"Ben-Hur"-Remake

"Alles wird dramatisiert"

Die Schauspieler Jack Huston und Toby Kebbell, der Producer Roma Downey, der Schauspieler Rodrigo Santoro, Morgan Freeman vor der Premiere des "Ben-Hur"-Remakes in Mexico City, am 9. August 2016.
Trotz Top-Besetzung vermutlich ein Kassenflop: der neue "Ben-Hur"-Film mit Schauspielern wie Morgan Freeman (rechts). © EFE / dpa / Mario Guzman
Andreas Kötzing im Gespräch mit Patrick Wellinski · 27.08.2016
"Schwülstig", nur "auf die Effekte aus", "lieb- und herzlos" - so urteilt Filmjournalist Andreas Kötzing über den neuen 3-D-Film "Ben-Hur" von Regisseur Timur Bekmambetov. Das Experiment einer zeitgenössischen Interpretation des Monumentalepos sei in vielen Belangen vollständig gescheitert.
Patrick Wellinski: Jetzt wird es bei uns monumental: Nicht ganz heute, sondern kommenden Donnerstag ist der Tag, an dem das bekannteste Wagenrennen der Filmgeschichte erneut auf unsere Leinwände kommt: "Ben-Hur". Der Sandalenepos von William Wyler von 1959 wurde neu verfilmt vom russischen Pro-Putin-Regisseur Timur Bekmambetov, und das klingt dann schon ganz anders:
"Meine Familie war eine der angesehensten in Jerusalem, bis wir betrogen wurden von meinem eigenen Bruder." - "Du weißt, wir haben nichts falsches getan." - "Rom verlangt nach Blut." - "Ans Kreuz mit ihnen." - "Nein."
Ja, ist die Zeit wirklich reif für eine Neuinterpretation des Monumentalepos, oder ist "Ben-Hur" ein weiterer Beweis für das kreative Loch, in dem Hollywood-Produzenten gerade stecken und ihrer ganzen Hilflosigkeit versuchen, einfach alte Stoffe noch mal neu zu drehen? Diese Frage bespreche ich jetzt mit Historiker und Filmjournalist Andreas Kötzing. Hallo!
Andreas Kötzing: Hallo, Herr Wellinski!
Wellinski: "Ben-Hur", das ist ja wirklich ein Meilenstein des Monumentalfilms in der Filmgeschichte, nicht nur Hollywood-Geschichte. Kann denn dieser neue "Ben-Hur" diesem alten Epos das Wasser reichen?
Kötzing: Nein, überhaupt nicht, um ganz ehrlich zu sein. Dieses Experiment ist in vielen Belangen vollständig gescheitert, in einigen vielleicht nur teilweise, aber im Großen und Ganzen kann man nicht sehr viel Positives über diesen Film sagen, über diesen Versuch, aus "Ben-Hur" etwas Neues, Zeitgenössisches zu machen.

Ein Konflikt zweier Freunde, die zu Feinden werden

Man muss vielleicht mit zwei Sätzen noch mal kurz sagen, worum es in "Ben-Hur" eigentlich geht: ein klassischer Stoff des Kinos eigentlich, ein Konflikt zweier Freunde, die sich aus Jugendjahren kennen und sich dann in der römischen Antike auf einmal ganz verfeindet gegenüberstehen - auf der einen Seite der jüdische Fürst Judah Ben-Hur und auf der anderen Seite sein Jugendfreund Messala, der inzwischen bei den Römern angeheuert hat und als neuer Tribun nach Jerusalem kommt und von Ben-Hur sozusagen den Verrat wünscht. Er soll die Leute in Jerusalem ausliefern, die sich nach wie vor gegen die Römer stellen. Und Ben-Hur verweigert sich dem, und dann kommt es zu einem Ausbruch bei diesem Konflikt, bei dem sozusagen die beiden sich verfeindet gegenüberstehen.
Ben-Hur wird auf eine Galeere als Sklave geschickt, und nach vielen Jahren treffen sie sich in jenem berühmten Wagenrennen bis im Kampf auf den Tod wieder. Das ist so im Groben und Ganzen der Erzählrahmen, vor dem "Ben-Hur" spielt. Und man könnte ja tatsächlich, so wie Sie das eben gesagt haben, sich durchaus vorstellen, daraus etwas Neues, Modernes zu machen, denn diese Geschichte von 1959, die ist ja so, wie das ganze Monumentalkino eben ist, sehr bedeutungsschwanger, sehr lang, das ist auch alles sehr mit Metaphorik aufgeladen, diese epischen Dialoge, die zum Teil eben sehr starr mit der Kamera, so theatralisch abgefilmt wurden.

Neue "Ben-Hur"-Verfilmung nur halb so lang wie Original

Ich hätte mir da durchaus was vorstellen können für die Jetztzeit, aber dazu hätte man halt irgendeine Idee haben müssen, was man mit diesem Stoff eigentlich anfangen will, und die hatte der Regisseur leider überhaupt nicht.
Wellinski: Was man, glaube ich, sagen kann, ist, dass diese neue Verfilmung mit ungefähr zwei Stunden gerade mal halb so lang ist wie das Original von William Wyler von 1959. Das Drehbuch zu "Ben-Hur" war damals aber auch ehrlich gesagt schon ein Problem, und das nimmt das, glaube ich, schon auf, was Sie da gerade gesagt haben, denn auch Wyler musste erst jemanden hinzuziehen, um überhaupt aus diesem Stoff einen Kinostoff zu machen. Das war damals der Schriftsteller Gore Vidal, und der hat etwas für damalige, aber auch, glaube ich, für die heutigen Zeiten etwas sehr Interessantes gemacht: Für ihn war diese Geschichte von Judah Ben-Hur und Messala eine Liebesgeschichte zwischen zwei Männern.
"Kannst du dir etwas Traurigeres vorstellen, als unerwiderte Liebe?"
Und ich würde argumentieren, dass es dieser verschwiegene homosexuelle Subtext überhaupt war, der diesen damaligen Film von Wyler überhaupt erst so berühmt gemacht hat. Er hat ja elf Oscars bekommen. Das ist ja jetzt in diesem neuen Film gar nicht mehr, nicht mal ansatzweise vorhanden, oder?

Homosexueller Subtext vollkommen verschwunden

Kötzing: Nee, überhaupt nicht. "Ben-Hur" bekommt sogar eine Ehefrau an die Seite gestellt, Esther ist das, die er in der ursprünglichen Fassung von 1959 noch an jemand anderen freigibt zur Heirat.
Ja, das sind so einige der Subtexte, die in diesem Film völlig verschwinden. Ich finde, der ist aber vor allem von Anfang an total auf die Effekte aus. Man merkt das ja schon gleich am Anfang, die ersten Sekunden, da ist der neue "Ben-Hur" schon mal eben beim Anfang des Wagenrennens, um dann von dort aus zurückzuspringen in die Vergangenheit und uns die Geschichte zu erzählen. Da merken wir ganz genau, wo er eigentlich mit uns hin will: Es geht nur darum, mit den technischen Möglichkeiten etwas neu zu erzählen, was besonders spektakulär auf der Leinwand aussehen soll, eben das Wagenrennen oder auch die Schlacht auf dem offenen Meer mit den Galeeren. Alles wird zugespitzt, alles wird dramatisiert. Dieser Film, der vertraut diesem ursprünglichen Konflikt dieser beiden männlichen Figuren überhaupt nicht, in keiner einzigen Sekunde, er will immer etwas Besonderes daraus machen.
Ein Beispiel: Wo beim alten "Ben-Hur" von 1959 noch ein Dachziegel vom Dach rutscht, ein Unfall, der sozusagen den endgültigen Konflikt aufbrechen lässt zwischen Messala und Judah Ben-Hur, da braucht dieser Film schon gleich ein Attentat, da muss richtig was Großes herhalten, um etwas Dramatisches daraus zu machen. Und das zieht sich so ein bisschen wie ein roter Faden durch diesen Film, der eigentlich in jedem Moment sagen möchte: Sieh her, ich bin etwas ganz Besonderes, ich bin ein moderner "Ben-Hur". Aber wenn wir ehrlich sind, dann schlachtet er diesen Mythos eigentlich nur etwas lieblos für sich aus und bringt es einfach nie zu einem Punkt, wo man sagen könnte, hier hat jemand eine eigenständige Interpretation gefunden.

