"Beratung muss vor der vorgeburtlichen Untersuchung stattfinden"

Christel Humme im Gespräch mit Marcus Pindur · 17.09.2008
In der Debatte um schärfere Regelungen bei einer Spätabtreibung hat SPD-Fraktionsvize Christel Humme ein weiterführendes Beratungsangebot gefordert. Notwendig sei nicht nur die von der Unionsfraktion vorgeschlagene Bedenkzeit und Beratung nach einer vorgeburtlichen Untersuchung, sondern bereits eine Beratung der betroffenen Frauen vor dem Befund, sagte Humme.
Marcus Pindur: Abtreibung ist seit jeher ein schwieriges Thema, hoch emotional und einfache Lösungen und einfache Regeln gibt es dabei nicht. Bei der Abtreibung aus sozialer Indikation gilt bei uns die sogenannte Fristenlösung. Das heißt, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche bleibt eine Abtreibung straffrei. Es gibt aber auch sogenannte Spätabtreibungen, das sind Abtreibungen, die straffrei vorgenommen werden dürfen nach der zwölften Woche. Und dabei sind unstrittig die Fälle, in denen das Leben der Mutter gefährdet ist. Gerungen wird jetzt um die Fälle, in denen eine schwere seelische Belastung der Mutter beispielsweise durch ein behindertes Kind attestiert wird. Die Union will jetzt für diese Spätabtreibungen eine Beratungspflicht einführen und das ist auch im Bundestag Thema. Wir sind jetzt verbunden mit Christel Humme, der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Frau Humme!

Christel Humme: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Frau Humme, die Union will ähnlich wie bei den Abtreibungen vor der zwölften Schwangerschaftswoche eine Beratungspflicht einführen mit Bedenkzeiten und ausführlichen Informationen für die betroffenen Frauen. Könnten Sie sich mit diesem Vorschlag anfreunden?

Humme: Ja, ich möchte erst mal vorausschicken, das um der Klarstellung willen, dass eine Behinderung eines Kindes gerade kein Grund mehr für einen Schwangerschaftsabbruch ist. Das ist mir sehr wichtig festzustellen. Wenn ein Arzt heute einen Spätabbruch durchführt, nur weil das Kind behindert ist, handelt er rechtswidrig und macht sich strafbar. Das ist sehr wichtig. Und wichtig ist natürlich, dass Frauen in eine Riesenkonfliktsituation kommen. Denn niemand will Spätabtreibungen, schon gar nicht die Frauen, selbst die sich ja ein Kind wünschen. Und natürlich müssen wir mit dem Problem umgehen, wie helfen wir den Frauen. Denn keine Frau geht leichtfertig mit diesem Thema um, im Gegenteil. Und das ist das, was wir in das Zentrum unserer Fragestellungen stellen. Wie können wir den Frauen in der Konfliktsituation, die sich niemand wünscht, tatsächlich helfen? Denn die Praxis, wenn ich das vielleicht noch kurz ergänzen darf, ist schon sehr dramatisch. Frauen werden von den Ärzten mit technischen Möglichkeiten einer umfassenden vorgeburtlichen Diagnostik konfrontiert. Die Gesellschaft produziert einen Erwartungsdruck nach einem perfekten Kind. Und die Ärzte wenden jede Methode an, angeblich, um der Schwangeren Sicherheit zu geben. Kommt es dann zu einem Befund, dass etwas nicht stimmt, so wird manchmal sogar von den Ärzten empfohlen, mit dem Hinweis, das hat keinen Zweck, den Abbruch durchzuführen. Ich denke, das ist eine dramatische Situation, in der Frauen stecken. Und wir müssen eine Antwort geben, denn sie sind verunsichert. Und was unser Problem ist, an der Stelle stimme ich ansatzweise mit der Union überein, die medizinische Beratung und die psychosoziale Beratung, auf die die Frauen einen rechtlichen Anspruch laut Schwangerschaftskonfliktgesetz haben, ist sehr unzufriedenstellend. Und darum haben wir gesagt, was wir brauchen, ist auf jeden Fall nicht nur das, was die Union vorschlägt, eine Beratung nach der vorgeburtlichen Untersuchung, sondern vor allen Dingen vorher.

Pindur: Vor der Abtreibung?

