Bayreuth für Anfänger

Von Jürgen Schiller · 25.01.2009
Ein satirischer Stadtführer, liebenswert und frech, respektlos und voller Humor. Nicht alle Bayreuther sind durchweg in Felle gekleidet und die Polizisten tragen keine Helme mit Stierhörnern. Die Wagnerianer, die "zur Festspielzeit das eigentliche Bayreuth wie eine vorübergehende, ungefährliche Epidemie von Blattläusen überziehen" verschwinden mit dem letzten Takt von Parsifal spurlos.
Ein satirischer Stadtführer, liebenswert und frech, respektlos und voller Humor. Nicht alle Bayreuther sind durchweg in Felle gekleidet und die Polizisten tragen keine Helme mit Stierhörnern. Die Wagnerianer, die "zur Festspielzeit das eigentliche Bayreuth wie eine vorübergehende, ungefährliche Epidemie von Blattläusen überziehen" verschwinden mit dem letzten Takt von Parsifal spurlos.

"Kommt man zum ersten Mal nach Bayreuth, so vermisst man - je nach dem - an der Autobahn-Ausfahrt oder am Bahnhof das Posaunenquartett, das etwa 'Weither, traun, kamst du daher, bläst'. Man findet zwar eine Richard-Wagner-Straße, muss jedoch feststellen, dass die Bayreuther durchwegs nicht in Felle gekleidet sind und die Polizisten keine Helme mit Stierhörnern tragen."

Volker Gondrom liest amüsiert in dem kleinen Bändchen von Herbert Rosendorfer: Bayreuth für Anfänger, zeigt auf eine Szene am Anfang der Fußgängerzone. Kein Polizist mit Stierhornhelm, aber ein Ordnungsamtvertreter in grün neben einem Auto. Der Mann spricht nicht, grunzt vor sich hin, kurze Lacheinlagen, tippt an seinem elektronischen Verwarnungsgeldcomputer. Das Gerät surrt, spuckt einen Zettel aus. 30 Euro. Das Ordnungsamt nickt triumphierend, verschwindet. Wagners "Lohengrin" frei interpretiert: Seht. Friedrich geht! Der Tugendreiche. Wie ist sein Antlitz trüb und bleiche.

Treffpunkt Operncafe. Massiver schöner Backstein. Ein Gartensaal in Biedermeier, ein Markgräfinnenzimmer in üppigem Barock, ein Markgrafenzimmer in schlichter grauer Eleganz. Geschichte pur in lebendiger Straße, gleich neben dem Markgräflichen Opernhaus. Auftritt Volker Gondrom. Verleger. Chef des Loewe Verlages in Bindlach bei Bayreuth. Zu den Klassikern zählt Hoffmanns Struwwelpeter. Heute: Klassiker und Sagen, populäre Kinderbuchreihen, zuletzt die Erweiterung des Programms für jüngere Zielgruppen. Der Erfolg ist hier zu Hause. Volker Gondrom wirkt wie aus dem Ei gepellt, elastisch, drahtig. Fast ein bisschen Beckenbauer. Kleine, grüne Karos im Jackett, schwarze Hose, farbiger Schlips. Für Literatur ist Bayreuth ein gutes Pflaster

"Man sagt ja die drei Großen: die Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth, Richard Wagner und eben Jean Paul – das große Dreigestirn – ansonsten sind hier viele Literaten, Dichter durch die Stadt gekommen, Alexander von Humboldt fällt mir ein oder Josef Wattenroder – also es gibt eine ganze Reihe, gerade aus der Romantik, die hier durchgezogen sind. Ansonsten werden hier Lesungen durchgeführt – da gibt es eine ganz beachtliche Leseveranstaltung für Kinder - es waren sämtliche Säle und Räume gesprengt, es war ein Riesenerfolg und da war die Öffentlichkeit und Bayreuth bass erstaunt, dass so etwas in Bayreuth überhaupt möglich ist. Das Interesse ist doch sehr groß und zumindest nicht geringer, als in andern Städten."

