Berlinale: Iranische Filme

Über die Sehnsucht nach persönlicher Entfaltung

Alltag in Teheran: eine iranische Frau geht durch die iranische Hauptstadt
Alltag in Teheran: eine iranische Frau geht durch die iranische Hauptstadt. © picture alliance / dpa / Abedin Taherkenareh
Von Bernd Sobolla · 15.02.2016
Der Film "Soy Nero" des international erfolgreichen Iraners Rafi Pitts startet heute im Wettbewerb der Berlinale. Aber auch eine neue Generation iranischer Filmemacher ist auf dem Film-Festival vertreten.
Ein Klopfen an der Autoscheibe, die Aufforderung das Fenster runterzufahren und kurz darauf ist der Fahrer überwältigt, sein Wagen geklaut und er selbst entführt. Lantouri heißt die Gang, die im Norden von Teheran ihr Unwesen treibt. Dort wohnen die Reichen. Wobei niemand weiß, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind. Aber fast alle unterstellen ihnen Korruption und illegale Geschäfte. Und Regisseur Reza Dormishian zeigt, wie die Gang Lantouri diese Skrupellosen überfällt und ausraubt.
"Natürlich gibt es solche Gangs in Teheran, weil es leider diesen Graben zwischen Armen und Reichen gibt. Mein Film basiert aber nicht auf irgendeiner bestimmten Bande. Ich habe sie nämlich erfunden. Aber sie basiert auf meinen Recherchen. Außerdem habe ich darüber einige Zeitungsberichte und Bücher gelesen. Und schließlich wandte ich mich noch an jemanden der über Gangs forscht. Die Kombination alle dieser Ergebnisse macht den Film aus."
Allerdings ist Lantouri keine Gang, die den Reichen nimmt, um den Armen zu geben. Ihre Mitglieder stehlen für sich und werden immer brutaler. In montierten Interviewschnipseln sprechen Rechtsanwälte und Gauner, Menschrechts-Aktivisten und Polizisten, Sozialarbeiter und politische Hardliner über Lantouri, ihren Hintergrund und Werdegang - ehe die Polizei sie verhaftet. Es dauert eine Weile, bis man als Zuschauer realisiert, dass "Lantouri" kein Dokumentarfilm ist, sondern ein Spielfilm. Eine Mischform, die Regisseur Reza Dormishian gern benutzt, vielleicht auch um die Zensur zu umgehen.
"Für mich war es der einzige mögliche Stil. Denn ich wollte eine Geschichte erzählen, die man später auch auf der Leinwand im Iran zeigen kann. Dazu bedurfte es einiger Tricks. Und Interviews mit verschiedenen Charakteren war eine Lösung, um dem Publikum klar zu machen, dass jeder offen sagt, was er denkt."
Stimmungsbild einer Gesellschaft
Die Aussagen ergeben das Stimmungsbild einer Gesellschaft, in der die Frustration junger Menschen in Gewalt umgeschlagen ist. Das aber hängt nicht nur mit der auseinander klaffenden Schere zwischen Arm und Reich zusammen, sondern auch mit der Trennung von Mann und Frau. Der Film schildert nämlich ebenso die Liebe des Gangmitglieds Pasha, der sich in die sozial engagierte und selbstbewusste Journalistin Maryam verliebt. Eine Liebe mit tragischen Folgen, zumal Maryam seine Gefühle nicht erwidert.
Von Kriminalität und fehlender Liebe handelt auch der Dokumentarfilm "Starless Dreams" von Mehrdad Oskouei. Er porträtiert mehrere Frauen, die in sich in einem Korrektur- und Rehabilitationszentrum befinden. Die zum Teil minderjährigen Mütter sind straffällig geworden, inklusive Drogenhandel, Gewaltdelikte und Mord. Doch nicht kaltblütige Frauen erlebt der Zuschauer, sondern fast warmherzige Jugendliche, die zusammen lachen, singen und weinen.
Man ahnt, dass sie eine bittere Vergangenheit in sich tragen und ihnen der Zusammenhalt hilft, ihr Schicksal zu ertragen. "Valderama" schließlich erzählt von einem jungen Mann mit gleichem Namen, der ohne Papiere und familiäre Bindung lebt und eines Tages wegen einer Gewalttat seinen Provinzort verlassen muss, um in Teheran unterzutauchen.
"Es geht nicht nur um den Iran, sondern um die ganze Region"
Valderama ist gezwungen, sich in der Metropole durchzuschlagen und begegnet anderen Menschen, die ihr Leben ebenfalls am Rand der Gesellschaft leben. Regisseur Abbas Amini kam auf die Idee zu dem Film, weil er für eine Nicht-Regierungsorganisation Kinder unterrichtet, die tagsüber arbeiten müssen.
"Valderama steht nicht nur für sich, sondern für eine gesellschaftliche Gruppe. Dabei geht es aber nicht nur um den Iran, sondern um die ganze Region. Die meisten Kinder, die im Iran arbeiten, kommen nämlich aus Afghanistan oder dem Irak, sie sind wegen des Krieges oder aus wirtschaftlichen Gründen gekommen. Und die Kinder müssen ihre Familien miternähren."
Um zu überleben, braucht Valderama Geld und einen Ausweis. In lakonischen Bildern folgt der Film dem Protagonisten auf seinem Trip durch eine Welt, in der Überlebenskampf und Sorglosigkeit nebeneinander existieren und Identitätssuche nicht nur eine Frage des Ausweises ist.
Drei Filme, die zeigen, wie groß die Sehnsucht nach persönlicher Entfaltung im Iran ist. Wobei sich Männer und Frauen auch in den Parallelwelten nur unwesentlich näher kommen; und nicht selten umgibt sie eine faszinierende Mischung aus Aggression und Schwermut.
Programmtipp: Hören Sie heute (16.02.) ab 18:07 Uhr in unserer Sendung "Vollbild" ein Gespräch mit Regisseur Rafi Pitts.
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