Bergfilm contra Opern-Verfilmung

Vorgestellt von Hannelore Heider · 22.10.2008
"Nordwand" erzählt vom gescheiterten Versuch der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand 1936. Der Film nutzt zwar die Reize des Bergfilmes, grenzt sich aber gegen das nationalistische Pathos des diskreditierten Genres ab. In der Verfilmung von Puccinis "La Bohème" sind die derzeit größten Opernstars, Anna Netrebko und Rolando Villazón, in den Hauptrollen zu sehen.
"Nordwand"
BRD/Österreich/Schweiz 2008, Regie: Philipp Stölzl, Hauptdarsteller: Benno Führmann, Florian Lukas, Johanna Wokalek, Simon Schwarz, Ulrich Tukur, 126 Minuten, ab 12 Jahre

Regisseur Philipp Stölzl, der sich mit preisgekrönten Musikvideos wie mit Operninszenierungen einen Namen gemacht hat, bekennt sich in seiner zweiten Regiearbeit fürs Kino dazu, das Genre Bergfilm wiederbeleben zu wollen. Er greift dafür auf die wahre Geschichte eines gescheiterten Versuchs der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand zurück, die für die beiden deutschen Kletterer Toni Kurz (Benno Führmann) und Andi Hinterstoisser (Florian Lukas) aus Berchtesgaden 1936 in einer Tragödie endete. Mit den zwei Deutschen starben auch die Österreicher Willy Angerer (Simon Schwarz) und Edi Rainer (Georg Friedrich) an der "Mordwand", die schon vielen Bergsteigern vor ihnen das Leben gekostet hatte.

Eine halbe Filmstunde setzt Regisseur Philipp Stölzl sein Bergsteigerdrama ins gesellschaftspolitische Umfeld. Da sind die leidenschaftlichen Sportler, die das Risiko wie die enorme Erwartungshaltung kennen, die Gaffer, die zu Champagner und Ufa-Schnulzen noch auf den rechten Nervenkitzel hoffen, und zwei Reporter aus Berlin. Das letzte "ungelöste Problem der Alpen" hatte Hitler die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand genannt. Ein Politikum also für den so opportunistischen wie zynischen Reporter Henry Arau (Ulrich Tukur), der mit der jungen Kollegin Luise Fellner (Johanna Wokalek) ins mondäne Berghotel reist, weil sie Toni und Andi seit Kindheitstagen kennt. Dann kippt der Film vom Sonnen überstrahlten Event in die bitterkalte Tragödie.

"Nordwand" nutzt ohne allzu viel Bedenken die Reize des guten alten Bergfilmes und grenzt sich doch gegen das nationalistische Pathos des diskreditierten Genres ab. Es gibt den heldenhaften Kampf gegen übermächtige Naturgewalten, die moralische Prüfung in Extremsituationen und eine veritable Liebesgeschichte. Aber die Filmhelden werden nicht in heldischer Verklärung ins Bild gesetzt, sondern mit der Handkamera am Ende kaum noch erkennbar im eisigen Sturm um Rettung wimmernd gefilmt. Zum Glück verstummt im Heulen des Sturmes dann auch der bombastische Soundtrack.

"La Bohème"
Österreich/Deutschland 2008, Regie: Robert Dornhelm, Darsteller: Anna Netrebko, Rolando Villazón, Nicole Cabell, 114 Minuten, ohne Altersbegrenzung

Der in den USA arbeitende, österreichische Regisseur Robert Dornhelm erlebt die große Oper am liebsten allein über die Kopfhörer seines CD-Players. Auf die Idee, eine seiner Lieblingsopern zu verfilmen, sind wohl die Produzenten gekommen. Trotzdem konnte er sich der Faszination dieses Angebots nicht entziehen: eine Filmfassung von Puccinis "La Bohème" mit den derzeit größten Stars der Opernwelt, der Russin Anna Netrebko und des Mexikaners Rolando Villazón. Und zwar vor der Kamera! Denn in der für den Film genutzten musikalischen Einspielung aus dem April 2007 in der Münchener Philharmonie singen die beiden nicht nur, sondern sie standen dann singend in den Hauptrollen der Mimi und des Rodolfo auch leibhaftig vor der Kamera.

Was als geglücktes Experiment zu bezeichnen ist, denn beide Sänger verfügen über schauspielerisches Ausdrucksvermögen, das nicht nur in der großen dramatischen Geste auf der Bühne besteht, sondern sich auch vor der Intimität einer Filmkamera beweist. Dornhelm nutzt das in Großaufnahmen, die den Stars wirklich zu Leibe rücken, wobei Anna Netrebko als Mimi in den ersten Szenen sicher als ein zu prachtvolles Weib erscheint. Dazu im Gegensatz, die von Darstellern gedoubelten Sänger des Bohemekreises um Rodolfo, wobei nur die ausdrucksstark aufspielende Nicole Cabell als Musetta eine Ausnahme macht.

Für den Spielort des romantischen Paris' hat man die Kulissen in den Wiener Rosenhügel Studios leicht stilisiert, mit leicht verfremdeter Farbgebung nachgebaut, so dass der Bühnencharakter der Opernvorlage ersichtlich bleibt. Aber der Kompromiss, sich nicht eindeutig zwischen realistischer oder überhöhter Inszenierung zu entscheiden, befriedigt nicht. Während die großen Duettszenen meist überzeugend in Großaufnahmen der Stars eingefangen werden, riechen die Chorszenen nach Pappe. Schade, mit dem Vermögen und dem Glanz dieser Besetzung hätte ein mutigerer Wurf in der Inszenierung gewagt werden können. Die Fans der Netrepto/Villazón wird es trotzdem freuen.
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