"Es lässt mich emotional einfach total kalt"

Wellinski: Das hat ja der russische Regisseur Timur Bekmambetov ehrlich gesagt nie wirklich gehabt. Er war ja immer der Mensch für die lauten Töne, für die Spezialeffekte, so ist er ja überhaupt erst nach Hollywood gekommen. Jetzt kann man sich natürlich fragen, wenn jemand die Betonung bei so einem Film auf die Technik setzt, ist die denn wenigstens überzeugend? Hier haben wir es ja mit einem "Ben-Hur" in 3-D zu tun.
Kötzing: Ja, da könnte man jetzt mit viel Augenzudrücken sagen, ja, er weidet sich so ein bisschen in diesen technischen Szenen oder in den Action-Sequenzen. Aber was bringt's mir denn im Endeffekt? Das ist lieblos, das ist herzlos - wenn ich den Konflikt zwischen den beiden Figuren nicht nachvollziehen kann, dann kann ich mir da dieses in die Länge gezogene Wagenrennen natürlich in 3-D anschauen und irgendwie denken, wow, da fliegen mir jetzt ja die Räder irgendwie sogar entgegen auf der Leinwand, aber es lässt mich emotional einfach total kalt.
Und das ist eben das Grundproblem auch bei diesem Film: Wenn man nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht im Drama von "Ben-Hur", dann bleibt am Ende eben nicht viel davon übrig. Das liegt auch daran - Sie haben es gesagt -, der Film ist halt viel kürzer als das Original, kann man ja, muss man vielleicht sogar machen, heutzutage dreht ja niemand mehr vierstündige Filme fürs Hollywood-Kino, aber der Film lässt ja zum Beispiel den kompletten Erzählstrang weg.
Nachdem Ben-Hur auf der Galeere einem römischen Menschen das Leben gerettet hat, einem römischen Konsul das Leben gerettet hat und dann selber in die Gemeinschaft der Römer aufgenommen wird und dort überhaupt erst zum Wagenrennen geführt wird, ausgebildet wird zum Piloten in so einem Wagenrennen, das kommt in dem neuen Film alles überhaupt nicht vor. Wir verstehen auch diesen Konflikt daher nur zur Hälfte, weil wir gar nicht begreifen, in welcher Notsituation sich Ben-Hur eigentlich am Ende befindet. Er steht eben nicht nur zwischen Messala und sich, sondern er steht auch zwischen den Konflikten - Judäa auf der einen Seite und Rom auf der anderen Seite -, aber davon bleibt in dem Film eben nichts übrig.
Wellinski: Es gibt aber Morgan Freeman als Beduinen aus Afrika, der so eine Art Mister-Miyagi-Trainerposition annimmt, eine sehr seltsame, fast schon ehrlich gesagt lächerliche Figur.
Kötzing: Das stimmt - mit seinen Rastafari-Locken sieht er irgendwie aus so ein bisschen wie eine Wiederkehr von Bob Marley. Ich glaube, man hat ihm vorher nicht gesagt, was er in diesem Film spielen soll, sonst hätte Morgan Freeman das wahrscheinlich einfach nie zugesagt.
Wellinski: In der Tat. Aber wenn wir jetzt noch mal auf den Stoff "Ben-Hur" gehen - wir können uns, glaube ich, einigen, dass diese Neufassung nicht gelungen ist: Dieser Stoff von "Ben-Hur" ist schon ein sehr faszinierender für die Geschichte von Hollywood gewesen, denn selbst der Film von William Wyler war ja schon ein Remake, es gab nämlich schon einen Stummfilm unter anderem 1925 von Fred Niblo. Was ist es denn, was diese Geschichte dann doch immer wieder interessant macht für Regisseure?
Kötzing: Ich glaube, es ist im Kern diese Geschichte, von der ich am Anfang schon gesagt habe, dass sie eigentlich ein genuinen filmischen Stoff beinhaltet, nämlich den Verrat zwischen zwei Figuren, zwei Freunden, die sich eigentlich nahezu intim gegenüberstehen und dann durch den Verrat eben auseinandergedriftet werden.
Das ist ja eigentlich eine ganz zeitlose Geschichte, die man auch losgelöst sich von dem römischen Kontext der römischen Antike ganz gut auch in einem modernen Film hätte vorstellen können, in einem Film, der vielleicht in der Echtzeit angesiedelt gewesen wäre. Das wäre ein "Ben-Hur" gewesen, den ich mir irgendwie gut hätte vorstellen können. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ist "Ben-Hur" natürlich auch so ein riesiger Mythos inzwischen geworden: Der hat es ja geschafft, bestimmte Geschichtsbilder zu etablieren, bei denen sich den Althistoriker noch heute irgendwie die Nackenhaare in die Höhe stellen.