Zu Rosendorfers Zeiten gibt es so etwas noch nicht. Rosendorfer ist Jurist und Professor für bayerische Literatur, lebt in München. Bayreuth ist seine Gerichtsassessorzeit. Unter dem Pseudonym Vibber Togesen veröffentlicht er sein "Bayreuth für Anfänger". Gondroms Vater, Besitzer einer Buchhandlung, knackt das Rätsel. Ein Sturm der Empörung über den Nestbeschmutzer - heute alltägliche Realität und Freude über diesen liebenswerten und frechen Führer durch Bayreuth. Gondrom nimmt sich das Buch noch einmal, liest:

"Ihr Augapfel war das neue Opernhaus – die Liebe der Markgräfin galt vor allem dem musikalischen Theater. Seit 1738 sind Opernaufführungen bezeugt – italienische Sänger wurden an den Hof verpflichtet- die Elite der Musiker am preußischen Hof kam nach Bayreuth. Selbstverständlich begann man bei solch strahlendem musikalischem Leben ein eigenes Opernhaus zu vermissen. Der geniale Baumeister Joseph Saint-Piere errichtete es unterhalb des Alten Schlosses in der heutigen Opernstraße. Es wurde nicht nur ein Meisterstück dieses großen Architekten, sondern auch ein Juwel des europäischen Rokokos. Es ist in seiner ganzen Pracht erhalten geblieben."

Davon können wir uns gleich nebenan überzeugen, sagt Gondrom, schließt das schmale Bändchen. Musik - aber nicht auf prachtvoller Barockbühne, sondern über Lautsprecher, Berieselung für geführte Gruppen. Das Opernhaus auf dem Weg zum Weltkulturerbe. Lüster und Kerzen, Kilometer Blattgold, dicht unterm Dach die gewaltige Fürstenloge mit glitzernder Krone. Putten, Engel, Figuren über Figuren – barockes Glitzerwerk vom Feinsten. Allerdings mehr Schein als Sein, wie Gondrom meint.

"Es ist sehr baufällig, es herrscht erheblicher Sanierungsbedarf, wie ich hörte. Man ist aber doch engagiert jetzt mehr dafür zu tun. Ich habe gerade erfahren, dass anlässlich des 300-jährigen Geburtsjubiläums der Markgräfin Wilhelmine im Frühjahr ein großes Meeting hier im Opernhaus stattfindet mit gastronomischer Starveranstaltung - das ist einmalig und bedurfte auch einer besonderen Genehmigung durch die Staatsregierung und der zuständigen Behörde – also es passiert immer mehr – es werden aber auch Opern aufgeführt und Kammermusikstücke, es passiert schon einiges, aber es ist nach außen vielleicht nicht so bekannt, wie man denken sollte."

Wieder draußen Gondroms Erkenntnis: Das Opernhaus und überhaupt Bayreuth ist doch ein idealer Schauplatz für das "Magisches Baumhaus", der absolute Hit im Verlagsprogramm- millionenfache Auflage. Zwei Jugendliche entdecken ein Baumhaus, das entführt sie in die Vergangenheit und macht so Geschichte durch Geschichten spannend. Leider ist die amerikanische Autorin noch nicht auf die Bayreuth Idee gekommen, meint Gondrom.

"Wir werden die Anregung mal weitergeben, denn lohnend ist es hier zweifellos."

Und dann lässt er seiner Fantasie freien Lauf – Philipp und Anne, die Baumhausreisenden im Bayreuth des 18. und 19. Jahrhunderts.

