Berlinale-Kurz-vor-Feierabend

Von Jürgen Stratmann · 19.02.2010
Kennen Sie den Film "Gegen die Wand" von Fatih Akin? Können Sie sich an die Szenen erinnern, wo die junge, strahlend schöne Heldin Sibel das erste Mal in die Wohnung des komplett verlotterten Alibi-Gatten kommt? Und die Ärmste es vor lauter Bierdosen, versifftem Geschirr und vollen Aschenbechern kaum in die Wohnung schafft? - Und erst mal so tut, als wär nix?
Genau so müsste es jetzt in Hunderten, ja vielleicht Tausenden Berliner Wohnungen aussehen, die von ernsthaften Berlinale-Gängern - von Cineasten, Journalisten, Filmschaffenden bewohnt werden - wenn die Klischees alle stimmten ...

Klischees, die besagen, das ernsthafte Berlinale-Gänger an den zehn heiligen Tagen und Nächten im Schnitt zwei2 Stunden schlafen, sich mit Junkfood vergiften, Haufen verdreckter Klamotten in Fluren und Badezimmern auftürmen und in ihren Lotterhöhlen Filmjunkies-zu-Besuch beherbergen, die sie aber selten treffen, und die sie, sollten sie nicht bei Festivalende verschwunden sein, natürlich achtkantig rausschmeißen.

Das Verrückte ist: All die Klischees stimmen! - Jeder, der nur irgendwie mit dem Fest verbandelt ist, macht das durch: zum Beispiel Isabel Richter. Sie verkauft Berlinale Taschen - und wünscht sich:

"... dass ich einfach mal wieder Zeit hab, ´n bisschen Wäsche zu waschen, und so normale Sachen, was sonst ´n bisschen liegen geblieben ist, Geschirr hat sich gestapelt!"

Stefan Arndt betreut eine Info-Theke, und kennt das auch:

" Ja ja, es is nich - ... nicht möglich, dann zu Hause noch was zu machen - kurz schlafen, dann wieder raus - essen ist zu Hause auch nicht möglich oder kochen, ich ess in der U-Bahn oder kurz vorher im Kino." "

Aber: man sieht es den wenigsten an! - Barmann Uwe Grune wundert sich:

"Man fragt sich teilweise, wie die Leute das machen, wenn sie bis um drei, halb vier bei uns zu Gast sind, und dann früh um eins schon wieder der erste Film anfängt - da ha´m wir´s echt gut, weil wir´n bisschen länger schlafen können."

Die Ursache dafür deutete der französische Regisseur Gustave de Kervern heute Nachmittag bei der Pressekonferenz zu seinem neuen Film "Mammuth" an - wobei er offenbar komplett beschickert war - wie seine ganze Truppe, mit Gerard Depardieu in der Hauptrolle, die hatten wohl mächtig Spaß, aber zwischendurch auch Ernsthaftes erzählt! Jedenfalls beklagte Gustave de Kervern:

"Es gibt ja keinen mehr, der Freude hat an seiner Arbeit, früher hat man sich für seine Arbeit interessiert, jetzt geht es nur noch um Wirtschaft und so weiter."

Was für Berlinale-Malocher offenbar nicht zutrifft: Hier scheint sich wirklich jeder nur für eins zu interessieren: für Filme! Ich habe eine Dame an der Garderobe gefragt, worauf sie sich nach der Berlinale freue - sie sagte:

"Ich bin gespannt auf die ganzen Rezensionen, und überhaupt, was nach der Berlinale noch für Berichte erscheinen, und überhaupt, wie die Filme auch unter normalem Publikum ankommen."

Und sonst? Was interessiert sonst noch - ach ja:

"Schlafen … (Gelächter) ja, Schlafen ..."