Bedrohte Musiker, niedergebrannte Kinos

Moderation: Frank Meyer · 20.03.2013
Unter Diktator Saddam Hussein gab es in Bagdad einst ein reges Kulturleben, sagt die Journalistin und Irak-Kennerin Katrin Sandmann. Doch zehn Jahre nach dem Sturz des Regimes sei davon nicht mehr viel übrig. Zu stark sei inzwischen der Einfluss religiöser Fanatiker.
Frank Meyer: Gestern gab es neue Anschläge in Bagdad mit vielen Toten, überhaupt hat die Zahl der Anschläge im Irak wieder zugenommen seit einiger Zeit. Die Gewalt dort geht weiter, auch zehn Jahre nach dem Beginn des zweiten Irakkrieges. Manche Beobachter sprechen von einem gescheiterten Staat. Gibt es in dieser Lage überhaupt noch so etwas wie Kultur in diesem Land?

Die Journalistin Katrin Sandmann hat viele Jahre lang aus dem Irak berichtet. Im vergangenen Jahr hat sie einen Film über die Kulturszene in Bagdad gedreht, und jetzt ist sie hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen, Frau Sandmann!

Katrin Sandmann: Guten Morgen, Herr Meyer!

Meyer: Es gibt ein irakisches Symphonieorchester, das in Bagdad probt. Sie haben das Orchester besucht bei Proben und haben dort gesehen, dass diese Proben bewacht werden, auch die Konzerte, dass die Konzerte nur für Eingeweihte stattfinden, gar keine Werbung dafür gemacht wird, und dass die Musiker bedroht werden. Wer bedroht denn ein Symphonieorchester?

Sandmann: Ja, das fragt man sich in der Tat. Die Musiker wissen selber nicht, von wem sie bedroht werden, sie haben mir alle erzählt, dass diese Bedrohungen immer anonym kommen. Das können SMS sein, Handybotschaften, Briefe, die abgegeben werden, und niemand weiß, wer sie abgegeben hat. Alle vermuten, dass es religiöse Fanatiker sind, die dahinterstecken, die einfach sagen, diese Musik ist vielleicht zu westlich – die Symphoniker spielen Beethoven, Mozart, Dvoøák –, oder dass es religiöse Fanatiker sind, die generell sagen, Musik ist gegen den Islam. All diese Formen der Religiosität gibt es in Bagdad, und die Musiker vermuten, dass so etwas dahintersteckt.

Meyer: Und viele Orchestermusiker ziehen immer wieder um mit ihren ganzen Familien, um ihre Familien zu schützen. Gab es tatsächlich schon Fälle, dass Familien von Orchestermusikern angegriffen wurden?

Sandmann: Nicht direkt angegriffen. Also bisher hatten die Symphoniker Glück, es ist niemand durch diese Bedrohung tatsächlich auch ums Leben gekommen. Eingeschüchtert sind sie aber alle, und was sie erzählen, ist, dass es keinerlei Schutz für sie gibt. Also an wen wendet man sich, wenn man anonym bedroht wird? Es gibt niemanden, an den sie sich wenden können, also haben sie zu einer Art Selbsthilfe gegriffen. Und was die Symphoniker machen – und das haben mir sehr, sehr viele von ihnen erzählt –, dass sie einfach in unregelmäßigen Abständen, wenn sie das Gefühl haben, unsere Nachbarn wissen jetzt, wir sind bei den irakischen Symphonikern, wir spielen Musik, dass sie dann einfach wirklich alles einpacken, was sie haben und in einen anderen Stadtteil ziehen, wo sie niemand kennt, und wo sie dann glauben, dass sie mit ihren Familien für einen bestimmten Zeitraum sicher sind. Erschreckend war, dass mir der Konzertmeister zum Beispiel erzählt hat, dass er innerhalb von drei Jahren sechsmal umgezogen ist, mit seiner ganzen Familie.

Meyer: So geht es den Orchestermusikern des irakischen Symphonieorchesters heute. Sie kennen die Stadt auch aus der Zeit vor dem Irakkrieg, vor 2003. Was für ein Kulturleben gab es damals in Bagdad?

Sandmann: Ja, das ist ganz interessant, weil das die wenigsten wissen. Es gab eigentlich ein ganz reges Kulturleben in Bagdad. Saddam Hussein – auch das wissen die Wenigsten – hat Kunst und Kultur eigentlich unterstützt, nicht, weil er so besonders begeistert davon war, sondern weil er einfach gedacht hat, das braucht er, um Ansehen für sein Land zu schaffen. Das heißt, es gab eine Musikhochschule, es gab eine Balletthochschule, es gab diese Symphoniker, die in Zeiten von Saddam Hussein tatsächlich sehr gut unterstützt worden sind, es gab eine ganz rege Galerienszene. Ich glaube, 1998 gab es 40, 50 Galerien allein in Bagdad, das heißt, es gab natürlich auch Käufer, und eigentlich haben wir in dieser Zeit ein deutlich regeres Kulturleben in Bagdad erlebt, als es jetzt der Fall ist.