"Na ja, wenn die landen, die würden ja in der Zeit landen, in der das Festspielhaus errichtet wurde und dann sehen und erleben, welche großen Probleme es damals gab, das Festspielhaus überhaupt finanziell darzustellen und es umzusetzen. Wagner wurde da ja lange Zeit auch nicht ernst genommen - also das ist schon mal eine sehr spannende Geschichte und wenn die dann da mitwirken und die Patronatsscheine mit verteilen, um das ganze finanziell auf die Beine zu stellen - das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Sie könnten sich aber auch in die Wilhelmnische Zeit versetzen - also dann 200 Jahre zurück und dann in der entsprechenden Kleidung - Rokoko-Kleidung auftreten, an den Aufführungen teilnehmen - das wäre natürlich auch ein ganz tolles Ereignis."
Ein energischer Griff an die Brille -"das machen wir jetzt" - und auf geht es in sein Verlegerbaumhaus am Rande von Bayreuth, vorbei am Grünen Hügel, dem magischen Musikhaus. Hier gibt es eine Inszenierung wie aus dem Bilderbuch. Bäume, Bänke, Blumen: rot, blau, gelb und weiß. Auf grünem Rasen Jugendliche, honorige Personen, Gelächter, Fröhlichkeit, Champagner. Picknick unterm Musentempel. Sissy Thammer hat geladen. Sissy Thammer ist Gegenpol zu Wagner, Chefin des Jugendfestivals. Ein Bild, wie aus dem vorigen Jahrhundert. Wallendes, weiches Kleid, riesiger Hut. Ein halbes Stündchen hat sie trotzdem Zeit. Gelegenheit zu kleiner Rundfahrt . Rosendorfers Buch als Navi. Lesung im Auto.

"Hitler war selbstverständlich bei jeder Festspieleröffnung in Bayreuth und saß mit seiner Duzfreundin Winifred Wagner in der Staatsloge. Im Parzival pflegte er auf einer symbolischen Basstuba mitzublasen, was Richard Strauss zu dem Ausspruch veranlasste: Der spielt sogar ohne Töne falsch. Als Hitler nicht nur auf dieser symbolischen Basstuba, sondern überhaupt ausgeblasen hatte, wählte man in Deutschland – vorübergehend – einen wirklich bedeutenden Mann zum Staatsoberhaupt: Theodor Heuss. Weil sich aber Heuss in Bayreuth immer durch einen Postminister oder dergleichen vertreten ließ, reiste einmal der Präsident des Vereins der Freunde Bayreuths zu Heuss. Der Präsident erklärte Heuss, wie wichtig ein Besuch des Staatsoberhauptes für Bayreuth sei. Mit Bayreuth meinte der Präsident, ein alter Wagnerianer, selbstredend die Festsiele. Heuss antwortete: Ich komme gerne einmal in die Jean-Paul-Stadt Bayreuth."

Sissy Thammer gluckst etwas in sich hinein. So etwas fehlt heute – ob Gottschalk auch wegen Jean Paul … Gedankenpause. Jean Paul sieht das als Denkmal sehr gelassen. Ein wunderschönes Umfeld für ihn aus alten Backsteingebäuden, rotem Schiefer, Kopfsteinpflaster. Rasen und Blumen. Ein weiter Blick, Freiheit für den großen Denker, dem Sprachgenie. Stolze Haltung, Mantel mit Faltenwurf, in der erhobenen rechten Hand die Schreibfeder, die linke rafft den Mantel, hält ein Buch. Mit bronzener Patina signalisiert er seine drei B: Berg, Bücher, Bier. Die Bayreuther liebt er nicht – Bayreuth hat den Fehler, dass zu viele Bayreuther darin wohnen. Sissy Thammer ist in ihrem Element.

"Mich stört am meisten an Bayreuth Feigheit und ein Mangel an Weitblick, zum Teil auch in künstlerischen und kulturellen Dingen. Die große Dimension muss geschaffen werden. Die Provinzialität von Bayreuth ist eine sehr große Chance. Ich glaube, dass man die Bayreuther und die Franken kennenlernen muss, wie andere Völker auch. Sie haben ihre Eigenheiten. Was ich sehr liebenswert finde, dass sie nicht so in der Gleichförmigkeit ersticken und dann muss man auch ein bisschen stark sein mit den Bayreuthern und man muss ein bisschen heiter sein mit den Bayreuthern und dann geht die Sache sehr gut. Überall spielts, trompetets, überall sitzen die Leute – man trifft sich, kennt die Stammlokale der Geiger, man kennt die Stammlokale der Cellisten – überall atmet man eigentlich Kunst und Kultur – man muss nur die Augen aufmachen, man muss es genießen."

Genuss pur ist die Fahrt mit Sissy Thammer durch Bayreuth – auch für sie ein Vergnügen, das Fahren, das Lesen.

