. Andere hoffen, dass ihre marode Schule wenigstens teilweise saniert wird.
Marodes Schulgebäude in Berlin-Weißensee im Jahr 2000. © picture alliance / dpa / Berlin Picture Gate
Von Philip Banse · 06.10.2016
In der Berliner Kronach-Grundschule tropft es bei jedem Regen von der Decke, provisorisch gebaute Pavillons drohen einzustürzen. Die Schule ist kein Einzelfall: Berlins Schulgebäude sind marode, weil zu lange gespart und schlecht geplant wurde. Was schlägt die Politik vor?
Zweiter Stock der Kronach-Grundschule im wohlhabenden Bezirk Steglitz-Zehlendorf, vor einem Jahr. Rainer Belusa, damals Schulleiter der Grundschule, steht im Flur und blickt zur Decke: Ein handtuchgroßes Loch gibt den Blick auf Rohre und Leitungen frei.
"Von oben tropft es durch, befeuchtet dann die Deckenplatten, und nach einer bestimmten Zeit sind die durchgefeuchtet, speziell nach dem Regen und dann kommen die Deckenplatten hier runter. Die fallen hier in Teilen ab. Und dann hoffen wir immer, dass das in einer Zeit passiert, in der hier keine Kinder sind."

Kaputte Decke seit 32 Jahren

In die Kronach-Grundschule regnet es rein. Flure, Leseraum, Klassenzimmer - fast kein Raum ohne braune Wasserflecken an Decken und Wänden. Eine Schülerin im Leseraum deutet auf ein Wasserloch in der Decke:

"Wir waren auch mal hier im Unterricht und dann ist die Decke runtergefallen. Also da in der Ecke hat es öfter auch getropft und dann ist es runter gefallen, ein Teil von der Decke. Da ist jetzt ja auch ein Loch…Und das Ganze passiert eben nach jedem größeren Regen. Nach jedem größeren Regen tropft es hier irgendwo durch. "
Und zwar nicht erst seit gestern, auch nicht seit vorgestern, sagt Schulleiter Belusa – sondern seit…
"…32 Jahren. Und ist seit 32 Jahren nicht in den Griff zu bekommen."
Und so hat sich an der Kronach-Grundschule auch im zurückliegenden Jahr nichts grundlegend verbessert. Es gibt einen neuen Schulleiter, ein paar Bauanträge, aber wenn es regnet, regnet es immer noch rein.

5,5 Milliarden Euro für angemessene Sanierung nötig

Berlins Schulen sind in einem miesen Zustand. Fassenden fallen ab, Toiletten sind kaputt, ganze Gebäude sind gesperrt wegen Einsturzgefahr. Und der Druck wird immer größer, weil Berlin boomt: In den nächsten Jahren kommen 86.000 zusätzliche Kinder in die Schulen, warnt Lydia Sebold vom Grundschulverband:
"Unabdingbar ist bei den steigenden Schülerzahlen, dass neue Gebäude geschaffen werden und dass die bestehenden Gebäude dringlichst saniert werden – und zwar so saniert, dass inklusiver Unterricht in allen Gebäuden möglich ist."
Gemeint ist also, dass also Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam unterrichtet werden können. Marode Gebäude, mehr Schüler, gestiegene Ansprüche an moderne Schulen - vor den Sommerferien offenbarte ein offizielles Gutachten das Ausmaß der Schäden, das die schlechten Erwartungen noch übertraf: 5,5 Milliarden Euro werden benötigt, um in Berlin halbwegs angemessene Schulen für alle zu bieten. Denn über Jahre wurde gespart: bei Sanierungen und bei Schulbehörden. Hat der Senat zu lange gespart? Der noch amtierende Staatssekretär für Bildung, Mark Rackles:
"Im Nachhinein wissen alle, was fehlgeplant wurde, vor 20 Jahren. Dann haben einige Bezirke, nicht alle, speziell aber im Osten einige Bezirke zu früh auf Gebäude verzichtet, was man heute bereut. Andererseits kann man niemand vorwerfen, dass er 15 Jahren nicht wusste, wie sich die Stadt entwickelt. Wir haben ja vor fünf Jahren, vor drei Jahren, nicht wirklich geahnt, dass diese Dynamik wie im Moment in Berlin einschlägt."

Personalmangel, Fehlplanungen, schlechte Kommunikation

Konnte ja keiner wissen und im Zweifel sind die Bezirke schuld – die spezifische Aufteilung der Verwaltung in Bundesland und Bezirke lähmt Berlin und ist auch ein Grund für die maroden Schulen. So musste der Bezirk Steglitz-Zehlendorf 400.000 Euro an das Land Berlin zurückgeben, die eigentlich für die Schulsanierung vorgesehen waren. Grund: Das Bauamt des Bezirks hat nicht genug Personal, um das Geld zu verplanen.
Schulleiter klagen zudem, die Berliner Behörden würden Sanierungsarbeiten schlecht koordinieren. So sind in vielen Bezirken drei verschiedene Ämter für die Schulbauten zuständig. Wegen des Baumbooms in der Hauptstadt haben die Behörden zudem Probleme, fähige Ingenieure zu finden. Die Folge: Fehlplanungen.

"…man hat in der Mühlenau-Schule festgestellt bei einer Sanierungsmaßnahme, dass bestimmte Träger einen Riss haben."

So wurden an sieben Berliner Schulen vor Jahren provisorische Pavillons aufgestellt für mehr Klassenräume. Vor kurzem mussten alle diese Pavillons geräumt werden, auch Vierte Klassen der Kronach-Grundschule mussten sich neue Räume suchen. Grund: Einsturzgefahr.

"…da oben in der Ecke, sehen sie da den kleinen Riss? Von der Ecke ausgehend? Der liegt falsch auf. "

In der Kommunikation zwischen Hochbau-, Schul- und Stadtentwicklungsamt war untergegangen, dass die Pavillons nur eine befristete Betriebserlaubnis haben, die längst abgelaufen ist. Hastig wurden Stützpfeiler eingezogen.

Vorschlag der Linken: landeseigene GmbH für Sanierung

"Wir brauchen ganz neue Strukturen, und ganz neue Denkweisen, um die Schulgebäude zu sanieren."
…fordert Ralf Treptow, Vorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren. Die Parteien, die wahrscheinlich Berlins nächste Regierung bilden, sehen das ähnlich:
"Wie man den wachsenden Sanierungsbedarf in Berlin finanzieren kann – ein Vorschlag der Berliner Linksfraktion."

In einem feschen PR-Video erklären die Linken: Berlin solle eine landeseigene GmbH gründen und ihr die Schulen übertragen. Statt die Schulen zu sanieren, mietet die Landesregierung die Schulen. Die GmbH soll dann bei Banken die Milliarden für die Schulsanierung aufnehmen:

"Tilgung und Zinsen stehen da fest und werden aus den jährlichen Mietzahlungen für die Schulen refinanziert. Die Schulen werden zügig saniert und neue Schulden im Landeshaushalt werden nicht gemacht."

So oder so ähnlich stellen sich auch SPD und Grüne vor, die Schulen zu sanieren. Alle Pläne laufen darauf hinaus, die Berliner Bezirksverwaltungen zu entmachten. Wenn das gelänge, wäre Berlin noch nicht Hamburg, aber doch einen guten Schritt weiter.