Meyer: Genau – was gibt es denn jetzt, wenn man durch die Stadt fährt? Was sieht man an Kinos, an Konzertsälen, an Buchläden, Galerien, was sieht man von dem, was man unter Kulturleben versteht?

Sandmann: Also vielleicht um mit den Kinos anzufangen, Kinos sind niedergebrannt worden, geschlossen worden, ich glaube, meines Wissens nach gibt es kein einziges geöffnetes öffentlich zugängliches Kino mehr in Bagdad. Das waren auch religiöse Fanatiker, die dafür verantwortlich waren. Es gibt kein großes Konzerthaus, es gibt keine Oper, es gab jede Menge Pläne, ein Opernhaus in Bagdad zu bauen – Sie haben es eingangs erwähnt, Bagdad ist Kulturhauptstadt der arabischen Welt in diesem Jahr –, daraus ist nichts geworden, die Symphoniker etwa, die proben in Räumen, in denen normalerweise Ballettstunden gegeben werden. Das heißt, all das, was wir mit einem öffentlichen Kulturleben verbinden – Theater, Opern, Kinos, Konzertsäle –, all das gibt es in Bagdad nicht.

Meyer: Heute prägt ja der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten das Land, und militante religiöse Kräfte haben großen Einfluss im Irak. Sie haben mit einem führenden Geistlichen gesprochen, der auch großen politischen Einfluss hat. Was haben Sie von ihm erfahren können, was stellt er sich vor unter einer Kultur für dieses Land?

Sandmann: Na ja, alles, was im weitesten Sinne mit Religion zu tun hat – er hat mir eigentlich eher gesagt, was er sich vorstellt, was Kultur auf keinen Fall sein darf: Das ist zum Beispiel jegliche Form von westlicher oder zeitgenössischer Musik, Musik überhaupt, das ist alles, was mit Tanz zu tun hat, alles, was damit zu tun hat, dass Frauen sich zum Beispiel öffentlich bewegen, öffentlich präsentieren, alles, was zum Beispiel zum Schauspiel gehören würde oder zur Oper gehören würde, all das war nach Meinung dieses schiitischen Geistlichen haram, also gegen den Islam, verboten. Was er sich für ein Kulturleben vorgestellt hat, dazu hat er sich eigentlich überhaupt nicht geäußert.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit der Journalistin Katrin Sandmann über die Kultur im Irak. In Ihrem Film, den Sie gedreht haben, über die Kulturszene in Bagdad, da spielt interessanterweise die Heavy-Metal-Szene in Bagdad eine relativ große Rolle, was ich vorher so nicht vermutet hätte. Was fanden Sie an den Bands so interessant?

Sandmann: Wir wollten einfach mal gucken, ob es überhaupt solche Musik, was für eine Musikszene, für eine junge Musikszene es gibt. Die Iraker sind ein unglaublich junges Land – ich habe jetzt die Zahlen nicht genau im Kopf, aber ich würde mal sagen, 50 Prozent sind unter 24 wahrscheinlich –, da habe ich mir gedacht: Da muss es eine Musikszene geben. Und dann haben wir einfach so ein bisschen gesucht, als wir in Bagdad waren, und alle haben uns gesagt: Ach, es gibt mehrere Heavy-Metal-Bands. Also bin ich losgegangen und habe dann auch eine gefunden, die hörte auf den schönen Namen "Dog Faced Corpse" – also das heißt Leichnam mit dem Hundekopf, wenn man so will –, und was ich dann gehört habe von diesen jungen Musikern, das fand ich doch erschreckend.

Die haben nämlich einfach aufgenommen, was um sie herum passiert und haben das in diese doch recht gewalttätige Musik umgewandelt. Allein der Name der Band geht auf eine wahre Geschichte zurück, dass eine Leiche gefunden wurde – die ist aus dem Tigris gefischt worden –, die war enthauptet worden und der war ein Hundekopf aufgenäht worden. Und ähnlich sind die ganzen Songs dieser Band tatsächlich, da gibt es einen Song zum Beispiel, der heißt "Drill", als Bohren, und der bezieht sich auf eine gängige Foltermethode im Irak, bei der Gefangenen bei lebendigem Leib der Schädel aufgebohrt wird. All das setzen diese jungen Menschen um in Musik, und das ist natürlich erschreckend.