Humme: Vor der Untersuchung, vor dem Befund. Diese Beratung fehlt völlig. Frauen sind völlig hilflos und alleingelassen. Das ist eigentlich ein Skandal, wenn man das genau betrachtet. Wir brauchen vor der Untersuchung, vor dem Befund eine umfassende medizinische Beratung der Frau, eine umfassende psychosoziale Beratung. Und das wollen wir regeln, das ist auch schon geregelt im Gendiagnostikgesetz. Da werden erste Verpflichtungen, vor und nach der Untersuchung eine Beratung durchzuführen und Hinweise zu geben, auch das ist eine Pflicht, auf psychosoziale Beratung und die Ärzte werden verpflichtet, sich fortzubilden.

Pindur: Frau Humme, wenn ich das richtig verstanden habe, ist da doch viel Gemeinsamkeit und Sie könnten sich mit dem Unionsvorschlag, der eben diese Beratungspflicht einführen will, mit eben Bedenkzeiten und ausführlichen Informationen, doch durchaus anfreunden?

Humme: Uns ist es wichtig, dass vor allen Dingen auch vor der Untersuchung eine Beratung stattfindet. Ich verstehe nicht, warum dieser Vorschlag von der Union nicht kommt. Denn viele Frauen sagen ja oft, hätte ich vorher gewusst, was auf mich zukommt, dann hätte ich die und diese Untersuchung, zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung, gar nicht erst durchführen lassen. Frauen wollen mit guter Beratung auch ein Recht auf Nichtwissen haben.

Pindur: Sie wollen ein weitergehendes Beratungsangebot?

Humme: Ja natürlich. Und dieses Angebot, von daher kommt Herr Singhammer etwas zu spät mit seinem Vorschlag, ist schon geregelt, ist im Kabinett schon verabschiedet.

Pindur: Sie müssen jetzt nur kurz erklären, was der Vorschlag von Herrn Singerhammer ist?

Humme: Der Vorschlag von Herrn Singhammer war, die Beratung nach der PND verpflichtend durchführen zu lassen, das ist ja nicht schlecht, aber vorher fehlt, da ist geregelt. Von daher kommt mir Herr Singhammer jetzt zu spät. Und der weitere Vorschlag von ihm, eine differenzierte Datenerfassung durchzuführen, ist für uns völlig abzulehnen, weil es so wenig Fälle gibt, dass ein Datenschutz nicht mehr gewährleistet ist

Pindur: Sie sagen, es gibt keine Ungleichbehandlung ungeborenen Lebens, denn gesunde Kinder dürfen nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abgetrieben werden, behinderte Kinder, falls zu erwarten ist, dass die Mutter einen schweren seelischen Schaden da haben könnte, die können aber kurz vor der Geburt abgetrieben werden. Ist das nicht auch in Ihren Augen ein Problem?

Humme: Das ist mir zu kurz, was Sie sagen. Das unterstellt das, was im Gesetz nicht erfasst ist. Eine Behinderung ist kein Grund für eine Abtreibung. Ich habe das zu Anfang erklärt. Das ist rechtlich so erfasst, das ist geltendes Recht. Und jeder Arzt, und das will ich dann noch mal deutlich sagen …

Pindur: Die Behinderung ist aber de facto dann Grundlage für die Argumentation, dass es zu seelischen Schäden zum Beispiel bei der Mutter kommen könnte?

Humme: Je nachdem, welche Problemlage vorliegt. Das ist ja die Behinderung, was immer das ist.

Pindur: In der Tat, ja.

Humme: Das ist ein weites Spektrum. Es kann zu einer Totgeburt kommen. Es kann sogar sein, dass das Kind im Laufe der Schwangerschaft stirbt. Das sind so differenzierte Einzelfälle. Von daher ist mir dieser Begriff die Behinderung völlig fehl am Platze, weil genau das im Gesetz nicht verankert ist. Das Gesetz wollte zwei Dinge erfassen, nämlich sowohl die Würde der Frau als auch Schutz des Lebens. Das ist mit diesem Kompromiss sehr gut gelungen. Darum müssen wir dieses Gesetz gar nicht mehr infrage stellen, sondern was wir brauchen, ist eine vernünftige Beratungsstruktur. Wir brauchen eine Verpflichtung der Ärzte auf medizinische Beratung und psychosoziale Beratung dazu, damit wir die Konfliktsituation, in die Frauen geraten sind, besser bewältigen können. Das ist unser Ziel. Und das bestätigen auch viele Beratungsstellen, dass da ein großer Mangel ist, dass Frauen hilflos sind und alleingelassen werden. Diese Situation müssen wir verbessern und ändern.

Pindur: Frau Humme, vielen Dank für das Gespräch!

Humme: Ja, Danke schön, Herr Pindur!

Pindur: Christel Humme, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

Das Gespräch mit Christel Humme können Sie bis zum 17. Februar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio