Benjamin Britten und ein Gemüseorchester

Von Jörn Florian Fuchs · 29.03.2005
Der Komponist Benjamin Britten stand im Mittelpunkt der diesjährigen Salzburger Osterfestspiele unter Leitung von Simon Rattle. Zum besonderen Event sollte der Auftritt des Ersten Wiener Gemüseorchesters werden. Das Orchester spielt auf Kürbispauke, Zucchini-Klapper oder Lauchgeige neue Musik.
Ein Leuchtturm grüßt vom Programmheft der diesjährigen Osterfestspiele in Salzburg. Wofür steht ein Leuchtturm? Einerseits bietet er Orientierung für die draußen in unruhigen Wassern fahrenden Schiffe, andererseits hat man von ihm aus einen guten Überblick über das, was sich auf diesen Wassern, oder knapp darunter, so abspielt. Auszuloten galt es in Salzburg das Werk eines Komponisten, der wie kaum ein anderer die Tiefen der menschlichen Seele mit dem Wetter und der Natur seiner Heimat zu verbinden wusste: Benjamin Britten.

Aus sicherer Entfernung, vom gemütlichen Sitzplatz im Großen Festspielhaus, war man gehalten, sich mit Wind, Wasser, Wellen und dem Menschen 'dazwischen' auseinander zu setzen. Für Benjamin Britten sind Meer und Wind ob ihrer Unberechenbarkeit Sinnbilder für das Schicksal des Menschen, Brittens Musik verdeutlicht dies durch fließende Bögen, konterkariert durch plötzliche Brüche.

Die Salzburger Konzertabende waren geprägt von drei Liedzyklen des Meisters: "Les Illuminations", "Nocturne" sowie der "Serenade für Tenor, Horn und Streicher". Alle drei Werke wurden von Simon Rattle und den Berlinern präzise, aber dennoch sanft durchleuchtet, Ian Bostridge sang die Vertonungen von Texten William Blakes, Arthur Rimbauds und weiterer poetischer Grenzgänger mit Raum füllender, aber dennoch irgendwie traumverlorener Stimme.

In der szenischen Neuproduktion von Brittens "Peter Grimes" überzeugte Robert Gambill in der Titelpartie durch kraftvolle Intonation und feinste lyrische Ausformungen.

Mit Amanda Roocroft stand ihm eine beinahe adäquate Partnerin zur Seite, deren Stimme aber in den Spitzentönen gelegentlich etwas klirrte, John Tomlinson gab einen würdevollen Kapitän Balstrode. Fabelhaft der von Simon Halsey einstudierte Chor, bestehend aus den European Voices und Studenten der Guildhall School of Music and Drama. Sir Trevor Nunn bewies in seiner weitgehend naturalistischen Inszenierung Liebe zum Detail, da sieht ein Hafen aus wie ein Hafen und eine Taverne wie eine Taverne – lediglich Peter Grimes Hütte wirkt ein bisschen wie ein aufgesprengter Holzbau von Peter Zumthor.

Jenseits eines regietheatralen Ansatzes konzentrierte sich Nunn auf genaueste Personenführung – vor allem beim Chor – sowie auf klare, einprägsame Bilder. Dadurch eröffnet sich zwar keine neue Lesart des Stückes, indes es wird genau gelesen und der sich immer weiter verschärfende Konflikt um einen Außenseiter, der am Ende ins Wasser geht, wird bestechend klar vermittelt.

Als Gegensatz zu Brittens fließend-gebrochenen Linien setzte Rattle symphonische Fragmente von Schubert und Mahler aufs Programm: Mahlers Adagio aus der zehnten Symphonie – das wurde zum heiter-gelassenen Schicksalstanz, zu einem Endstück ohne Pathos und Knalleffekte. Knalleffekte gab es dann um so mehr bei Schostakowitschs erster Symphonie, auch heute noch ein ironisch-provokanter Knallbonbon, der dem zahlungskräftigen Publikum (ein Abozyklus kostet bis zu 1100 Euro) die zuvor verzehrten Mehlspeisen wohl schwer verdaulich machte. Furios peitschte Rattle seine sehr willigen Musiker durch die aufgekratzte und nonstop mit Überraschungen aufwartende Partitur.

