Berlinale

"Fassbinder war immer hoch konzentriert"

Moderation: Britta Bürger · 06.02.2014
Der Regieveteran Volker Schlöndorff ist mit zwei Filmen bei der Berlinale vertreten. Seine Brechtverfilmung "Baal" mit Rainer Werner Fassbinder ist nach 44 Jahren erstmals im Kino zu sehen.
Britta Bürger: Unser Berlinale-Studio am Potsdamer Platz ist eingerichtet für viele, viele Filmgespräche, die Sie in den kommenden zehn Tagen hören werden. Wir beginnen mit dem Regisseur Volker Schlöndorff, der in diesem Jahr mit gleich zwei Filmen auf dem Festival vertreten ist, und einer davon ist spektakulär, denn Schlöndorffs Adaption des Brecht-Stückes "Baal", die durfte 44 Jahre lang nicht gezeigt werden. Die Brecht-Witwe Helene Weigel war nämlich fassungslos, als sie Fassbinder als Baal gesehen hatte. Hier wurde nicht mehr der Egotrip eines Lyrikers verhandelt, sondern seine Reaktion auf die Zumutungen der Welt. Fassbinders Baal mit seinem dahingesprochenen Sound der Straße ging Helene Weigel zu weit.
Erst 2011 ist es gelungen, die Brecht-Erben umzustimmen, um diesen Film freizubekommen, und auf der heute beginnenden Berlinale hat er nun mit 44 Jahren Verspätung seine Kinopremiere. – Ich habe den Regisseur Volker Schlöndorff gefragt, wie der Film damals, als er zweimal im Fernsehen lief, aufgenommen wurde. Heute unvorstellbar, dass solche radikale Filmkunst zur besten Sendezeit gezeigt wird. Welche Reaktionen gab es damals?
Volker Schlöndorff: Es gab eine film- und theaterbegeisterte Avantgarde auch beim Publikum. Die hat das sehr, sehr positiv aufgenommen. Und es gab die immense Mehrheit der Zuschauer, die gedacht haben, das sei eine Sozialreportage. Die konnten weder mit Brecht, noch mit Schlöndorff oder Fassbinder was anfangen und haben spontan beim Sender angerufen. Diesen Typ, den soll man sofort in den Knast stecken oder womöglich aufknüpfen oder in siedendes Öl werfen, das ist ja ein Serienmörder, also überhaupt das nicht als Kunst gesehen, sondern eins zu eins als eine schockierende Angelegenheit.
Bürger: Obwohl Brechts Baal Wort für Wort gesprochen wird.
Schlöndorff: Das ist das Erstaunliche, dass wir bei den Proben gemerkt haben, oder ich habe es schon beim Lesen natürlich gemerkt: Man konnte dieses Stück eigentlich in Bayern, in Deutschland, in einer modernen Großstadt so spielen, indem man es von der Bühne runter und an seine Originalschauplätze zurückbringt, wie Brecht das geschrieben hat. Denn Brecht muss durch die Isar-Auen gezogen sein, er muss auch in Augsburg schon über Land gezogen sein. Er, wie man so sagt, hat den Leuten aufs Maul geschaut. Es sind Sprüche darin, auch für kleine Nebenrollen, die von einer unglaublichen Prägnanz sind, und die Sprache ist hoch modern.
Bürger: Alles was man über die Jahrzehnte über die Person Rainer Werner Fassbinder gehört hat, über den Mythos Fassbinder, das sieht man ja in diesem Film verkörpert in Baal. Wie stark vermischte sich schon damals während des Drehs Rolle und Person? Was für ein Verhältnis hatte der 24-jährige Fassbinder zu Baal?
