Benjamin Clementine in der Elbphilharmonie

Selbstbewusst und verletzlich

Der britische Sänger und Pianist Benjamin Clementine bei einem Auftritt in Ostrava in der Tschechischen Republik am 21. Juli 2017
Der britische Sänger und Pianist Benjamin Clementine © Jaroslav Ozana / CTK / dpa
Von Olga Hochweis · 18.11.2017
Es ist ein langer und verworrener Weg vom Pariser Clochard-Leben bis in die Elbphilharmonie und in die Spalten der Feuilletons. Benjamin Clementine ist ihn gegangen. Olga Hochweis war beim deutschen Tour-Auftakt in Hamburg dabei.
Fünf, sechs Mal spricht Benjamin Clementine während seines Auftritts in der Elbphilharmonie über die "delikate" Akustik des Hauses. Die Sorge, dass seine Musik hier nicht so ganz hinein passt, schwingt da unüberhörbar mit. Und offenbar beeinflusste diese Sorge auch seine Setlist: Einige Songs des aktuellen Albums fehlen, dafür sind viele Lieder des Debüts live zu hören.

Auch das teilweise sehr gediegene Publikum ist verzückt

Clementines Bedenken sind aber unbegründet: Nach zwei Stunden gibt es Standing Ovations - auch vom teilweise sehr gediegenen Publikum in der Elbphilharmonie.
Die Lieder des neuen Albums sind, so Musikkritikerin Olga Hochweis, "eine radikale Weiterentwicklung des ersten Albums. Ein Schlüssel zu diesem Album ist der Begriff 'Alien', der Fremde. Der taucht auch in mehreren Songs auf: Es geht um ihn als 'Alien with extraordinary abilities' als Beschreibung seiner Person in einem US-Visum, aber auch um 'Aliens' im Flüchtlingslager in Calais, um traumatisierte 'Aliens' im syrischen Bürgerkrieg - das sind sehr poetische, metaphorische, teilweise auch kryptische Texte. Diese permanente Beschädigung und Versehrtheit setzt Clementine auch musikalisch um in aufgelösten Songstrukturen, erbarmungslos pochenden Wiederholungen und irritierenden Klängen."
Ein sehr theatraler, szenischer Klang also. Und tatsächlich war die Musik für das neue Album aúch für ein Theaterstück vorgesehen.

Hoher Gänsehautfakor

Der Live-Sound ist reduzierter und transparenter als im Album und dadurch rückt die Stimme noch mehr in den Fokus. "Eine Stimme, die eine "ungeheure Flexibilität und Wandlungsfähigkeit hat, etwas gospelhaftes, dann etwas klagendes, dann wiederum regelrecht steinerweichend sein kann", so Hochweis weiter.
Trotz des fehlgeschlagenen Versuchs, das Publikum an einem Punkt zum A-Cappella-Gesang zu animieren, bleibt man am Ende des Abends "ins Mark getroffen" von dieser Originalität und Verletzlichkeit, so Hochweis.