Bauboom in Äthiopien

Neue Blume oder Betonwüste?

Konferenzgebäude der Afrikanischen Union, aufgenommen am 18.03.2013 in Addis Abeba in Äthiopien.
Das Konferenzgebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba, Äthiopien © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Benno Müchler  · 03.11.2014
Neue Hochhäuser, neue Schnellstraßen und neue Straßenbahnlinien machen aus Addis Abeba eine Dauerbaustelle. Kritiker befürchten, dass die äthiopische Hauptstadt zu einer Betonwüste wird, statt aufzublühen.
"Das hier ist die Hauptabteilung. Hier werden die Materialen zugeschnitten. Und das hier, das ist die Nähabteilung."
Ping Ting He, eine junge Chinesin, die sich selbst lieber Claire nennt, führt durch eine neue Schuhfabrik am Stadtrand von Addis Abeba. Hinter ihr arbeiten 700 junge Äthiopier konzentriert an Nähmaschinen. Vor ein paar Wochen exportierte die taiwanesische Firma den ersten Container nach Übersee: 15.000 Paare pinke und hellblaue Frauenschuhe – "Made in Ethiopia".
"Wir haben hier sehr viele Näher. Ihnen muss aber noch unglaublich viel beigebracht werden. Das ist wegen der Sprachbarriere ein bisschen schwer. Aber sie sind alle sehr kooperativ."
Zahlreiche Unternehmen haben Produktion nach Äthiopien verlagert
Was hier am Stadtrand von Addis Abeba geschieht, ist bedeutsam. Die Schuhfabrik steht in einem gigantischen Industriegebiet. Mit dem will Äthiopien ein neuer globaler Produktionsstandort werden. Nummer eins ist zwar nach wie vor China. Doch werden die Arbeitskosten dort immer teurer. Und so haben bereits einige Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagert. Sogar der schwedische Modehersteller H&M hat sich in Äthiopien angekündigt.
Das Industriegebiet ist jedoch nur eines von vielen Prestigeprojekten, mit denen das einstige Kaiserreich Äthiopien zu neuer Größe aufsteigen möchte. Nach Jahren der Misswirtschaft, katastrophalen Hungersnöten und einer blutigen Militärdiktatur war Äthiopien Anfang der Neunziger Jahre bettelarm. Arm ist die Mehrheit der Bevölkerung zwar immer noch. Doch setzt die neue Regierung alles daran, das zu ändern. Shiferaw Solomon ist der für das Industriegebiet zuständige Ministerialbeamte.
"Ich wünsche mir, dass Äthiopien ein globaler Akteur wird und für ganz Afrika eine treibende Kraft."
Die Regierung gibt astronomische Anleihen aus und finanziert damit im ganzen Land zahlreiche Mega-Infrastrukturprojekte. Bis 2025 will sie Äthiopien aus der Gruppe der ärmsten Länder herausführen. So entsteht in Äthiopien derzeit der größte Staudamm Afrikas, der das Land und die gesamte ostafrikanische Region mit Strom versorgen soll. Vor kurzem stieg "Ethiopian Airlines" zur größten Fluggesellschaft Afrikas auf. Neue Straßen, Autobahnen entstehen, ein neues Eisenbahnnetz. Auch hat das 90-Millionen-Einwohner-Land eine der größten Armeen des Kontinents und dient als zentrale Friedensmacht im Nachbarland Somalia. Den Anspruch nach neuer Größe soll bald auch die Hauptstadt Addis Abeba repräsentieren.
Hübsch anzusehen war die "Neue Blume" bisher nicht
Addis Abeba. Das heißt übersetzt "Neue Blume". Doch hübsch anzusehen war die bislang nicht. Vor 130 Jahren gründete Kaiser Menelik II. die Stadt. Zu den wenigen Zierstätten gehörten die Regierungspaläste sowie später die Gebäude der UN-Wirtschaftskommission für Afrika und die Afrikanische Union. 1974 stürzten Kommunisten den Kaiser und drückten der Stadt ihren Stempel auf. Seither prägen kastenförmige Betonbauten im Sowjet-Stil das Stadtbild. Aber das soll sich ja bald ändern.
"Addis ist die Hauptstadt Äthiopiens und Sitz der Afrikanischen Union. Jetzt endlich wird Addis eine schöne Stadt. Sie wird eine Modellstadt Afrikas."
Dereje Tefera ist der PR-Beauftragte von Addis Abebas künftig wichtigstem Aushängeschild: der neuen Straßenbahn. Für 490 Millionen Dollar bekommt Addis zwei Linien. Eine von Nord nach Süd. Die andere von Ost nach West. 85 Prozent des Projekts trägt China, Äthiopiens wichtigster Baufinanzier. Im Januar soll die Straßenbahn fertig werden. Sie wird eine der wenigen in Sub-Sahara Afrika sein.
