Berliner Gastronomen vor dem Coronawinter

Heizpilze, frische Luft und viel Hoffnung

07:13 Minuten
Bisher zur Seite gestellt sind die Heizpilze eines Straßencafes vor dem Fernsehturm am Alexanderplatz in Berlin.
Heizpilze könnten bald ein Revival feiern - doch es gibt Widerstand dagegen. © dpa/ Stephanie Pilick
Von Benjamin Dierks · 22.09.2020
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Nichts beschäftigt die Gastronomen mehr als die Frage, wie sie finanziell durch den Winter kommen. Die einen setzen auf beheizte Wintergärten, andere auf regelmäßiges Lüften. Sogar der umstrittene Heizpilz für den Bürgersteig wird wieder diskutiert.
Ute Sedelies schiebt die Türen einer kleinen grauen Skigondel auf. Die hängt nicht mehr wie einst an einem Lift in den Bündner Alpen, sondern steht ausrangiert neben hölzernen Restauranttischen und Sonnenschirmen am Rand einer weitläufigen Terrasse im Weinbergspark in Berlin-Mitte.
Auf Berggipfel fährt die Gondel schon lange nicht mehr, aber vielleicht kann sie Ute Sedelies nun über den kalten Berliner Corona-Winter helfen. Die Restaurantchefin weist auf das Innenleben:
"Das ist ein kleiner Tisch für vier Leute mit Licht und mit Heizung, da kommen Felle rein und Kissen, und dann machen wir die warm und dann kannst du da auch im Winter drin essen. Wenn du darin ein Fondue isst, riechst du danach selber auch wie eines."
Sedelies leitet das Restaurant Nola’s, das seit bald 20 Jahren in einem Pavillon in dem Berliner Park Schweizer Spezialitäten anbietet. Wie viele Berliner Gastronomen kämpft sie mit den Einbrüchen durch die Coronakrise.
Im Sommer sorgten das gute Wetter und die große Terrasse im Grünen dafür, dass der Laden einigermaßen lief. Aber nun stehen die kalten Herbst- und Wintertage bevor. Ute Sedelies und Inhaber Stefan Schneck befürchten, dass das Geschäft einbricht. Deshalb wollten sie neben ihren drei Skgondeln auch einige Holzhäuschen auf die Terrasse stellen und wie Alphütten dekorieren, berichtet Schneck.

"Wir haben wirklich Angst vor dem Winter"

"Wir versuchen einfach, möglichst viele kleine Einheiten zu schaffen, dass man bei vier bis sechs Leuten sagen kann: Ihr seid safe, ihr müsst euch keine Sorgen machen, hier seid ihr wirklich unter euch. Das ist das Ziel, also irgendwie zu versuchen, den Umsatz hochzuhalten."
Sedelies und Schneck fahren ihren Betrieb ohnehin auf Sparflamme. Die Öffnungszeiten sind verkürzt, die Speisekarte eingedampft und die Zahl der Mitarbeiter ist um die Hälfte geschrumpft. Die Hütten und Gondeln sollen nun etwas von dem Platzverlust wettmachen, den sie wegen der Coronaauflagen im Innern des Restaurants hinnehmen mussten. Rund die Hälfte der Tische musste verschwinden. Maximal sechs Gäste dürfen zusammensitzen.
Ute Sedelies (r.), Restaurantleiterin des Nola's in Berlin-Mitte, mit Inhaber Stefan Schneck vor einer der ausrangierten Skilift-Gondeln, mit denen die Gastronomen im Winter Gäste anlocken wollen.
Ausrangierte Skilift-Gondeln für Gäste während des Coronawinters: Ute Sedelies (r.), Restaurantleiterin des Nola's in Berlin-Mitte, und Inhaber Stefan Schneck© Deutschlandradio / Benjamin Dierks
"Mit der Anzahl der Tische, die wir jetzt hier stehen haben, können wir nicht wirtschaftlich arbeiten. Und jetzt hoffen wir halt, dass unsere Maßnahmen so wirken, dass wir zumindest das, was wir bewirtschaften dürfen, tatsächlich auch füllen können - und die Leute nicht sowieso fernbleiben, weil sie einfach geschlossene Räume meiden. Wir haben schon Angst, also wirklich Angst vor dem Winter. Auch davor, wie lange es dann noch geht. Wir rechnen nicht ernsthaft damit, dass wir im Frühjahr wieder normal an den Start gehen."