"Macht Spaß – ich hab noch nie im Auto gelesen …"

Verständnis und Humor. Neugier durch Passanten, die Sissy Thammer erkennen. Statur und Hut – Signalwirkung. Ein bisschen stört er schon beim Lesen, das Wagenrad aus feinstem Stoff und Seide. Das Buch aber bleibt Sieger.

"Die Bauten aus der Zeit der Markgräfin Wilhelmine: das Opernhaus, die (wenig außerhalb Bayreuths gelegene) Eremitage mit ihrem Park und das Neue Schloss. Alle drei Bauwerke sind heute zugänglich. Es gibt aber auch noch das Alte Schloss, ein weitläufiger und vielfältiger Komplex. Besonders schön ist die Barockfassade des Ehrenhofes an der Maxstraße. Zugänglich ist das Schloss nur unter gewissen Gefahren, es birgt nämlich heute das Finanzamt."

Ein schöner Bau, prachtvoll, verspielt, wie halt Finanzämter so sind. Aber auch Heimat für die örtliche NSDAP, Hauptzollamt, Gendarmerie, Messungsamt. Vielfältig, versponnen. Leben und Werbung, Bars, Restaurants, Zeitungskioske, Rechtsanwälte, Notare, Verkäufer, Kellner. Ein kleines Zelt, zwei Liegen, Gebetstische, ein Teppich. Einladung zum Vortrag: Jesus im Islam. Ein Plastik Dino - grauslich. Leben zwischen Mode und Mc Donald's. Thammer lächelt belustigt.

"Ich denke, dass sie nach wie vor ein eigenes Gesicht hat, ich denke, dass dieses Gesicht gefährdet ist durch Kettenläden, durch Kettengeschäfte, durch lieblose und vor allem mutlose Neu- und Umbauten. Wir müssen aufpassen dass dieses Flair erhalten bleibt und ich denke, wir müssen sehr viel dafür tun. Mich stört am meisten in Bayreuth Feigheit und ein Mangel an Weitblick - es sollten alle Menschen, die Geist hatten und Genie hatten, die in Bayreuth gewirkt haben und ihre Spuren hinterlassen haben sehr hoch schätzen und auch diese Spuren freilegen."

Beim nächsten Festival junger Künstler wird wohl Wilhelmine auf Wagner treffen. Ideen hat sie immer - das diesjährige Motto beweist es. Gleich am Gleis 2 auf dem Hauptbahnhof: Vorsicht Leidenschaft.

"Wir wollen aufmerksam machen auf uns, auf die Leidenschaft, die unsere jungen Menschen und Künstler haben, die sie mit der Musik haben, die sie mit dem Gesang haben, die sie mit dem Stolz auf die Kultur ihrer Heimat haben und die sie ja uns auch hierher bringen und ich denke, dass Leidenschaft ein sehr notwendige Eigenschaft ist für junge Menschen."

Auch Thammer wird von Leidenschaft gepackt, ist hier am Bahnhof richtig zornig. Ein Hauptbahnhof mit Anbindungen nach Marktredwitz und Lichtenfels. Dresden ist schon das Kronjuwel.

Es geht zurück - Nibelungenstraße, Siegfried Wagner Allee, Richard Wagner Park unterm Festspielhügel. Das Picknick hat Sissy Thammer wieder. Eine wunderbare Erinnerung an junge Menschen und ihr Festival der jungen Künstler.

"Wir erleben unglaubliches. Wir haben junge Menschen aus Palästina, die – sag‘ ich: was ist denn für dich das Schönste, dürfen wir euch einen Ausflug arrangieren, was können wir für euch tun und dann sagt der: ach das Schönste war die Fahrt vom Airport nach Bayreuth. Sag‘ ich: das war 1 Uhr nachts- ja – no Checkpoints."

