Beerdigung in 24 Stunden

Von Thilo Guschas · 20.11.2010
Die Generation der sogenannten Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen, wird alt wird und stirbt. Deswegen spezialisieren sich Bestattungsunternehmen wie das von Vildane Abdelatif auf islamische Riten.
"Ich bin ganz normal, glaub ich. Keine typische Geschäftsführerin. Man könnte auch sagen: 'Sind Sie hier die Putzfrau?' Also, ich bin nicht die Geschäftsführerin, die man sich so vorstellt. Ich bin mehr so Mutter, Familienangehörige. So ungefähr sehen meine Kunden aus, so wie ich ausseh'. Typische türkische Frau, gehen Sie auf einen türkischen Gemüsemarkt, gucken Sie sich eine typische Frau mit Kopftuch an, das bin ich."

Vildane Abdelatif führt durch die lichten Räume ihres Unternehmens. Sicher: Sie ist Geschäftsführerin. Richtig: Sie leitet ein Unternehmen für islamische Bestattungen, und das als Frau in einer türkischstämmigen Community. Doch ihren exotischen Status spielt sie nicht aus. Die zierliche Frau Mitte 40 rückt die Arbeit in der Vordergrund, ihr modern konzipiertes Bestattungsunternehmen, nicht sich selbst.

"Wir haben versucht, hier keine Atmosphäre von Friedhof, Hospiz, Pathologie aufkommen zu lassen. Eher soll sie häuslich sein, deswegen sagen wir 'Bestattungshaus'. Die Familien sollen in dem Augenblick denken, es ist ihr Haus und ihr Abschiedsraum. Es riecht auch nicht nach Verstorbenen. So, als wenn dieses Haus nicht für Tod bestimmt wäre."

Abdelatifs Bestattungshaus liegt in Hamburg nur ein paar Autominuten entfernt vom Friedhof Öjendorf, der ein großes muslimisches Gräberfeld hat. In Deutschland ist das noch immer etwas Kurioses, ganz genau wie Abdelatifs Beruf. Dutzende Journalisten haben die Bestatterin schon portraitiert. Auf dem Friedhof sind die Grabmale nach Mekka ausgerichtet, meist haben sie einen arabischen Schriftzug. "Im Namen Gottes des Barmherzigen" steht dort. Doch wenn man die Grabinschriften genauer besieht, rückt der Islam in den Hintergrund. Auf dem Friedhof ebenso wie in Abdelatifs Beruf.

"Angehörige zu betreuen, die Kinder, ein Kind verloren haben. Das ist immer besonders schwer. Plötzlicher Tod. Plötzlicher Kindstod. Wenn Angehörige natürlich sehr emotional mir gegenüber auftreten, muss ich teilweise mitweinen. Aber wenn sie sich abgefunden haben – also ich reagiere wie die Angehörigen reagieren und auftreten. Wenn sie weinen, weine ich auch. Wenn sie kühl sind, bin ich auch kühl. Ich bin quasi ein Teil dieser Familie in diesem Moment.

Wenn man jeden Tag den Tod sieht, dann denkt man anders. Das gibt den Halt, das gibt die Kraft. Ohne Religion stürzt man ja noch mehr ein in dem Moment. Religion gibt dann eben Kraft, dass man denkt, man kommt ins Paradies, betet und erledigt seine Aufgaben dafür, das gibt dann Kraft."

Das Kopftuch trägt Vildane Abdelatif erst seit wenigen Jahren. Erst jetzt, sagt sie, sei sie reif dafür. Der Tod ist ihr alltäglicher Begleiter. Die Erschütterung der Angehörigen; die Endgültigkeit des körperlichen Todes. Auch nach Jahren hat das seine Intensität nicht verloren.

"Ja, es ist immer gleich. Aber man verarbeitet das anders. Man vergisst das schneller. Ich trag das dann nicht mehr mit mir mit, so wie in der Anfangszeit, da habe ich mir öfters Gedanken drüber gemacht, aber jetzt schließ ich das ab, Sobald ich meine Aufgabe erledigt hab, ist das auch für mich erledigt, dieser Fall."

Vildane Abdelatif hat eine offene Ausstrahlung. Zugleich wirkt sie aber angespannt. Auf dem Tisch vor ihr liegt ein Handy. Sie stellt es auch nachts nicht aus. Wenn ein Anruf kommt, tickt die Uhr. Der Islam schreibt vor, dass die Beerdigung 24 Stunden nach dem Tod geschehen soll. Dem ordnet Abdelatif alles unter.

"Musik im Islam hören ist eigentlich nicht gut. Aber man drückt ja ein Auge zu. Türkische klassische Musik höre ich gerne, was mich so beruhigt."

Ihre Lehrjahre waren keineswegs religiös geprägt. Durch Abendkurse hat sie das Fachabi nachgeholt, und anschließend studiert, Fremdsprachensekretärin. Das Bestattungsunternehmen aufzubauen, war eine Idee ihres Vaters. Er arbeitete damals als Pathologe in Hamburg und erkannte die Marktlücke. Bestattungen nach islamischem Brauch gab es damals nur in Süddeutschland. Du musst die Toten auch nicht anfassen, lockte er seine Tochter. Und sicher hat er auch auf ihren Ehrgeiz spekuliert. Auch eine Bestatterin ist letztlich eine Unternehmerin.

Fast alle Bestattungen, die Abdelatif betreut, sind Überführungen in die Türkei. Die Generation der Gastarbeiter, die nun stirbt, will dort begraben werden, trotz der Jahrzehnte in Deutschland. Auch Abdelatif benutzt für die Türkei das Wort "Heimat". Dabei ist die Mittvierzigerin schon im Alter von acht Jahren nach Deutschland gekommen . Sie gehört einer Zwischengeneration an. Nicht in Deutschland geboren, aber doch hier verwurzelt. Die Frage, wo ihr eigenes Grab einmal liegen soll, gerät für Abdelatif zu einer Augenblicks-Analyse ihres Lebens im Hier und Jetzt:

"Wir haben uns hier überlegt, hier in Deutschland. Wenn Sie mich vor fünf Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Gar keine Frage, auch Heimat. Aber jetzt wo ich sehe, meine Kinder, die bleiben hier. In der Heimat habe ich niemanden mehr, der mich in Empfang nehmen könnte. Cousins, Onkel, mit denen habe ich wirklich nur alle zwei Jahre im Urlaub was zu tun. Und jetzt habe ich gesehen, Friedhof Öjendorf zum Beispiel ist sehr schön geworden. Jetzt bin ich am Überlegen, ob wir uns da nicht eine Familienecke schon reservieren lassen."