Heizpilze und Plexiglaswände

Diese Sorgen teilen auch andere Café- und Restaurantbetreiber. Und sie entwerfen die unterschiedlichsten Pläne für die kalte Jahreszeit. Die einen hoffen darauf, dass Heizstrahler auf der Terrasse die Gäste lange an der frischen Luft halten, andere wollen die Aufenthaltsdauer im Innern begrenzen. Manche planen den Bau ganzer Wintergärten. Der Gaststättenverband DEHOGA fordert von der Politik mehr Entgegenkommen, um den Gastwirten beim Überwintern zu helfen. Besonders wichtig sei es für viele Betriebe, auch im Winter die Außenbereiche nutzen zu können, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Gerrit Buchhorn.
"Es geht darum, Terrassen winterfest zu machen - durch Überdachungen beispielsweise -, Wärmequellen zu nutzen, durch Nutzung von Heizlüftern oder Infrarotwärmequellen, dass man diese zusätzliche Fläche als Ausgleich für die Kapazitätsverluste im Innenbereich nutzen kann."
Der Verband macht sich unter anderem dafür stark, gasbetriebene Heizpilze, die in den zentralen Berliner Bezirken wegen ihrer Klimaschädlichkeit verboten sind, vorübergehend wieder zuzulassen — was aber vor allem bei Bezirkspolitikern der Grünen bisher auf wenig Gegenliebe stößt. Buchhorn fordert außerdem, den Mindestabstand zwischen Tischen in Innenräumen zu verringern, wenn Gastwirte Plexiglaswände aufstellen.
Das allerdings kann sich Salima Laissoub-Sturm gar nicht vorstellen:
"Ich werde auf keinen Fall irgendwelches Plexiglas zwischen die Plätze packen. Das zerstört die komplette Atmosphäre.

Keine Laptops mehr, dafür offene Fenster

Laissoub-Sturm betreibt das Café Cozys am belebten Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain. Sie profitiert momentan noch davon, dass der Bezirk wegen der Beeinträchtigungen durch Corona die Außenfläche erweitert hat, die sie nutzen kann. Vor allem am Wochenende, wenn auf dem Platz ein Wochen- und ein Trödelmarkt stattfinden, läuft das Geschäft. Den Innenraum des Cafés hatte sie schon vor der Pandemie umgebaut und mehr Platz für die Gäste geschaffen. Und den will sie effektiver nutzen, wenn es kalt wird.
"Dass Leute, die nur etwas trinken, nur bestimmte Plätze nutzen dürfen. Laptop gibt es dann halt gar nicht mehr, sodass die wenigen Plätze, die wir haben, nur zum Essen zur Verfügung stehen und wir auf die Art und Weise den Umsatz wieder reinholen. Dass nicht Leute, die sich eine Stunde lang an einem Kaffee festhalten, dann einen Platz für vier Personen blockieren."
Und für ausreichend frische Lust will die Caféinhaberin sorgen, indem sie regelmäßig die bodentiefen Fenster öffnet und lüftet. Sie ist guter Dinge, dass die Gäste es mitmachen.
"Man muss es vielleicht auch kurz erklären. Wir stellen ein Schild vorne hin: Liebe Gäste, zwischendurch lüften wir, nur, dass ihr Bescheid wisst. Zieht euch eine Jacke an oder wir legen Decken zur Verfügung."

Faustformel des Aerosol-Experten

Solch klare Regeln sind für den Aerosol-Forscher Martin Kriegel der richtige Ansatz. Kriegel leitet das Hermann-Rietschel-Institut an der Technischen Universität Berlin und beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie Erreger sich in der Luft verbreiten.
"Wie kann man es in den Alltag eines Restaurantbetriebes integrieren, dass man regelmäßig Durchzug schafft?"
Darauf wird es seiner Ansicht im Winter ankommen. Sind Corona-Viren in einem Café oder Restaurant erst in der Luft, verbreiten sie sich in wenigen Minuten überall. Allerdings hängt das Ansteckungsrisiko von der Virenlast ab. Und die verringert sich schnell durch frische Luft.
"Gute Luftqualität senkt das Risiko wirklich entscheidend, deshalb müssen wir lüften. Ein solches Infektionsgeschehen, wo eine Person mehrere andere ansteckt, gibt es in gut gelüfteten Räumen nicht."
So lange wie möglich draußen sitzen, drinnen gut lüften und nicht allzu lang bleiben, dass ist die Faustformel, die der Aerosol-Experte Gastronomen und Gästen mit in den Winter gibt.
"Ein halbes Jahr durchhalten, mit ein bisschen mehr Lüften, als wir es gewohnt sind, ich glaube, das halten wir aus."
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