Wie immer, wenn er über die Bahn spricht, gerät der PR-Beauftragte Dereje ins Schwärmen. Seine Vergangenheit ist weniger blumig. Er hat an der Seite der Rebellen aus Nord-Äthiopien gegen das verhasste kommunistische Derg-Regime gekämpft, das Anfang der 90er Jahre gestürzt wurde. Seither sind in Äthiopien die Rebellen an der Macht. Die regieren das Land seit nunmehr schon 20 Jahren in autokratischer Manier.
"Im nächsten Jahr werden wir unseren Wachstums- und Transformationsplan abschließen. Unter diesem Plan entstehen viele Megaprojekte: Straßen, Staudämme zum Gewinn von Wasserkraft. Ein Eisenbahnnetz, nicht nur in Addis, sondern zum Beispiel auch eine neue Strecke von Addis nach Djibouti. Wir strengen uns gewaltig an, um endlich reich zu werden. Wir strengen uns an, das Leben der Menschen zu verbessern."
Stadt ähnelt im Sommer einem Schlammfeld
Doch durch die vielen Bauprojekte, die zeitgleich stattfinden, wurde das Leben der Menschen in Addis Abeba im Gegenteil erst einmal viel schlechter. Die Baustellen verursachen Staus. Die Menschen klagen über Smog. Wenn im Sommer die Regenzeit über Addis Abeba hereinbricht, ähnelt die Stadt eher einem großen Schlammfeld. Doch wer wachsen will, müsse Opfer bringen, sagt Dereje Tefera, und verteidigt den Kurs seiner Regierung.
"Solche Megaprojekte sorgen natürlich für Probleme. Aber doch nur vorrübergehend. Wir bauen die Straßenbahn innerhalb von nur drei Jahren. Das ist doch fast gar nichts, wenn man daran denkt, dass die Straßenbahn Addis Abebas Transportproblem über die nächsten 30, 40, ja vielleicht hundert Jahre lösen wird."
Es sind aber nicht nur die Baustellen, die den wenigen kritischen Stimmen, die die Regierung zulässt, Sorgen bereiten. Ezanah Haddis unterrichtet Stadtplanung an der Universität für Staatsdienst von Addis Abeba. Er sagt, wenn die Regierung nicht aufpasst, wird Addis Abeba keine neue Blume, sondern eine Betonwüste:
"Ich denke nicht, dass die Stadtplaner und Politiker sich der Tatsache bewusst sind, dass Addis Abeba eine afrikanische oder äthiopische Stadt ist und das auch zeigen sollte. Ich glaube nicht, dass sie daran denken. Sie ahmen einfach nach, was sie mal in anderen Weltmetropolen gesehen haben, zum Beispiel in Dubai oder New York. Sie hauchen Addis keine Besonderheit ein. Sie verleihen unserer Stadt kein Alleinstellungsmerkmal."
Zwischen den monotonen Fertighäusern vermisst der Stadtplaner Ezanah Anleihen an traditionelle Baustile, von denen es in der Tat viele in Äthiopien gibt. Äthiopien, das einzige Land Afrikas, das niemals kolonialisiert wurde, hat eine jahrtausendealte Geschichte. Das zeigen die Steinkirchen von Lalibela, die Burgen in Gondar. Mit großem Unmut sagt Ezanah Haddis, wurden in Addis Abeba viele denkmalgeschützte Gebäude abgerissen. Doch er ist nicht nur um die Ästhetik der Stadt besorgt.
"Die Aneinanderreihung von Betonbauten trägt auch ganz praktisch dazu bei, dass sich unsere Stadt aufheizt. Addis Abeba wird schlichtweg zu heiß. Wir haben viel zu wenig Grünflächen."
Sicherstellen, dass es genügend Parks gibt
Und das zu ändern, ist der Job von Alem Gizaw. Sie arbeitet in der Abteilung für Stadtverschönerung von Addis Abeba. Dort ist sie zuständig für die Gestaltung von Parkanlagen.
"Früher war es so, dass die Leute ihren eigenen Garten hatten. Dort bauten sie Gemüse, Obst und Blumen an. Doch die Zeiten haben sich geändert. Addis wächst in die Breite und Platz für Grünflächen ist rar. Wir von der Stadtverwaltung müssen sicherstellen, dass es genügend Parks gibt. Wir arbeiten auch daran, alte Parkflächen wiederherzustellen."
Vierzehn Parkflächen werden renoviert, sechs neue sollen entstehen. Keine leichte Aufgabe, sagt die Stadtangestellte Alem Gizaw:
"Wir kämpfen mit zwei Herausforderungen. Die erste ist: Wir haben nicht genug Fachpersonal, das sich mit Gartenbau und Landschaftsarchitektur auskennt. Die zweite ist: Es fehlt in der Gesellschaft an Bewusstsein, dass wir in unserer Stadt unbedingt Parks brauchen. Die Stadtverwaltung hat das mittlerweile begriffen und setzt sich jetzt dafür ein. Bei den Bürgern besteht aber noch viel Nachholbedarf."
