Berlinale-Beitrag "In Zeiten des Teufels"

"Es geht um Auflehnung, es geht um Subversion"

Der philippinische Regisseur Lav Diaz stellt auf der Berlinale seinen Film "In Zeiten des Teufels" vor.
Der philippinische Regisseur Lav Diaz stellt auf der Berlinale seinen Film "In Zeiten des Teufels" vor. © picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa
Lav Diaz im Gespräch mit Susanne Burg und Patrick Wellinski · 24.02.2018
Weil er sich mit Musik am besten ausdrücken könne, habe er eine "Rockoper" gedreht, sagt der philippinische Regisseur Lav Diaz über seinen Berlinale-Beitrag "In Zeiten des Teufels". Der Film handelt von einer Ärztin, die von Milizen entführt wird.
Susanne Burg Es ist die große Frage, die jetzt hier bei der Berlinale beschäftigt, nämlich: Wer wird den 68. Goldenen Bären mit nach Hause nehmen? Welcher Film hat Tom Tykwer und seine Juroren überzeugt? Guckt man in die Kritiker-Spiegel, dann merkt man, das sich kein eindeutiger Favorit herauskristallisiert.
Patrick Wellinski: Aber an einem Film kann man ganz sicher nicht vorbei gehen in den letzten Tagen, an dieser philippinischen Rockoper "In den Zeiten des Teufels" von Regisseur Lav Diaz. Lav Diaz, der dreht ja gerne sehr lange Filme – acht, zehn, manchmal auch zwölf Stunden. Diesmal sind es mit knapp vier Stunden ja fast schon eine Kurzfilmvariante von ihm.

Diaz folgt seinen Figuren bis in die Urwälder

Burg: Und das Besondere an "In Zeiten des Teufels" ist, dass die Dialoge gesungen werden. Das entwickelt einen unglaublichen Sog, weil man ja Wiegenlieder wie Opernarien gesungen bekommt.
Wellinski: Ich merke gerade, wie hypnotisch das wirkt. Ich würde mir am liebsten diese vier Stunden gleich noch mal geben. Aber wir bleiben mal kurz in der Sendung. – Im Film "In Zeiten des Teufels" geht es im Kern um die geschundene Seele des philippinischen Volkes, das nach Kolonialismus und Militärdiktatur eben nie zur Ruhe kommen kann, und in expressionistischen Schwarzweiß-Bildern folgt Lav Diaz seinen Figuren bis in die Urwälder der Philippinen.
Burg: Ja, es ist wirklich ein Werk, das groß und rau und wütend ist, ganz anders als Lav Diaz selbst, der – so wie wir ihn kennengelernt haben – ein ruhiger, netter, aufgeschlossener Mensch ist. Vor ein paar Jahren gewann er den Alfred-Bauer-Preis für seinen Film "A Lullaby to the Sorrowful Mystery". Und deshalb wollten wir eingangs von ihm wissen, als er bei uns vorbei kam, was es für ihn bedeutet, erneut in Berlin einen Film zu zeigen.
Lav Diaz: Ich fühle mich erst einmal sehr geehrt, dass ich wieder hier sein darf, es ist auch schön, am Wettbewerb teilnehmen zu können. Ja, wir kommen aus Südostasien, wir werden oft so ein bisschen an den Rand gedrängt, und dann ist es einfach ein sehr schönes Gefühl, wenn man einfach wieder mit dabei ist.
Susanne Burg: Ihr neuer Film heißt "In Zeiten des Teufels" und Sie nennen ihn eine Rockoper. Wie ironisch ist das gemeint?
Diaz: Nein, das ist nicht wirklich ironisch. Im September 2016 habe ich mich einfach mal hingesetzt und habe angefangen, Songs zu schreiben. Und andererseits konzentrierten wir uns gerade auf ein Drehbuch, was eine Gangstergeschichte erzählen sollte. Aber ich war immer in diesem Raum eingeschlossen und schrieb Lieder, und plötzlich war mir dieser Gangsterfilm gar nicht mehr so wichtig und ich hatte Lust auf ein Musical. Und das fand ich plötzlich sehr viel sinnvoller, weil ich 50 Lieder geschrieben hatte und sagte dann zu meiner Produzentin: Lass uns doch ein Musical machen!
Und sie war erst mal total schockiert und verstand überhaupt nicht, was das jetzt für ein Musical werden sollte, und ich habe einfach gesagt: Ich finde das jetzt in der Lage, in der sich unser Land befindet, und mit den Dingen, die ich damit ausdrücken möchte, auch eben über diese Songs, viel, viel wichtiger, dass wir jetzt diesen Film drehen! Und irgendwann hat sie gesagt: Ja, okay, dann machen wir das.
Patrick Wellinski: Der Film spielt in den 1970er-Jahren, Sie kehren in all Ihren Filmen immer wieder zur Marcos-Diktatur zurück. Welchen Aspekt wollten Sie jetzt in Ihrem neuen Film untersuchen und festhalten?