"Weil er einfach den Bogen des Lebens überspannt hat"
Schlöndorff: Als ich jemanden für die Rolle suchte, hatte ich einige andere Kandidaten und habe dann eines Tages in München ein Gastspiel von dem Antitheater gesehen, von seiner Truppe, auf der Bühne der Kammerspiele, und er war selbst dabei. Und ich bin nach der Vorstellung sofort hinter die Bühne, weil ich hatte eine Intuition: Das ist er. Aber wie weit kann Intuition gehen? Man kann ja kein Prophet sein. Auch Hellseher tappen im Dunkeln. Ich habe nicht geahnt, wie weit der Bogen dieses Stückes geht bis hin zu seinem Tod im Suff oder in Drogen, oder wie man es nennen will. Oder deshalb, weil er einfach den Bogen des Lebens überspannt hat und daran zerbricht, dass das auch schon in ihm drin war und dass er praktisch Situationen gespielt hat, die ihm selbst erst zehn, zwölf Jahre später zugestoßen sind.
Bürger: Er spielt diesen daueralkoholisierten, aufgeschwemmten, rüpelhaften, anarchistischen Lyriker und er spielt ihn wirklich grandios. Man denkt, er würde die ganze Zeit echten Alkohol saufen. Er ist dabei aber extrem textsicher, denn gesprochen wird wie gesagt Wort für Wort.
Schlöndorff: Ja, und da ist kein Tropfen Alkohol geflossen, außer vielleicht mal ein Bier hier oder da. Nein, wir haben richtig zunächst geprobt, als ob es für eine Theateraufführung wäre, in einem Studio vom Bayerischen Rundfunk, wo wir so gar nicht reinpassten, aber da haben wir uns ein paar Stühle reingestellt und die haben uns den Saal zur Verfügung gestellt, so dass Rainer sehr, sehr textsicher war, einige andere auch wie Margarethe von Trotta. Aber andere, ich hatte ja nun bewusst Laien mit dazugenommen, weil ich suchte, das zurückzubringen zu seinen Ursprüngen, da wo das Stück herkam. Also authentische kaputte Typen, würde man sagen, ganz besonders der Sigi Grau, der den Eckart spielt, und der war nun leider weder textsicher noch sprachsicher. Und wenn ich das heute sehe – ich war sehr verführt, den nachzusynchronisieren, weil diese Sprache. Wir fanden das aufregend damals. Wir wollten gegen den Theater-Duktus sein. Das ist immerhin über 40 Jahre her. Das war der Aufbruch. Heute stört es mich, dieses etwas amateurhafte Gestammel. Aber Fassbinder war immer hoch konzentriert.
Bürger: In Ihrem "Baal", da zeigt sich ja noch mal die Wut der Nachkriegsgeneration der 60er-Jahre, und die Aufarbeitung der NS-Zeit, die zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch Ihre Filme. Immer wieder geht es ja darin um den Widerstand einzelner unter massivem Druck des Regimes. Ist das, kann man das so sagen, Ihr Lebensthema, das Sie nun auch in dem neuen Film "Diplomatie" weitererzählen?
"Ich bin nun mal im März 1939 geboren"
Schlöndorff: Lebensthema, Lebensthema – ich wollte, ich hätte ein anderes. Ich bin nun mal im März 1939 geboren und ich kann nicht anders. Es holt mich immer wieder ein. Ich habe natürlich Erinnerungen an den Krieg als Kind und vor allen Dingen auch an die Nachkriegszeit. Und in der Nachkriegszeit an die Permanenz der Nazis in allen Funktionen, ob das in den Behörden war oder ob das in den Schulen war. Man roch das ja und als junger Mensch und sogar als Kind hatte man dafür Antennen, und das holt mich, je älter ich werde, ein. Man arbeitet sich immer noch daran ab.
Meiner Tochter, die 22 ist, erkläre ich immer, vergiss mal den Zweiten Weltkrieg. Es ist einfach so, dass in Kriegszeiten Menschen in extreme Situationen gestellt werden, die sehr, sehr aufregend sind, weil sie bringen das Beste und das Schlimmste in ihnen raus. Und dieser deutsche General, der von Hitler nach Paris geschickt wurde, 14 Tage vorm Einmarsch der Alliierten dort, der hatte den Auftrag, Paris in die Luft zu sprengen. Er hat auch seine Sprengkommandos mitgebracht und die haben erst mal 32 Brücken vermint und dann Notre Dame und dann alle möglichen anderen Gebäude und U-Boot-Torpedos am Eiffelturm an den Füßen angebracht, bereit, den Auftrag auszuführen, ohne irgendeinen Skrupel. Und dann hat er es doch nicht getan.
Bürger: Wie sind Sie auf diese Person, den General von Choltitz gestoßen, auf diese Figur?
Schlöndorff: Das ist eine Sache, die an mich herangetragen wurde, ein wunderbares Angebot, was selten passiert, wo ich sofort nach gegriffen hatte. Verschiedene französische Regisseure hatten sich schon daran versucht und haben irgendwie nicht gefunden, wie sie damit zurechtkommen. Es gab ein Theaterstück von einem jungen Autor, Cyril Gély, der das schon sehr weit vorbereitet hatte. Der aber nicht Zugang zu den deutschen Quellen hatte, einfach sprachlich nicht den Zugang auch hatte, denn es gibt inzwischen sehr, sehr viel Material darüber. Nur worüber es kein Material gibt, ist die menschliche Seite: Was ging in dem Mensch vor und was war letztendlich seine Motivation, wie ist er umgekippt. Der ist am Tag darauf natürlich sofort aus von den Alliierten in Gefangenschaft gekommen, er hat sich ja ergeben, hat ja kapituliert, Schande für einen deutschen General, und wurde sofort nach England ausgeflogen und dort verhört, und da gibt es ja auch diese Protokolle. Das alles zusammen ist halt in den Film eingegangen.
Bürger: Sie zeigen sich auf der Berlinale in diesem Jahr als junger Rebell und als, wenn ich das so sagen darf, Altmeister. Mit welchen Erwartungen, mit welchen Hoffnungen gehen Sie auf das wichtigste deutsche Filmfestival?
"Wie wirkt der Baal nach 44 Jahren?"
Schlöndorff: Na ja, ich gehe vollkommen entspannt rein, weil beide Filme laufen ja außer Wettbewerb. Ich hätte mich auch jedem Wettbewerb gerne gestellt, aber das Festival war der Meinung, wir sind außerhalb des Wettkampfs besser aufgehoben. Ich bin doppelt gespannt. Ich kann mir überhaupt noch nicht vorstellen die deutsche Reaktion auf "Diplomatie". Die Franzosen sind sehr, sehr bewegt von dem Film. Ich habe schon viele Vorführungen in Paris gehabt, der Film kommt dort auch jetzt gleichzeitig mit der Berlinale raus im Kino. Und die zweite große Frage, das ist die größte Neugier: Wie wirkt der Baal nach 44 Jahren jetzt auf einer Leinwand? Ist es einfach eine Antiquität, die man anschaut, oder ist es etwas, wo noch Emotion und Gefühl rüberkommt.
Bürger: Für wen ist denn das Festival im heutigen globalisierten Film-Business besonders wichtig?
Schlöndorff: Die Festivals sind deshalb so wichtig geworden, weil es so viele Filme gibt und so wenige Kinos, sagen wir mal, wo die gespielt werden. Durch die digitale Revolution und die verhältnismäßige Leichtigkeit, mit der man dann heute einen Film machen kann, gibt es ein Überangebot, und nur die Festivals erlauben überhaupt noch, eine Verbindung zwischen diesen Filmen und dem Publikum herzustellen. Deshalb ist das wichtiger denn je.
Bürger: Wenn Sie der Berlinale als Festival so eine Art Visitenkarte ausstellen sollten, was würde da draufstehen?
Schlöndorff: Urban!
Bürger: Urban?
Schlöndorff: Ja. Es ist das einzige große Festival, was in einer Großstadt stattfindet, wo Hunderttausende hingehen und teilnehmen. Ich weiß nicht: Hier sind vielleicht 10, 20 Prozent der Zuschauer Ausländer, die hinkommen, und das ist noch hochgegriffen. Und das andere ist, wie man so schön sagt, das ganz normale Publikum, und das heißt, das eigentliche Filmpublikum, und das macht das Festival aufregend.
Bürger: Der Filmemacher Volker Schlöndorff läutet bei uns im "Radiofeuilleton" die Berlinale ein. Heute Abend wird das Festival offiziell eröffnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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