"Ben-Hur" prägte unser Geschichtsbild

Der größte Anachronismus der Filmgeschichte sind die römischen Galeerensklaven, die sind in "Ben-Hur" übrigens schon 1925 und auch 1880 auch in der Romanvorlage eingeführt worden. Jeder kennt ja dieses Klischeebild, die schwitzenden Männer, die dort an den Riemen sitzen, während vorne jemand trommelt und den Takt vorgibt - das hat es in der Realität leider nicht gegeben, muss man sagen.
Das waren hoch ausgebildete Soldaten im alten Rom, die das gemacht haben, gut bezahlt, hoch qualifiziert, ansonsten wären diese Galeeren auch überhaupt nicht lenkbar und steuerbar gewesen. Das Bild des römischen Galeerensklaven zum Beispiel ist maßgeblich von "Ben-Hur" geprägt worden - in der Geschichte kennen wir das eigentlich erst aus dem Spätmittelalter beziehungsweise aus der frühen Neuzeit.
Also da sieht man, was so ein bisschen auch die Faszination dieses Stoffes vielleicht ausmacht, wenn man auf der einen Seite die Geschichte nimmt und auf der anderen Seite eben auch der Mythos, der immer mit dazugehört.
Wellinski: Sie hat ja auch etwas Ursprüngliches, vor allem die Zeit, in der diese Geschichte angesiedelt ist, sie spielt nämlich ungefähr zur Lebensgeschichte von Jesus Christus. Und das ist ja auch immer eine Frage, wie geht Hollywood denn mit diesem christlichen Erbe um. Bei Bekmambetov bekommt das Ganze ja - ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich es sagen soll – fast schon die Überhand, ich wähnte mich manchmal in dem Film "Passion" von Mel Gibson auf eine sehr komische Art und Weise. Ist das denn fast schon eine russisch-orthodoxe Variante von "Ben-Hur"?
Kötzing: Na ja, man muss ja der Ehrlichkeit halber sagen, auch die beiden alten Filme waren schon nicht zimperlich.
Wellinski: Ja, das stimmt.

"Das ist so schwülstig, das ist so schlecht"

Kötzing: Wenn es darum ging, so einen christlichen Überbau zu erzählen, und sozusagen die Rache, die Ben-Hur in sich führt, wird erst überwunden in Gegenwart der neuen Geschichte von Jesus Christus, aber der neue Film, der setzt dem Ganzen wirklich noch einen oben drauf - William Wyler, selbst der hat sich nicht getraut, Christus im Bild zu zeigen, der ist immer nur von hinten zu sehen oder steht im Halbschatten, er redet nicht ein einziges Wort im Film von 1959.
Was macht Bekmambetov? Der lässt ihn reden, der gibt ihm ein Gesicht, der missioniert dort fröhlich vor sich hin, den ganzen Film entlang mehr oder weniger, bis hin zu einer Geschichte - ich meine, das dürfen wir vielleicht an dieser Stelle sagen, weil nach diesem Gespräch geht, glaube ich, eh niemand mehr in diesen Film: Er stellt ja mit diesem religiösen Erweckungseifer die Geschichte von Ben-Hur am Ende regelrecht auf den Kopf. Das ist ja eigentlich eine Geschichte, wo einer der beiden Freunde tot in der Arena zurückbleibt, aber hier in Gegenwart der neuen christlichen Heilslehre schafft es Bekmambetov sogar, diese beiden Freunde wieder miteinander zu versöhnen, zu vereinen.

Missionieren mit 3-D-Action

Das ist so schwülstig, das ist so schlecht, dass man eigentlich nur jedem raten kann, spätestens am Ende des Wagenrennens - wenn man deswegen ins Kino geht und sagt, das guck ich mir jetzt in 3-D einmal an, aber spätestens danach seine Sachen nehmen und rausgehen.
Wellinski: In Amerika ist "Ben-Hur" nach dem ersten Startwochenende jedenfalls schon auf dem besten Weg, zum Flop des Jahres zu werden, ganze elf Millionen hat er eingespielt, bei Produktionskosten von ungefähr 100 Millionen ist das schon eine herbe Niederlage für die Produzenten. Ob die Auslandseinspielergebnisse das wieder wettmachen, ist zu bezweifeln.
Ab Donnerstag können Sie sich ja selbst von der Qualität beziehungsweise, Sie haben es gehört, Nichtqualität überzeugen, dann kommt "Ben-Hur" auch in die deutschen Kinos. Vielen Dank, Andreas Kötzing!
Kötzing: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema