Berliner Abgeordnetenhaus

Weg mit dem Feierabend-Parlament?

Ralf Wieland (SPD), Präsident des Abgeordnetenhauses, sitzt im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses in Berlin.
Ralf Wieland (SPD), Präsident des Abgeordnetenhauses, sitzt im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses in Berlin. © picture alliance / dpa / Lukas Schulze
Von Claudia van Laak · 06.06.2016
Viele Parlamentarier des Berliner Abgeordnetenhauses arbeiten teilweise in anderen Jobs - sie sind also Teilzeit-Parlamentarier. Parlamentspräsident Ralf Wieland hätte lieber ein Haus mit Vollzeit-Parlamentariern. Diese könnten die Regierung besser kontrollieren, meint der SPD-Politiker.
"Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich eröffne die 81. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich darf Sie begrüße, unsere Gäste, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter…."
Alle zwei Wochen donnerstags um elf Uhr im ehemaligen Preußischen Landtag in Berlins Mitte zwischen Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof: Parlamentspräsident Ralf Wieland begrüßt 149 Abgeordnete und ihre Gäste.
"Im Namen des Hauses möchte ich Herrn Alex Doberwinski zum Geburtstag gratulieren, herzlichen Glückwunsch."
In der letzten Reihe der CDU-Fraktion sitzt der Abgeordnete Markus Klaer, den aufgeklappten Laptop vor sich auf dem Tisch. Schnell noch ein paar E-Mails abschicken, dann verlässt er den Plenarsaal in Richtung Casino. Keine Reden in der nächsten Stunde geplant, deshalb Zeit für einen Kaffee. Markus Klaer hat einen Doppeljob: Parlamentarier und Geschäftsführer des Verbandes für Landentwicklung und Flurneuordnung in Potsdam.
"Also ich komme im Schnitt schon auf eine 35 Stunden Woche hochgerechnet aufs Jahr in meinem normalen Job und ich komme auf eine 35-Stunden-Woche als Parlamentarier, macht in Summe 70 Stunden."
Der 47-jährige CDU-Politiker findet diese Arbeitsteilung super. Vollzeit im Abgeordnetenhaus zu arbeiten, dazu hätte Markus Klaer keine Lust. Ihm ist wichtig:
"Erstens die Unabhängigkeit zu bewahren, also nicht nur von der Partei abhängig zu sein – bei der SPD sind es auch viele, die von der Partei angestellt sind, das ist bei uns eher nicht der Fall. Und für mich persönlich ist es insbesondere auch der Punkt, dass ich aus der Blase Politik herauskomme, auch noch ein ganz normales Leben führe, mit dem ich mich dann auch zurückerden kann."

Auch mal gegen die Fraktion

Da er sein Geld nicht nur mit Politik verdient, sich also nicht abhängig fühlt von der Partei, die ihn aufgestellt hat, stimmt Markus Klaer auch mal gegen seine eigene Fraktion. Zum Beispiel, als es um die Bebauung des Tempelhofer Feldes ging. Markus Klaers Wahlkreis liegt in Tempelhof – das freie Feld liegt ihm am Herzen.
"Das macht es dann in dem Falle einfacher. Weil man sagen kann, okay, was passiert schlussendlich. Ihr könnt mich ausschließen aus der Fraktion oder mich nicht mehr aufstellen. Aber jut, ich habe ja noch meinen normalen Job."
Auch seine Fraktionskollegen schwören auf das Teilzeitparlament und wollen nichts ändern. Fast die Hälfte der CDU-Abgeordneten sind Juristen, genauer gesagt Anwälte. Sie können sich ihre Zeit mehr oder weniger selber einteilen und so Job und Mandat leichter miteinander verbinden als zum Beispiel eine Lehrerin. In der SPD sieht man das etwas anders. Der sozialdemokratische Parlamentspräsident Ralf Wieland ist der Ansicht: lieber das Abgeordnetenhaus verkleinern und ein Vollzeitparlament daraus machen.
"Was dafür spräche, dass man sich dann komplett darauf konzentrieren könnte. Und wenn wir das Parlament verkleinern, wir Ressourcen freibekommen für eine professionellere Ausstattung."
Sein Büro fast so groß wie ein Tanzsaal. In einer Ecke die Nofretete, in der anderen eine Skulptur Willy Brandts. Doch Größe und Ausstattung des repräsentativen Büros stehen nicht im Verhältnis zu Macht und Einfluss eines Parlamentspräsidenten. Ralf Wieland hat in den letzten Jahren gemerkt, dass Parlamentarier, die über keinen schlagkräftigen wissenschaftlichen Dienst verfügen, gegenüber einem übermächtigen Senat mit großen Verwaltungsapparaten hoffnungslos ins Hintertreffen geraten. Vollzeitparlamentarier könnten die Regierung besser kontrollieren, ist der SPD-Politiker überzeugt.
"Also ich kenne Kollegen, die vorher hier waren und dann in den Bundestag gegangen sind und dann sagten: Hier kann man Politik machen."
Ein weiteres Argument von Ralf Wieland: Wer seinen Job als Berliner Landesparlamentarier ordentlich macht, der hat schon jetzt eine 40-Stunden-Woche und sollte auch so bezahlt werden.
"Hallo, hallo… ich bin die Kandidatin für das Abgeordnetenhaus…"

Lieber Kandidatur als alten Job

Ortstermin mit der SPD Pankekiez. Maja Lasic heißt die neue Kandidatin für´s Abgeordnetenhaus, sie macht jetzt die Tippel-Tappel-Wahlkampftour. Die promovierte Biochemikerin hat sich lange überlegt, ob sie wirklich für das Berliner Teilzeit-Parlament kandidieren soll.
"Also letztendlich für jemanden mit einem Universitätsabschluss und angesichts der Arbeitsbelastung ist das keine kluge finanzielle Entscheidung."
3600 Euro monatliche Diät plus 2500 Euro für ein Bürgerbüro plus 3000 Euro für die Beschäftigung von Mitarbeitern – so viel verdient ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Für Krankenversicherung und Rente muss man selber sorgen. Maja Lasic hat sich hingesetzt und gemeinsam mit ihrem Mann zum Taschenrechner gegriffen – die Entscheidung fiel dann für die Kandidatur. Sollte sie im September ins Abgeordnetenhaus kommen, wird sie ihren bisherigen Job komplett aufgeben - so habe ich mehr Zeit für meine dreijährige Tochter, sagt sie.
"Ein Teilzeitparlament hat auch Vorteile für jemanden in meiner Situation jetzt. Denn weil alles schon auf Teilzeit getrimmt ist – man arbeitet zwar mehr – aber trotzdem ist mehr Familienzeit da als es bei einem Vollzeitparlament wäre."
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