Sehr nachdenklich, aber froh und sichtlich berührt, verlässt sie das Auto, schwebt wie ein Bild aus dem 17. oder 18. Jahrhundert über den grünen Rasen des Hügels. Vor der Vorstellung. Wagen rollen an, schwarzes Tuch und gelber Tüll, Hochfrisur und Ponylook, Flanieren überm Rasen zwischen Bänken, Bäumen und Blumen. Aus dem Garderobentrakt trillernde Töne, die Stimme auf dem Wege zu weihevollem, wogenden Wagner. Das Festspielhaus mit dem Charme eines Oktoberfest-Bierzeltes und der Leichtigkeit eines Gründerzeitbahnhofs. Selbst Wagnerianern ist es gestattet, schreibt Rosendorfer, bei einem kunsthistorischen Vergleich zwischen Festspielhaus und Petersdom zugunsten des letzteren zu votieren. Weißer Smoking und karierte Golfhosen – der Fortschritt und der Hügel. Rückschritt: das angeklatschte Restaurant, mehr hallige Imbissbude - besonders bösartige deutsche Gastlichkeit. Der Hoffnungsträger heißt Katarina Wagner – seit August mit ihrer Halbschwester Chefin in Bayreuth. Gleich neben dem Festspielhaus die Probenbühne 1. Wundersamer Wandel: dunkles Violett und leuchtendes Weiß. Katharinas kulinarischer Geniestreich mit Sternekoch Alexander Herrmann. Die VIP-Lounge hinter fränkisch schlichtem, blaugrauen Bretterzaun. Neben der Speisekarte Rosendorfers frecher Bayreuthführer. Die neue Hügelherrin drückt die Zigarette aus, blättert, liest mit rauer, rauchiger Stimme.

"Das Festspiel-Bayreuth und die Stadt Bayreuth stehen sich sozusagen ohne Berührungspunkte gegenüber. Außer der gemeinsamen geographischen Länge und Breite haben sie nichts miteinander zu tun. Der Wagnerianer empfindet die Stadt Bayreuth, wenn er sie überhaupt wahrnimmt, als Fremdkörper. Wagnerianer sind die wenigsten Bayreuther, vermutlich so wie im Vatikan echte Katholiken rar sind. Der Ruf 'Die Festspielgäste kommen', hat einmal ein scharfer Beobachter festgestellt, ertönt in Bayreuth etwa mit dem Unterton wie bei den Lachsfischern der Ruf: Die Lachse kommen!"

Katharina Wagner ist amüsiert, wippt auf einem der Philipp Stark Glasstühle mit dem Logo der Festspiele. Lachse und Lemminge das passt, fragt sich nur ob Wild oder Zucht, Zorn oder Beruhigungspille, wie beim Publikum.

"Im Prinzip, jetzt vom Regiestandpunkt her gesprochen, ist mir ein wildes Publikum lieber , ein Publikum, das mit guckt, mit rezipiert, mit denkt, was findet da auf der Bühne statt, das es gut oder schlecht findet, ein wildes Publikum, ein aufgeschlossenes, ein sehen wollendes, ein forderndes Publikum ist mir natürlich als Regisseurin wesentlich lieber, wie in Publikum, das drinsitzt und eine Konsumhaltung hat: Wir wollen jetzt unterhalten werden auf Biegen und Brechen. Denken möchte ich auch nicht in der Oper und wenn es irgendwie abweicht, ist es schon mal falsch. Also dann lieber das wilde Publikum."

Nachdruck. Punkt. Der Körper ist gespannt. Forderung nach der nächsten Zigarette. Ein tiefer Zug. Hier oben gibt es keine Regeln, keine Gesetze. Katharina Wagner geht unbeirrt ihren Weg, stellt ihre Forderungen, mischt mit ihrem Team Konventionen kurz und knackig auf. Public viewing auf dem Marktplatz, wie WM – nur hier mit Wagner, Wotan und Walküren. Weltuntergang mit Brezen, Bier und Bratwurst.

