Berliner Schaubühne

"Ich erwarte ein klares Signal"

Der Regisseur und künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, während eines Fototermins vor der Vorstellung der Chronik "50 Jahre Schaubühne" am 26.09.2012 in Berlin
Der Regisseur und künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier © picture-alliance / dpa / Florian Kleinschmidt
Intendant Thomas Ostermeier im Gespräch mit Dieter Kassel  · 17.04.2015
Mehr Events oder doch lieber das klassische Ensemble-Theater? Derzeit wird um die Zukunft der Berliner Theaterlandschaft gestritten. Jetzt hat sich auch Thomas Ostermeier von der Berliner Schaubühne positioniert: Die Kulturpolitik müsse klare Stellungnahmen abgeben.
Der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, hat sich in der derzeitigen Debatte um die Berliner Theaterlandschaft positioniert und dabei auch seine eigene berufliche Zukunft thematisiert.
Zur Personaldebatte wolle er sich zwar nicht äußern, doch er erwarte ein klares Signal von der Kulturpolitik auch in Richtung der Schaubühne, sagte Ostermeier im Deutschlandradio Kultur. Die Kulturpolitik müsse klare Stellungnahmen und Einschätzungen zur Berliner Theaterlandschaft vornehmen, forderte er:

"Da erwarte ich von jedem Politiker, wie er auch immer heißt (...), dass sie einfach sagen: 'Wir finden es gut oder nicht. (...) Und wenn sie sagen: 'Nee, das reicht uns jetzt' - dann kann das in meinem Fall zum Beispiel dazu führen, dass ich schulterzuckend sage: 'Nee, wisst Ihr, es war wahnsinnig schön. Aber die ganzen vielen, sehr lukrativen Angebote, die ich in der Vergangenheit hatte, dann kann ich denen jetzt endlich mal nachkommen.'"
Die Bedeutung der Ensemble-Struktur
Ostermeier verwies auf die Bedeutung der Ensemble-Struktur für die Theaterarbeit. Überall auf der Welt beneide man das deutsche Theatersystem, bis hin nach Amerika:
"Wo sie uns sagen: 'Leute, lasst euch bloß nicht dieses Ensemble-System nehmen. Wir wären so froh, wenn wir das hier in New York zum Beispiel hätten. Weil hier junge Theatermacher gar keine Chance haben, sich irgendwie zu entwickeln.'"
Der Intendant der Berliner Schaubühne ging auch auf seine Auswahlprinzipien für das heute in seinem Haus beginnende, zum 15. Mal stattfindende Festival Internationale Neue Dramatik F.I.N.D. ein. Bei der Stückeauswahl habe ihn die Suche nach einem formal avancierten und engagierten Theater geleitet, meinte Ostermeier:
"Was versucht, den Blick auf den Karren Demokratie, der gerade im Dreck steckt, zu lenken."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wer vom Theater immer Shakespeare, Schiller und Goethe erwartet, und das auch noch in möglichst werkgetreuer Inszenierung, der sollte an den nächsten zehn Tagen einen großen Bogen um die Berliner Schaubühne machen. Ob er das sonst nicht auch tun sollte, ist ein anderes Thema, aber in diesen zehn Tagen schon. Denn da findet wieder – inzwischen schon zum 15. Mal – das Festival Internationale Neue Dramatik statt, abgekürzt F.I.N.D. Und wie der Name schon so ein bisschen andeutet, gibt es da Sachen zu sehen – es sind alles Deutschland-Premieren –, gibt es da Sachen zu sehen in diesem Fall aus vier Kontinenten, die man sonst nicht zu sehen kriegt. Und in der Regel dann danach in Deutschland auch nicht mehr. Wir wollen darüber reden mit dem künstlerischen Leiter der Berliner Schaubühne, mit Thomas Ostermeier. Morgen, Herr Ostermeier!
Thomas Ostermeier: Guten Morgen!