Leichter verdaulich waren die letzten drei Mozart-Symphonien, die das Konzertprogramm vollendeten. Allerdings bot Rattle hier nur solide Hausmannskost, dirigierte doch etwas langweilig vom Blatt herunter. Zuweilen gewann man den Eindruck, dass Rattle "Adagio" mit "zäh-fließend" übersetzt. Bei der Jupiter-Symphonie wurde es im dritten Satz so fad, dass sogar Missfallensräusperer des ansonsten immer euphorisierten Publikums zu hören waren.

Als Simon Rattle vor drei Jahren die Leitung der Osterfestspiele von Claudio Abbado übernahm, gab es noch kein wirkliches programmatisches Profil. Da mischte man Haydns "Jahreszeiten" mit Bruckner oder eine konzertante Aufführung von Mozarts "Idemoneo" mit einer szenischen "Cosi fan tutte", der Produktion, die dann ohnehin im Sommer lief.

2005 haben die Osterfestspiele zwar durchaus an Profil gewonnen, jedoch an Publikum etwas verloren. Die letztjährige Auslastung von deutlich über 90 Prozent sackte auf knapp über 80 Prozent herab, was einem Festival, das fast die Hälfte seines Budgets durch Kartenverkäufe erwirtschaften muss, nicht gut tut. Für nächstes Jahr plant man wieder ein wenig populärer, spielt Bachs "Johannespassion" und Debussys "Pelleas et Melisande", als Kontrast dazu immerhin auch Schönbergs "Pelleas".

Unter dem Titel "Kontrapunkte" suchten die Osterfestspiele auch heuer den Anschluss ans nicht so zahlungskräftige Publikum. Für 20 Euro konnte man etwa das Diane-Reeves-Jazz-Trio oder das Berliner Scharoun-Ensemble erleben. Zum besonderen Event sollte eigentlich der Auftritt des Ersten Wiener Gemüseorchesters werden. Dieses 'Orchester' spielt ausschließlich auf Gemüse und das in wechselnder Besetzung. Da gibt es dann die eher konventionellen Instrumente wie Kürbispauke, Zucchini-Klapper oder Lauchgeige, experimenteller sind hingegen das Karotten-xylo oder das Gurkeridoo, letzteres erinnert an ein auch in unseren Breiten inzwischen einschlägiges australisches Instrument. Das alles hört sich vielleicht ganz spaßig an, jedoch geht es dem zehnköpfigen Ensemble um etwas sehr ernstes: Sie spielen auf ihrem vegetabilen Instrumentarium nämlich vorwiegend neue Musik, und da diese ja oft auf Elektronik zurückgreift, wird dann etwa das Schneiden von Tomaten elektronisch verstärkt und am Ende kommen lautstark Häckselmaschine und Entsafter zum Einsatz.

Was bringt das Ganze nun? Zumindest den Erkenntnisgewinn, dass Gemüse nicht nur zum Verzehren taugt. Benutzt man es jedoch zur Erzeugung von Musik, so klingt das, na ja, irgendwie erstaunlich langweilig – und auch bekannt. Das elektronisch verstärkte Zerstampfen von rohen Erbsen hört sich an wie Klänge, die durch Granularsynthese erzeugt werden und die gemeine Karottenflöte klingt im Grunde wie ihre Kollegin aus Holz, nur leiser und wesentlich schlechter. Letztlich gilt also doch noch immer Mutters Spruch: Du sollst nicht mit dem Essen spielen!


Service:

Die Salzburger Osterfestspiele 2005 fanden vom 19. bis 28. März 2005 statt. Die nächsten Osterfestspiele werden vom 8. bis 17. April 2006 abgehalten.

Links:

Osterfestspiele Salzburg 2005

Osterfestspiele Salzburg 2006
Simon Rattle, britischer Dirigent
Simon Rattle, britischer Dirigent© AP