Beklemmende Gefangenschaft

Von Eberhard Spreng · 17.12.2011
Ein Mann sperrt junge Frauen monatelang in einen Kellerbunker, die Frauen leiden danach unter totalem Selbstverlust: Arne Lygres "Tage unter" ist ein fatalistisches Planspiel, in dem es keine Dynamik und Kreatürlichkeit geben kann.
Ein Mann greift aus der Öffentlichkeit junge Frauen ab, die in Schwierigkeiten stecken. Drogenbiografien zum Beispiel. Er sperrt sie in einen Kellerbunker, den er vom Wohnraum in seinem einsamen Haus durch einen Einwegspiegel einsehen kann. Nach Monaten entlässt er sie in eine Freiheit, mit der sie allerdings kaum noch etwas anfangen können.

Die "Rettung" dieses "Therapeuten" führt in den totalen Selbstverlust. Arne Lygres Spiel um Fragen von Herrschen und Beherrscht werden in beklemmender Gefangenschaft hat Stéphane Braunschweig vor einer hoch aufragenden Wand aus Betonbausteinen eingerichtet. Udo Samel als "Besitzer" und Claudia Hübbecker als "Frau" spielen ein Paar, das sich zu Beginn der Aufführung die gegenseitige Abhängigkeit mit Beschwörungsformeln schön redet.

In für das Theater des französischen Regisseurs üblicher Kargheit erschließen sich deutlich die Sprachebenen des norwegischen Autors: das Psychologische, das Surreale, das Parabolische einer Figurenkonstellation, in der jeder Akteur für kurze Momente neben sich treten kann und in der dritten Person über sich spricht. "Hyperrepliken" nennt dies Arne Lygre. In seinem Lehrstück findet die schwer erträgliche Gewalt also nur auf der Sprachebene statt.

Es ist dies auch ein Theater der Entindividuierung, denn die Strukturen der Gewalt setzen sich unverändert fort, nachdem der die Spielregeln bestimmende "Besitzer" gestorben ist. Ein wenig ist Lygres lakonischer Blick auf Zwänge und Herrschaftsstrukturen ein fatalistisches Planspiel, in dem es keine Dynamik, Entwicklung, Kreatürlichkeit geben kann. Die Zerstörung seiner Figuren ist vollendet und bedarf der äußeren Anstöße, der äußeren Welt nicht mehr.

Weiterführende Links:

Berliner Festspiele - "Tage unter"
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