"Offiziell kehre ich in die späten 70er-Jahre zurück"

Diaz: Ja, ich kehre wieder offiziell in diese späten 70er-Jahre zurück, in die Zeiten des Ausnahmezustandes. Und das ist einfach so ein Teufelskreis, in dem sich unser Land befindet, ich habe das Gefühl, wir kehren zu diesen fatalen Zeiten in gewisser Weise wieder zurück. Aber ich verstecke das so ein bisschen, indem ich dann offiziell von 1979 erzähle.
Burg: Was auffällt, ist, dass Sie fast nie Gewalt zeigen im Film. Trotzdem weiß man, dass schlimme Dinge passieren. Wie stehen Sie zu der Idee, Gewalt zu zeigen oder nicht zu zeigen?
Diaz: Kino ist einfach ein so starkes Medium, ich muss die Gewalt nicht zeigen, es reicht vollkommen, wenn der Zuschauer sie spürt, wenn er sie fühlt. Und Bilder, finde ich, sind stärker, wenn man nicht genau alles sieht, was in ihnen vorkommen könnte. Ich glaube, je weniger man zeigt, umso stärker ist letztendlich die Wirkung.
Wellinski: "In Zeiten des Teufels" erzählt die Geschichte einer sehr mutigen Ärztin, Lorena. Sie öffnet in einem kleinen Dorf eine Klinik und wird daraufhin von den Milizen entführt. Ihr Ehemann, ein Dichter, sucht nach ihr. Wie wichtig war es Ihnen, dass dieser Ehemann Dichter ist?
Diaz: Also ich bin ja selber auch Dichter und Poesie ist eben auch ein sehr, sehr mächtiges Mittel. Und viele Dichter haben sich der Revolution angeschlossen, wurden zu Revolutionären, wurden zu Kämpfern gegen das Regime und wurden auch Opfer dieses Regimes. Und das ist eine Art Hommage an all diese Dichter, die zu Aktivisten geworden sind, und viele haben dafür auch teuer bezahlt und sind Opfer geworden. Und leider hat man dieses Opfer, das sie gebracht haben, auch ein wenig vergessen. Und das finde ich eigentlich sehr traurig, dass diese Form des Widerstandes so ein bisschen in Vergessenheit geraten ist.

"Das ist die große Frage, wie bekämpft man Ignoranz?"

Burg: Der Dichter wird irgendwann selbst von der Miliz gefangengenommen und gefoltert. Die Milizionäre sagen: Deine Worte sind sinnlos in einem dummen Land. Lav Diaz, ist das die größte Bedrohung für ein Land, die Bevölkerung dumm zu halten? Und was bedeutet es für einen Künstler, wenn er oder sie nicht gehört wird?
Diaz: Ja, das ist die große Frage, wie bekämpft man Ignoranz? Und ich denke, das geht nur mit Mitteln der Kunst, das können nur Dichter, Schriftsteller, Filmemacher, Tänzer. In solchen Zeiten ist es einfach wichtig, in solch kritischen Zeiten, dass Künstler sich engagieren, dass Künstler eine Position beziehen in der Gesellschaft.
Burg: Wie engagieren und mischen Sie sich ein?
Diaz: Du musst einfach weitermachen, du musst einfach weiter arbeiten, du musst weiter Kino machen, du musst über dein Land etwas aussagen, ein Dichter muss über das Hier und Heute schreiben, ein Musiker über das Hier und Heute Musik machen. Das gilt einfach für alle Künstler, man muss sich engagieren, man muss dazu kommen, dass ein Diskurs stattfindet, das ist Dialektik.
Burg: Es gibt einen Dialog zwischen philippinischen Künstlern und dem Rest der Welt. Aber wie kann man diesen Dialog auch innerhalb der Philippinen etablieren?
Diaz: Nun, solche Orte wie hier! Wenn ich jetzt bei Ihnen hier im Radio bin, wenn ich auf diesem Festival bin, wenn mein Film in den Kinos gezeigt wird, all das sind Foren, die wir nutzen können, ja, um unser Anliegen klar und deutlich zu machen.

