Berliner Paten bürgen für Flüchtlinge

Mit dem Flugzeug in ein neues Leben

Reisende und Flüchtlinge an Check-In-Schaltern in Berlin-Tegel
Nicht alle Flüchtlinge müssen die gefährliche Mittelmeer-Route absolvieren, manche können auch einen Flug nehmen. © dpa / picture-alliance / Gregor Fischer
Von Anja Nehls · 05.05.2017
Ein Berliner Verein macht möglich, dass syrische Flüchtlinge legal nach Deutschland einreisen können. Das geht, weil Berliner für sie bürgen - für bis zu fünf Jahre.
Zoya ist aufgeregt. Die junge Frau mit den schwarzen Locken steht abends um kurz nach zehn am Gate des Flughafens in Berlin Schönefeld, dort wo die Maschine aus Beirut ankommen soll. An Bord sind ihre Brüder aus Damaskus, endlich. Mehrere Jahre waren die drei getrennt:
"Irgendwann gab es nicht mehr Gründe, damit die Brüder nichts ins Miltär zu gehen, das wollen wir nicht. Jeder hat seine politische Meinung. Hauptsache, wir wollen nicht in diesem unfassbaren Krieg mitmachen."
Und wenn sie sich weigern das zu tun, steht ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Anas und Hussein sind 19 und 25 Jahre alt. Der eine ist Zahnarzt in Damaskus, der andere studiert Ökonomie. Dass sie nicht auf lebensgefährlichem Weg auf einem Schlauchboot übers Mittelmeer nach Deutschland kommen müssen, verdanken sie dem Berliner Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Syrien und dem Nordirak und dem Verein Flüchtlingspaten von Martin Keune, der solche legalen Einreisen möglich macht:
"Wir helfen denen, indem wir eine Verpflichtungserklärung ermöglichen. Wir finden einen Bürgen oder eine Bürgin, die bereit ist zu unterschreiben und sich fünf Jahre lang zu verpflichten, den Lebensunterhalt und die Miete zu bezahlen. Und wir signalisieren diesen Bürginnen und Bürgen, ihr könnt das ruhig machen, ihr braucht keine Angst vor den finanziellen Folgen zu haben, weil wir als Verein übernehmen die."

Hartz-IV-Satz für die Syrer

Über 4.000 Menschen spenden inzwischen regelmäßig Beträge ab zehn Euro im Monat an den Verein, monatlich kommen so über 100.000 Euro zusammen. Davon zahlt der Verein das Leben der Syrer in Berlin, also das, was dem Hartz-IV-Satz entspricht, plus Miete für eine Wohnung, durchschnittlich rund 600 Euro monatlich für einen Erwachsenen. Weitere 150 Menschen haben dafür gegenüber dem Land Berlin gebürgt. Eine davon ist eine junge Berliner Rechtsanwältin. Zusammen mit ihrem Mann ist auch sie an diesem Abend am Flughafen:
"Weil wir gerne die Brüder kennenlernen wollen, wir haben zu Zoya schon länger Kontakt, zum Glück zahlt der Verein ja zu und sagt, so wollen sie für den oder den bürgen. Weil ich glaube, ich könnte nicht selber aussuchen, für wen ich denn bürgen würde, das macht der Verein. Und so habe ich Zoya dann kennengelernt, und ich habe für einen ihrer Brüder gebürgt."
Das bedeutet, dass sie fünf Jahre lang zahlen müsste, wenn der Verein Flüchtlingspaten für den Unterhalt und die Wohnung der ins Land geholten Syrer nicht mehr aufkommen kann. Angst davor hat sie nicht:
"Nö, wir haben das durchgerechnet. Meine Familie steht da hinter mir und wir haben das durchgerechnet, dass wir das dann irgendwie hinkriegen würden, wenn wirklich der Verein ausfällt. Und jetzt ist es ja auch auf fünf Jahre befristet, also ich finde das ist jetzt überhaupt kein Risiko mehr."
Knapp 200 Syrer hat der Verein auf diese Weise bereits nach Berlin geholt. Nur noch in Hamburg, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Thüringen ist Vergleichbares möglich. Die meisten anderen Bundesländer haben ihre vor knapp vier Jahren eingerichteten Landesaufnahmeprogramme inzwischen wieder eingestellt. Der Grund war ein Streit zwischen einigen Bundesländern und dem Bundesinnenminister. Der Minister war der Meinung, dass eine einmal abgegebene Verpflichtungserklärung dauerhaft gilt, die Bundesländer waren der Ansicht, dass die Bürgschaft mit Asylanerkennung endet. Eine Fehlinformation für die Bürgen, sagt Martin Keune. Er habe über die Situation in Berlin von Anfang an Bescheid gewusst:
"Wir haben uns immer darauf eingestellt, dass wir unbefristet für die Leute haften und jetzt wissen wir, dass es fünf Jahre sind, weil das im Integrationsgesetz im Sommer letztes Jahr auf fünf Jahre befristet worden ist."
Zwischen 15 und 20 Anfragen von Syrern in Berlin bekommt der Verein jeden Tag. Geholt werden kann nur, wer bereits einen Angehörigen hat, der länger als ein Jahr in Berlin lebt. Auswählen muss der Verein, hauptsächlich geht es darum, wer in Syrien akut gefährdet ist. Christina Bausch, inzwischen über 70, hat gleich eine ganz Familie nach Deutschland geholt, kümmert sich um Wohnung, Arbeit und Alltägliches, zahlt und bürgt für die Syrer:
"Es ist Krieg da. Ich kenne Krieg. Irgendwie habe ich gedacht, es kann nicht sein, dass wir zufrieden sind, dass unserer Eltern mal im Widerstand waren, also man muss irgendwas selber machen. Also das ist auch ein Risiko. Aber ich habe mir einfach gedacht, die werden auf eigene Beine kommen wollen."

Eine Wohnung zu finden ist eine Riesenherausforderung

Anas und Hussein mit Sicherheit, meint zumindest deren Schwester. Sie selbst ist seit 2012 in Berlin und schreibt zur Zeit an ihrer Doktorarbeit in Architektur. Auch ihre Brüder würden hier schnell auf eigenen Füßen stehen wollen:
"Integrationsphase erstmal, dann Deutsch lernen, vielleicht der Bruder wollte gerne was studieren, der andere wollte nur ein paar Prüfungen machen, damit er als Zahnarzt hier arbeiten könnte, sie bezahlen Steuern später. Aber ich glaube sie sind auch eine gute Investition für Deutschland…"
Zunächst investiert allerdings der Verein in die beiden Syrer. Besorgt eine Wohnung, was in Berlin eine Riesenherausforderung ist, hilft bei der Anerkennung des Zahnmedizin-Abschlusses für den einen und beim Studienplatz für den anderen, kümmert sich, wenn es Probleme gibt, auch psychische. Die gibt es häufig, wenn Menschen ihre Heimat verlassen, um hier neu anzufangen. Jetzt endlich kommen die beiden Brüder vom Gate – erst einmal glücklich. Das ganze bisherige Leben in einem mittelgroßen Rollkoffer.
"I can't believe it. I have no words. I'm so happy, I thank you so much for having us. I'm just happy."
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