Bangladesch

Geschäfte auf Kosten der Arbeiter

Bangladesch
Nach dem Einsturz einer Textilfabrik: Demonstranten zeigen Fotos ihrer toten oder vermissten Verwandten in Savar, Bangladesch. © picture alliance / dpa / Abir Abdullah
Von Christian Brüser · 27.12.2013
Bangladesch ist nach China das zweitgrößte Exportland für Kleidung. Europäische Firmen lassen hier produzieren. Für die Opfer des eingestürzten Rana Plaza Gebäudes fühlen sie sich aber nicht verantwortlich - bis heute.
Wo vor acht Monaten noch T-Shirts und Jeans genäht wurden, klafft heute eine riesige Baulücke. 4000 Menschen haben in den fünf Textilfabriken, die im Rana Plaza Gebäude untergebracht waren, gearbeitet. Es stand in Sabhar, 25 Kilometer nordwestlich von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Bereits einen Tag vor dem Einsturz waren in Decken und Wänden Risse entstanden. Ein Bauingenieur ordnete an, das Gebäude sofort zu schließen. Doch die Textilmanager dachten nicht daran.
Als der 28-jährige Näher Nazrul Islam am 24. April 2013 zur Arbeit Fabrik kam, glaubte er dem Management, dass das Gebäude sicher sei. Außerdem drohten die Chefs, einen ganzen Monatslohn zu streichen, falls er weigern sollte zu arbeiten:
"Als ich an meinen Platz kam, sah ich, dass noch mehr Risse entstanden waren. Ich dachte: 'Du musst hier raus!', aber es war schon zu spät. Es gab einen gewaltigen Krach. Im nächsten Augenblick schwankte der Boden unter meinen Füßen und ich fiel hin. Dann kam die Decke auf mich zu. Ich schloss meine Augen und hörte, wie es Dum-Dum-Dum machte, als die Stockwerke ineinander fielen. Als das vorbei war, öffnete ich die Augen. Ich war eingesperrt. Die Decke war nur eine Handbreit über meinem Kopf. Es war unmöglich, da heraus zu kommen."
Ein Bürohaus, das als Fabrik genutzt wurde
Das Rana Plaza war als Bürohaus geplant worden, jedoch nicht für Fabriken mit schweren Maschinen und Generatoren, deren Vibrationen schließlich zum Einsturz führten. 1132 Menschen starben in den Trümmern, etwa 2500 wurden verletzt, davon 350 schwer. Sie verloren Arme oder Beine oder erlitten andere schwere Verletzungen wie Nazrul Islam. Viele Stunden lag er in der Dunkelheit. Als er im Krankenhaus aufwachte, hatte er fürchterliche Schmerzen. Seine Wirbelsäule war gebrochen. Er wurde operiert und die gebrochene Stelle durch ein Stahlstück stabilisiert.
"Ich kann mich kaum bewegen und brauche immer jemanden, der mir hilft, wenn ich mich aufsetzen will oder zur Toilette muss."
Nazrul Islam liegt auf seinem Bett und vertreibt sich die Zeit mit Fernsehen. Alle paar Stunden kommt seine Frau, hilft ihm, sich aufzusetzen, schnallt ihm ein Korsett um und schiebt ihm Krücken unter die Arme. Gemeinsam machen sie Gehübungen. Voraussichtlich wird er nie wieder als Näher arbeiten können. Seine Schmerzen hält er mit starken Medikamenten in Schach.
Laut UN-Richtlinien haben Regierung, Fabrikeigentümer und die Abnehmer in Europa sowie den USA die Verantwortung für die Entschädigung der Opfer. Sie alle haben ihre Sorgfaltspflichten verletzt. Doch Nazrul Islam merkt davon nichts:
"Ich habe bisher keinerlei Entschädigung bekommen. Angeblich war mein Name nicht auf der Liste, die die Fabrik der Regierung übermittelt hat."
Auf eine Entschädigung warten viele Opfer noch immer
Die Opfer des Rana Plaza Unglücks sind bisher nicht oder nur völlig unzureichend entschädigt worden. Ein internationales Komitee hat einen umfassenden Kompensationsplan erarbeitet. Doch die Umsetzung scheitert bisher an der mangelnden Bereitschaft der Modefirmen, sich daran zu beteiligen. Firmen wie KiK, C&A oder der Adler Modemärkte AG fühlen sich nicht verantwortlich, weil sie zum Zeitpunkt des Unglücks keine Geschäftsbeziehungen zu den Firmen im Rana Plaza gehabt hätten.
Seit Jahren befasst sich der Wirtschaftsprofessor Anu Mohammed von der Jahangirnar University mit der Textilindustrie in Bangladesch, wo es immer wieder zu schrecklichen Unglücken kommt. Bildet das Rana Plaza-Unglück einen Wendepunkt? Sind die 5000 Textilfabriken nun sicherer geworden?
"Nichts ist geschehen. Es gibt zwar Versprechungen, aber es wurde noch nichts umgesetzt. Ich habe weder bei den Eigentümern noch bei der Regierung wesentliche Veränderungen bemerkt."
Ein neues Abkommen zwischen europäischen Modemarken, Gewerkschaften und NGOs soll nun die unabhängige Überprüfung der Fabriken sicherstellen – der sogenannte "Bangladesh Accord". Eigentlich wäre das die Aufgabe der Regierung und staatlicher Inspektoren. Doch die Regierung, so Kalpona Akhter, Leiterin des Zentrums für Arbeiter-Solidarität in Bangladesch, ist nicht in der Lage, die Unternehmer zur Einhaltung der Gesetze zu bewegen und so die Arbeiterinnen zu schützen:
"Die Textilunternehmer sind selbst in der Regierung. Zehn Prozent unserer Parlamentarier haben Textilfabriken. Die Fabrikanten machen unsere Gesetze. Sie werden sich nicht selbst Druck machen, um die Sache in Ordnung zu bringen."
Am meisten bewegen könnte die Europäische Union
Den größten Hebel, um Veränderungen zu bewirken, hat die Europäische Union. Mehr als die Hälfte aller in Bangladesch produzierten T-Shirts und Jeans landen zollfrei in der EU. Die EU hat sogar einen eigenen Botschafter in Bangladesch, den Iren William Hanna. Nach dem Rana Plaza Kollaps, so erklärt er, habe die Europäische Union damit gedroht, den zollfreien Zugang zu streichen, falls die Sicherheit der Fabriken nicht verbessert würde:
"Als die Unternehmer gemerkt haben, dass sie den privilegierten Marktzugang verlieren könnten, haben sie begonnen, die Sache viel ernster zu nehmen als in der Vergangenheit."
Doch außer Lippenbekenntnissen ist von Seiten der Unternehmer bisher wenig passiert. Wie ernst sie die Gesetze nehmen, kann jeder, der Dhaka besucht, mit eigenen Augen sehen. Die Zentrale des einflussreichen Textilunternehmerverbandes, ein moderner Bau mit Glasfassade im Zentrum der Stadt, soll illegal auf kommunalem Grund errichtet worden sein.
"Ja, das stimmt. Das oberste Gericht hat das Gebäude für illegal erklärt und die Premierministerin hat dazu aufgefordert, es abzureißen."
Aber es steht ja immer noch da…
"Ja, es steht noch da. Ich habe kürzlich in einer Rede gesagt, der Textilunternehmerverband sollte mit gutem Beispiel vorangehen und die Gesetze des Landes respektieren. Aber so ist das in Bangladesch. Einige Dinge entwickeln sich in die richtige Richtung, andere nicht."
Mehr zum Thema