"Es ist wichtig, dass wir jetzt die Probleme benennen"

Wellinski: So, wie Sie philippinische Geschichte betrachten, schwingt ja eine gewisse Traurigkeit immer mit. Wie Sie sagen, steht es auch heutzutage nicht sehr gut um die Philippinen. Als Künstler, Filmemacher, als Erzähler, wie erklären Sie sich, dass die Philippinen eigentlich nie zur Ruhe kommen?
Diaz: Nun ja, die Gegenwart, das, mit dem wir leben, das ist alles andere als lustig. Nach über 300 Jahren spanischer Kolonisation, nach über 100 Jahren amerikanischer Einmischung, vier Jahre des japanischen Terrors und 17 Jahre der Marcos-Diktatur leben wir heute wieder in einem faschistischen Regime, wir fangen wieder bei null an. Und wir reden hier vom 21. Jahrhundert, aber letztendlich fühlt es sich ähnlich an wie 1979 unter der Marcos-Diktatur. Ich habe das Gefühl, als hätte gar keine Entwicklung stattgefunden. Aber genau deshalb ist es wichtig, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert mit Dringlichkeit die Probleme benennen und sie auch anprangern, denn sonst landet die Menschheit in einem Abgrund der Barbarei. Und wenn wir jetzt unsere Menschlichkeit nicht einsetzen, dann verlieren wir alles!
Burg: So, wie Sie das jetzt erzählen, gibt es eine große Dringlichkeit, etwas zu tun. Die Frage ist, wie man das in Kunst übersetzt. Und ich würde gerne auf den Anfang unseres Gespräches zurückkommen, als Sie von der Rolle der Musik gesprochen haben: Mich würde der Zusammenhang zwischen Musik und Gewalt in Ihrem Film interessieren. Denn die Melodien sind sehr lieblich, die Texte aber erzählen von brutalen Morden und Ungerechtigkeiten. Sie bilden eine Art Gegenpol zur Musik.

"Mit den Songs drücken die Darsteller aus, was sie fühlen"

Diaz: Ja, wir setzen hier ganz bewusst einen Kontrapunkt. Es geht um Auflehnung, es geht um Subversion. Das ist das, was Kunst ausdrücken kann. Natürlich, normalerweise, wenn man an Musical denkt, an irgendwelche Rockopern, dann dienen die der pursten Unterhaltung. Aber mein Film ist natürlich ganz anders, ich will was ganz anderes damit ausdrücken und benutze dieses Medium einfach nur, denn die Songs sind wie Dialoge. Und damit drücken die Darsteller aus, was sie fühlen. Und es geht hier wirklich darum, mal ein ganz anderes Musical zu zeigen, und ich hoffe, das funktioniert.
Wellinski: Und es funktioniert, denn obwohl es keine musikalische Begleitung zu den Liedern gibt, stecken sie voller Rhythmus und Melodie. Wo bekommen Sie Ihre musikalischen Inspirationen eigentlich her, aus der philippinischen Musik?
Diaz: Ja, philippinische Musik ist ein Einfluss, aber auch Rockmusik. Wir sind schon sehr von der amerikanischen, von der angelsächsischen Kultur beeinflusst und Bands wie die Beatles, die Stones, Procol Harum, Led Zeppelin, die haben mich schon sehr beeindruckt. Und ich war auch Musiker, bevor ich Filmemacher geworden bin, und ehrlich gesagt fällt es mir viel leichter, Songs zu schreiben, als Filme zu machen.
Burg Ist das jetzt der Beginn Ihrer Musicalphase?
Diaz: Ich habe Material für mindestens drei Musicals, vielleicht zwischen drei und fünf Musicals. Weil, ich habe so viele Songs geschrieben, die konnte ich jetzt natürlich in diesem ersten Musical nicht alle unterbringen. Aber für mich ist das eine ganz natürliche Art und Weise zu schreiben, zu arbeiten, das fließt einfach, das kommt ganz natürlich, diese Songs. Und es fällt mir wirklich so viel einfacher, als jetzt so Filme zu drehen. Und daher, denke ich, werden noch ein paar Musicals folgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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