"Das ist im Prinzip ein Plädoyer für die Oper - ich mein, man muss gucken, es geht gar nicht um die Bayreuther Festspiele speziell oder um Wagner speziell - das wird im München gemacht, das wird in Berlin gemacht und das ganze mit großem Erfolg und natürlich auch mit einer Intention, dass man mehr Leute von der Oper begeistert. An sich ist diese Öffnung wichtig, dass man auch Leuten zeigt, dass Oper durchaus interessant und spannungsvoll sein kann, die eigentlich gar nicht die typischen Operngänger sind - dass man in einer entspannten, sehr lockeren Atmosphäre, ohne große Wartezeit, ohne große Vorplanung, ohne große Kleiderordnung auch mit Anhang, mit Kind und Kegel hingehen kann und Oper genießen kann und hoffentlich dazu die Liebe zur Oper auch findet."

Ein Wasser, ein Kaffee und immer wieder eine neue Zigarette. Leichte Hektik mit Entspannungsfaktor. Das blonde Haar gezähmt, zum Pferdeschwanz gebunden, das schwarze Jogging-Sportdress als Signal totaler Fitness. Wieder der Griff zur Zigarette, zu Rosendorfers Spottgesang.

"Ist der Bayreuther Fasching vorbei – eine müde Nachahmung des Münchner Faschings, ein Zeugnis des matten oberfränkischen Humors -, und wird es Frühling, so tauchen mit den ersten Blumen im Kräutergärtlein der Markgräfin Wilhelmine (das heute noch hinter dem Schloss gepflegt wird) in den Auslagen die ersten Wagner-Bilder auf. Das rollt dann lawinenartig bis um Beginn der Festspiele dahin mit Wagner-Kissen, Wagner-Würsten, Wagner-Bier, Wagner in Marzipan oder in Schweinefett, in Alabaster, als Henkelkrug oder in den Bettvorleger gewirkt, mammutgroß bis läuseklein. Es ist der übliche Andenkenrummel."

Wagners Urenkelin inhaliert kräftig, nebelt sich ein bisschen ein, ist köstlich amüsiert. Eigentlich passt das ganze ja vorzüglich zu Rosendorfers Erinnerung an Walt Disney. Er will den Ring in ungekürzter Fassung als Trickfilm realisieren. Micky Maus als Siegfried, Goofy als Hunding, Donald als Wotan und Daisy als Brünnhilde. Der Tod Walt Disneys verhindert das Unternehmen. Wagners Urenkelin mit ironischer Fantasie.

"Ich selber kann ja keine Trickfilme machen - ich in ja kein Trickfigurenzeichner - aber natürlich … der Ring … es gibt ja unterschiedlichste Verfilmungen und das ist ja auch eine Art von Deutung - natürlich wär das witzig – aber, wie gesagt, geschieht ja nicht."

Den Spaß aber merkt man ihr an. Ein Rundblick über gläserne Leuchter, Silber, edles Porzellan, Holzboden, Brombeerwände. Glamour hinterm Bretterzaun. Katharina Wagners gelungene Idee. Ein Blick auf die Karte, ein bisschen Forellentatar, gebeiztes Saiblingsfilet, geschmorte Ochsenbäckchen mit Sauce vom fränkischen Schiefertrüffel – sie genießt das kulinarische Feuerwerk von Sternekoch Alexander Herrmann. Als Nachtisch die Erinnerung an den Parkwächter. Der sagt, als er vom geplanten Gespräch hört: "Aber seien sie nett zu unserer Katharina."

"Oh, das ist ja süß das weiß ich gar nicht - das ist das wirklich Schöne an den Bayreuthern, man wird nicht irgendwie blöde angequatscht, wie ist das denn bla bla bla, sondern ich bin einfach einer von denen - so benehme ich mich wie ein Bayreuther - ich bin halt einer von denen und nicht irgendein anderer. Ich will hier auch gar nicht auffallen, was ich zwar unweigerlich tue, aber ich benehme mich jetzt nicht besonders, besondersartig und wenn irgendwo kein Tisch frei ist, dann gehe ich eben wieder – ist halt so. Konnt‘ ich auch noch nie leiden, wenn jemand Extrabehandlungen bekommt - wenn halt eine Schlange beim Metzger ist, steht man halt an. Schluss. Aus. Ende."