Meyer: Und können sie mit diesen Songs dann auftreten?

Sandmann: Auftritte von Heavy-Metal-Bands sind vollkommen unmöglich. Erst im Frühjahr – nein, im Herbst vergangenen Jahres – ist diese gesamte junge Musikszene schwerstverfolgt worden, keiner weiß eigentlich wirklich, wer hinter diesen Verfolgungen stand, aber die sind alle untergetaucht. Als ich diese jungen Musiker der Heavy-Metal-Band getroffen habe, hatten sie lange Haare, sie hatten schwarze T-Shirts an, Piercings, Chucks – also eigentlich sahen sie aus wie junge Musiker in den Vereinigten Staaten oder wie hier –, die haben dann innerhalb von kürzester Zeit sich die Haare abgeschnitten, haben sich so gekleidet, dass sie unauffälliger sind in der Gesellschaft, wenn sie auf die Straße gehen, haben ihre Facebook-Seiten gelöscht, ihre E-Mail-Adressen ausgewechselt, weil sie sich verfolgt finden. Also nein, Auftritte vollkommen unmöglich – ich glaube, diese Band, die es seit einigen Jahren gab, ist zweimal aufgetreten, das allerdings auch im privaten Rahmen, mehr oder weniger bei Freunden in einer Hotelhalle, glaube ich, und eingeladen waren auch nur Freunde.

Meyer: Wenn es im Moment so schwierig ist, öffentlich mit Kultur aufzutreten, vielleicht blüht ja dann gerade die Kultur im Verborgenen, also zum Beispiel das Lesen – ich habe es vorhin angesprochen, Bagdad wurde mal die Stadt der Leser genannt, Sie haben auch den Basar der Dichter, den es auch in Bagdad gibt, besucht. Haben Sie Anzeichen dafür gefunden, dass es so ist, dass tatsächlich vielleicht die Lesekultur gerade blüht?

Sandmann: Nun hat dieser Buchmarkt eine große Tradition, und der ist in der Vergangenheit auch immer wieder Ziel von Anschlägen geworden. Und das schöne war eigentlich, dass ich da wieder ein sehr reges Leben gesehen habe. Das heißt, die Leute kaufen Bücher, und wahrscheinlich lesen sie sie dann auch. Es gibt eine recht rege Schriftstellerszene in Bagdad, ich habe viele Schriftsteller getroffen – die allerdings haben sich beklagt, dass sie wenig Leserschaft finden, dass es schon schwierig ist, überhaupt Verlage zu finden, die ihre Bücher drucken. Sie sagen, dieses ganze Geschäft der Literatur hat sich eigentlich tatsächlich verlagert nach Beirut und nach Kairo.

Meyer: Unter all diesen Voraussetzungen, was denken Sie, wie sind die Chancen für die Kultur in Bagdad, im Irak für die nächste Zeit. Werden sich die Voraussetzungen eher verbessern oder noch weiter verschlechtern?

Sandmann: Nun, also ich fürchte, das ist jetzt meine persönliche Einschätzung, es ist immer schwer, so was vorauszusagen, aber ich fürchte, nach allem, was ich gesehen und gehört habe, dass es sich eher verschlechtert. Ich habe in der Zeit, in der ich in Bagdad war, mit keinem einzigen Künstler gesprochen, der mir nicht gesagt hat, dass er auf die eine oder andere Art und Weise bedroht wird, der nicht darüber nachgedacht hat, das Land zu verlassen. Und wenn die kulturelle Elite – und natürlich war das eine Elite, mit der ich gesprochen habe – eines Landes sich mit Auswanderungsgedanken trägt, sehr seriös, und viele von den Personen, mit denen ich gesprochen habe, sind auch nicht mehr in Bagdad mittlerweile, die sind jetzt in Kanada, in den Vereinigten Staaten, teils in Europa, also wenn sich viele Mitglieder dieser kulturellen Elite mit dem Gedanken tragen, auszuwandern, dann ist das natürlich das denkbar schlechteste Zeichen für die Kulturszene dieses Landes.

Meyer: Zehn Jahre nach dem Beginn des Zweiten Irakkrieges, welche Chancen hat die Kultur in diesem Land? Darüber haben wir mit der Journalistin Katrin Sandmann gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Sandmann: Gerne!

Meyer: Und noch ein Hinweis: Der Film von Katrin Sandmann, den können Sie nach wie vor sehen, Sie finden ihn in der ZDF-Mediathek, da unter dem Stichwort "Kulturkrieger Bagdad".


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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