Kassel: Ich will keinen billigen Kalauer mit dem Namen des Festivals machen, aber trotzdem: Wie findet man diese Inszenierungen für dieses Festival?
Die Auswahlprinzipien für F.I.N.D.
Ostermeier: Ja, das ist hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, dass wir selber so wahnsinnig viel unterwegs sind. Im letzten Jahr haben wir 100 Vorstellungen außerhalb Deutschlands gespielt, an 35 Orten der Welt. Und das sind oft Theaterfestivals, zum Beispiel das Festival d'Avignon. Ich gehe schon vorher speziell hin, wenn ich das Gefühl habe, dass dort ein zum einen formal avanciertes Theater gemacht wird und zum anderen auch ein engagiertes Theater. Was versucht, den Blick auf, ja, den Karren der Demokratie, der gerade im Dreck steckt, zu lenken. Ich weiß nicht, ob das ein Hinweis darauf ist, dass die Welt unruhiger, unsicherer wird und nach einer Analyse und Durchdringung schreit, oder ob das ein Hinweis darauf ist, dass wir nur danach gesucht haben. Ich glaube eher ersteres!
Kassel: Wie gesagt, es sind vier Kontinente, das kommt hin, die Zahl, wenn man Nord- und Südamerika getrennt rechnet, dann haben wir noch Europa, dann haben wir mit Israel noch Asien, so habe ich mir das ausgerechnet.
Ostermeier: Ja, schön, so habe ich noch gar nicht gerechnet!
Kassel: Ist das eigentlich ein Globalisierungsphänomen, wenn man jetzt dieses Fest sieht ...
Ostermeier: Ja.
Kassel: ... und wie die Stücke sind, oder sind das doch Stücke, die alle auch ziemlich für die Länder stehen, in denen sie entstanden sind?
Das Globalisierungsphänomen
Ostermeier: Sie stehen für das Globalisierungsphänomen, dass in allen Kontinenten die Frage dräut: Wie schaffen wir es, mit zwei Herausforderungen fertig zu werden? Das eine ist die ökologische Herausforderung. Und das andere ist die politische Herausforderung, wo eine ökonomische Krise oder eine Krisenhaftigkeit der Gesellschaften eher ein Ausdruck einer politischen Krise ist und nicht zwingend einer ökonomischen Krise. Und diese Frage wird überall auf der Welt gestellt.
Da gibt es dann bestimmte Krisenherde. Sie haben es schon angesprochen, wie Nahost, aber es gibt auch andere Länder wie Chile, die jetzt nach mehreren Jahren raus sind aus der Diktatur und sich jetzt anfangen selbst zu vergewissern, was war da eigentlich? Was ist mit Allende damals vielleicht falsch gelaufen? Da ist eine Second Generation nach Allende, der ja für alle Linken und Kapitalismuskritiker immer so eine Lichtgestalt war, und jetzt kommt da eine junge politische Gruppe aus Chile, La Re-Sentida, und stellt diese Figur, diese Lichtgestalt auch noch mal kritisch infrage! Wir könnten jetzt über alle Projekte reden, das schaffen wir gar nicht, also vielleicht so weit ...
Kassel: Reden wir noch mal über die, die meines Erachtens fehlen: Afrika fehlt, Asien jenseits von Israel fehlt. Ein bisschen beschrieben, wie Sie die Stücke finden, hat das also einfach praktische Gründe oder ist der afrikanische Kontinent und, wie gesagt, Asien jenseits von Israel irgendwie nicht Teil dieser globalisierten Theatergemeinde?
Ostermeier: Na ja, was ich gerade beschrieben habe, war ja nicht so sehr die globalisierte Theatergemeinde, sondern war eher die globalisierten Probleme der Welt. Aber ich weiß, dass zum Beispiel in Avignon, wo ich ja jeden Sommer bin und am meisten recherchiere nach neuen Truppen und Stoffen, dass Afrika sehr starkes engagiertes Theater hat. Was natürlich überhaupt nicht die Infrastruktur und Unterstützung hat wie in westlichen Gesellschaften. Wir werden dieses Jahr im Rahmen von unserer Zusatzveranstaltung F.I.N.D. plus tunesische Theaterstudenten dabei haben. Und das ist für mich immer mit einer der spannendsten Punkte bei dem Festival, weil da ungeheure Dynamiken entstehen und vor allen Dingen unsere deutschen und französischen Studenten mit Orten in der Welt konfrontiert werden, wo das Theaterstudentendasein nicht so ein Zuckerschlecken ist.
Der Berliner Theaterstreit
Kassel: Bei dem, was Sie machen, wie Sie arbeiten auch jenseits von F.I.N.D, betrifft Sie das eigentlich? Sie sind 46 inzwischen, also für die Position wohl noch keiner der Alten.
Sie ahnen schon, worauf ich hinaus will: Betrifft Sie eigentlich der aktuelle Berliner Theaterstreit in irgendeiner Form, also der Brief von Claus Peymann, der öffentliche Brief in der "Zeit", wo er Tim Renner als unter anderem größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts bezeichnet hat, Renner hat jetzt gerade in der aktuellen "Zeit" darauf geantwortet. Und die ganze Republik schaut, ja, auf was eigentlich aus Ihrer Sicht? Auf zwei Männer, die sich einfach streiten, oder steckt da mehr dahinter?
Ostermeier: Nein, da steckt schon mehr dahinter, wobei ich mich jetzt zu dieser Personaldebatte nicht äußern möchte. Weil, wie man jemanden als ein Hemd oder ein leeres Hemd bezeichnet oder nicht, ist für mich nicht wichtig. Für mich ist wichtig, in dieser Stadt partizipieren wir als Sprechtheater mit 0,7 Prozent des Budgets des Landeshaushalts Berlin, das ist, wie ich finde, doch ein nicht so gigantischer Anteil von Theater am Landeshaushalt.
Und diese Debatten werden ja gerne über Geld und gerne auch mit so einer Verteilungskampfideologie geführt, also muss man jetzt den einen noch mehr Geld geben oder muss man denen jetzt noch so ein Theater wie die Volksbühne geben, wo sie doch so viel schon von dem anderen haben et cetera, et cetera. Ich glaube, überall, wo wir hinkommen auf der Welt, werden wir für das deutschsprachige Theatersystem beneidet. Bis hin nach Amerika, wo sie uns sagen, Leute, lasst euch bloß nicht dieses Ensemble-System nehmen, wir wären so froh, wenn wir das hier in New York zum Beispiel hätten! Weil, hier haben junge Theatermacher überhaupt keine Chance, sich irgendwie zu entwickeln oder geschweige denn irgendwann mal beim großen Publikum durchzusetzen.
"Es gibt andere, sehr lukrative Angebote"
Und da erwarte ich von jedem Kulturpolitiker, wie er auch immer heißt – der erste Ansprechpartner ist für uns Herr Müller, der Bürgermeister der Stadt –, erwarte ich, dass sie einfach sagen: Wir finden es gut oder nicht, und wenn wir das gut finden, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass das weitergehen kann. Und wenn sie sagen, nein, das reicht uns jetzt, dann kann das in meinem Fall zum Beispiel dazu führen, dass ich dann schulterzuckend sage, ja, wisst ihr, es war wahnsinnig schön, aber die ganzen vielen sehr lukrativen Angebote, die ich in der Vergangenheit hatte, dann kann ich denen jetzt endlich mal nachkommen. Ich erwarte mir da von wem auch immer und wie der heißt ein klares Signal.
Kassel: Thomas Ostermeier, der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne über Theater in Berlin, aber vor allen Dingen Theater auf der ganzen Welt, denn genau das ist an seiner Schaubühne zu erleben beim F.I.N.D.-Festival, das heute beginnt und bis zum 26. April läuft. Herr Ostermeier, danke!
Ostermeier: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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