Ein Beispiel dafür ist Addis Abebas Prestigemeile: die Bole-Straße. Diese wurde vor kurzem neu gemacht. Und planmäßig pflanzte die Baufirma auf dem Mittelstreifen kleine Sträucher, Blumen und Bäume. Doch beim Überqueren der Straße trampelten die Menschen diese einfach nieder. Und so musste Alems Abteilung einen hässlichen schwarzen Eisenzaun um das Grün bauen. Zu allem Übel nimmt dieser Zaun den Autofahrern seither beim Wechsel auf die Gegenspur die Sicht.
Park soll Künstler anziehen
An einem Morgen zeigt Alem Gizaw einen der neuen Parks von Addis Abeba. Die sechs Hektar große Anlage liegt etwas außerhalb nahe der Botschaft der Niederlande.
"Die meisten Parks haben keine großen Besonderheiten. Doch dieser hier ist anders: Er soll vor allem die Künstler der Stadt anziehen. Deshalb bauen wir hier ein Kunstzentrum, in dem man malen und Skulpturen bilden kann. Auch wird hier ein Basketballplatz entstehen, Tischtennisplatten und eine Tennisfeld. Und dort bauen wir kleine Geschäfte, in denen man sich was kaufen kann, wenn man hier ist."
Alem Gizaw führt durch den Rohbau des Kunstzentrums, eine Art Freilichtbühne, aus deren Mitte später ein Baum ragen soll. Alem war von Anfang an bei der Planung der Parks mit dabei und machte sich dafür stark, dass Addis Abeba diesen Kunstpark bekommt.
"Wenn man Parks baut, muss man immer an die Menschen denken, für die man sie baut. Die Parks müssen allen verschiedenen Gesellschaftsgruppen und ihren Ansprüchen gerecht werden: Kindern, alten Menschen, Liebespaaren, auch Besuchern aus dem Ausland."
Hat der Park schon einen Namen?
"Nein, noch nicht. Für gewöhnlich entscheidet das die Stadt. Doch im Augenblick haben wir noch so mit dem Bau von Parks zu tun, so dass hier noch kein Name feststeht." "Aber Alem-Gizaw-Park wird er nicht heißen?" "Ich wünschte, so wäre es."
Massenhafter Rosenexport nach Holland
Alem Gizaw liebt die Natur, erzählt sie später bei sich zu Hause, wo sie einen kleinen Garten hat. Dort baut sie Kohl, Rote Beete und Möhren an.
"Es macht mir Freude, Dinge wachsen zu sehen. Wenn ich den ganzen Tag im Büro war und abends nach Hause komme, finde ich es sehr erholsam, noch schnell was im Garten zu tun. Und dann ist es natürlich toll, sich selbst versorgen zu können."
Die 50-Jährige kommt aus Harar, eine alte Stadt in Ostäthiopien. Ihre Mutter hatte einen Garten und begeisterte Alem so für die Natur. Später studierte sie Gartenbau in Moskau, wo sie auf Studenten aus allen Bruderstaaten der Sowjetunion traf, auch viele Afrikaner. Sie selbst studierte mit Ecuadorianern und Afghanen. Zurück in Äthiopien fand sie im Nu Arbeit, da Äthiopien gerade begann, massenweise Rosen nach Holland zu exportieren.
"Das Studium war gut. Russland hat alle verschiedenen Klimazonen. Und so erhielten wir in allen Bereichen gutes Training. Später konnten wir Schwerpunkte setzen, wo es uns für unsere spätere Arbeit am nützlichsten erschien."
Alem Gizaw wohnt nahe Addis Abebas Prachtstraße, im Bezirk Bole 19. Das ist ein ruhiger, grüner Stadtteil im Zentrum, wo schon zu Kaiserzeiten die Oberen der Gesellschaft lebten. Während sie selbst aus einer einfachen Familie stammt, war der Vater ihres Ehemanns Armeechef unter Kaiser Haile Selassie. Er machte sich unter anderem im Korea-Krieg verdient, als Äthiopien im Rahmen einer UN-Mission mehrere Truppen entsandte. Das ebenerdige Haus der Gizaws ist im Vergleich jedoch sehr bescheiden. Nebenan wohnt der Weltbank-Vertreter für Äthiopien in einer mehrstöckigen Luxusvilla. Auch in Bole 19 habe sich viel verändert, sagt Alem Gizaw, und denkt an ihre Zeit, wenn die sechs neuen Parks von Addis Abeba fertig sind.
"Ich war von Anfang an mit dabei und möchte sehen, wie sie fertig aussehen und die Menschen sie benutzen. Und wenn das geschafft ist, will ich meine eigene Firma gründen, die für den Erhalt der Parks sorgt. Denn ich bin sicher, dass das notwendig sein wird."
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