Die Zigarette wird ausgedrückt, mit Nachdruck. Federndes Aufstehen. Kurze Verabschiedung: ein Mitarbeitermeeting - Abgang Wagner – Auftritt Herrmann. Der Spitzenkoch aus Wirsberg, ganz dicht bei Bayreuth, ist Szenemittelpunkt hier oben auf dem kulinarischen Hügel. Barocke Pracht, Zeitgeist und Moderne. "Sich abheben und einen eigenen Wege gehen", das ist sein Konzept. Literatur, wie Rosendorfer ist dabei ein guter Ratgeber und humorvoller Begleiter.
"Was die Essensgewohnheiten angeht, ist der Oberfranke von nüchternem, um nicht zu sagen trockenem Schlag. Er freut sich, wenn er satt ist, wovon, ist ihm nebensächlich. Der kulinarische Höhepunkt der oberfränkischen Küche ist die Bratwurst. Es gibt Festspielbesucher, heißt es, die gehen überhaupt nur zu Wagner, um die nun tatsächlich welthistorisch köstlichen oberfränkischen Bratwürste zu genießen. Tristan ist ihnen nur eine Ausrede. Früher, bevor Wagner kam, bestand, dem Vernehmen nach, die Magenfüllung des Oberfranken außer aus der Bratwurst noch aus Glees (=Klöße, also Knödel), wobei hier die Variante griena Glees (grüne Klöße=Knödel aus rohen Kartoffeln) als Spezialität gilt."

Alexander Herrmann ist in seinem Element. Klar, sagt er, hat der Rosendorfer recht. Aber Franken ist schon lange keine kulinarische Provinz mehr und was Bayreuth und Wirsberg alles bieten, das kann sich wahrlich schmecken lassen. Seine Küche, ein wunderbar gekonntes Variieren mit Region, Saison und Produkt.

"Die Sensorik des Langostinos wird bei mir verändert, indem ich sie durch meine Art der regionalen Armomakomposition nicht nur veredle, verfeinere sondern ich geb ihm einen eigenen sensorischen Charakter. Nehm ich einen fränkischen Landschinken ganz dünn, denn er ist etwas stärker geräuchert, ganz dünn und wickel das ein und nehm hier noch den Wiesenkerbel, der bei uns wächst und das hack‘ ich und leg‘s dazwischen und brate ihn ganz langsam, dann schmeckt dieser Langostino, dieses weltsensorische Produkt plötzlich nach einer neuen Heimat und die ist eben hier in Wirsberg."

Hier oben auf dem Hügel sind die Klöße klein und die Bratwurst eine ganz besondere.

"Schiefertrüffel, hier in Franken gefunden oder sagen wir mal geerntet - da nehme ich ein Bratwurstbrät, allerdings ein grobes und das wird dem Trüffel verfeinert anstatt eben mit den normalen Gewürzen – kommt noch ein bisschen Gemüse hinein und ein Schuss Portwein."

Das Zusammenspiel von Kunst und Küche gelingt, Wagner und Waldpilze, Parzival und Praline vom Frischkäste, Tannhäuser und Törtchen von der Lachsforelle. Alexander Herrmann streckt sich auf seine 1,86, zieht die anthrazit graue Kochjacke glatt. Ein Ring der besonderen Kochart entsteht. Katharina Wagner und ich, sagt Herrmann noch, sind humorkompatibel. Hier oben ist sie jetzt fast greifbar, die seltsame Mischung aus Neugier und Beruhigung. Das Bayreuther Karussell dreht sich weiter: Herrmann wirbelt in der Küche, Katharina zündet sich schon wieder eine Zigarette an, der Verleger träumt in seinem Baumhaus und Sissy Thammer denkt wie immer an Aufbruch und Veränderung. Der Ordnungshüter ordnet neu und weiter. Nicht nur für Anfänger ist Bayreuth eine Herausforderung aus Tradition und Moderne, aus barocker Pracht und seelenloser Moderne, aus Wagner und Wilhelmine. In der Fußgängerzone farbig krasse Werbung für eine Ausstellung: Ferne Welten. Daneben im Kaufhaus: Krawatten, Kekse, Kundrys Kompressionsstrümpfe. Widersprüche in einer Stadt mit Eigenschaften.