Bandi: "Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea"

Geschichten aus dem düsteren Alltag in Nordkorea

"Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea Buch" von Bandi. im Hintergrund: eine Straßenszene in Pjöngjang.
"Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea Buch" von Bandi. im Hintergrund: eine Straßenszene in Pjöngjang. © picture alliance / dpa / Piper
Eric Ballbach im Gespräch mit Frank Meyer · 30.05.2017
Das Buch gilt als Sensation: "Denunziation" schildert den Alltag in Nordkorea. Es wurde unter Pseudonym geschrieben, und angeblich außer Landes geschmuggelt. Der Korea-Experte Eric Ballbach meint: Würde der Autor auffliegen, drohten ihm und seiner Familie harte Strafen.
Frank Meyer: Der Erzählungsband "Denunziation" wird vom Piper Verlag so angekündigt: Das sei die erste unzensierte Stimme aus Nordkorea. Der Autor habe sein Leben aufs Spiel gesetzt, als er sein Manuskript aus Nordkorea herausschmuggeln ließ, ein Manuskript mit Texten, die ein sehr düsteres, bedrückendes Bild vom Leben in dieser Diktatur zeichnen. Bandi ist das Pseudonym dieses Autors, und wir reden über sein Buch und über die Literatur in Nordkorea mit Eric Ballbach vom Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin. Seien Sie willkommen, Herr Ballbach!
Eric Ballbach: Vielen Dank für die Einladung!
Meyer: Die britische Zeitung "The Guardian" hat geschrieben, das Buch sei eine Sensation. Haben Sie das auch gedacht, als Sie davon gehört haben, hier gäbe es womöglich ein aus Nordkorea herausgeschmuggeltes Buch, eine Sensation?
Ballbach: Das ist ja genau der Punkt, der dieses Buch eben so besonders macht oder von dem viele Leute glauben, dass es so besonders ist. Das sind meines Erachtens vor allem zwei Faktoren: Das ist zum einen, dass es tatsächlich ein Blick auf das Innenleben Nordkoreas wirft, auf das Alltagsleben und damit eben ein Aspekt beleuchtet wird, der in der Berichterstattung über Nordkorea eben mehr oder weniger untergeht in all den Debatten über Nordkoreas Sicherheits- und Außenpolitik. Das ist ein Blick, der den Fokus auf das Alltagsleben in Nordkorea wirft und eben nicht von einem Flüchtling, wie wir das schon häufiger gehört haben, sondern von einem Autor, der – so die Meldung – noch immer in Nordkorea sich befindet.
Das ist das eine; das Zweite ist, dass es eine bestimmte Charakterenzeichnung sozusagen enthält, die ebenfalls zumindest besonders ist in all der Berichterstattung über Nordkorea in all den anderen Werken, die wir so über Nordkorea hören. Es ist eben eine Wahrnehmung von Nordkorea verbreitet, die sehr stark von der staatlichen, nordkoreanischen Propaganda überlagert wird, in dem der Einzelne sozusagen austauschbar wird, endindividualisiert ist und in der Masse mehr oder minder untergeht. Dieses Buch zeichnet eben ein anderes Bild. Es schaut auf ganz bestimmte Charaktere und zeigt, dass nach den ganzen Massenaufläufen durchaus es Privat- und Einzelpersonen sind, die das Leben in Nordkorea bestimmen.
Meyer: Nun gibt es aber Zweifel an dem Buch. Es gibt auch manche, die sagen, das sei vielleicht auch in Südkorea geschrieben worden, vielleicht sogar als ein Akt der Gegenpropaganda, gegen die nordkoreanische Propaganda. Für wie authentisch halten Sie das Buch, wenn Sie in die Texte reinschauen?

Der Autor lässt sich nicht unabhängig überprüfen

Ballbach: Wir können natürlich nicht genau sagen, was tatsächlich dahintersteckt. Der Autor oder die Geschichte des Autors lässt sich nicht unabhängig nachprüfen. Trotzdem bleibt eine gewisse Relevanz dieses Buches auch dann bestehen, selbst wenn es sich um unecht oder um eine, wie Sie es sagen, um eine Art Gegenpropaganda handeln würde. Das ist das Problem. Das Buch wurde in Südkorea sofort Teil einer größeren politischen Debatte, die sehr dualistisch ist im Hinblick auf den korrekten und geeigneten Umgang mit Nordkorea. Man erkennt einige Stilmittel, die durchaus dafür sprechen, dass es sich um ein nordkoreanisches Buch handeln könnte, beispielsweise, dass die Geschichten, diese sieben Geschichten selbst, durchaus einem bekannten nordkoreanischen Muster folgen, der sogenannten Samenkorntheorie, dass jedes literarische Werk in Nordkorea eine ideologisch-politische Kernaussage enthalten soll, die dann bei dem Leser sozusagen wie ein Samenkorn aufgeht und bestimmte Lektionen für den Leser ableitet.
Meyer: Nur dass es hier ein sozusagen kritisches oder dissidentisches Samenkorn ist, denn diese Erzählungen setzen sich ja sehr kritisch auseinander mit der Gegenwart in Nordkorea.
Ballbach: Ganz genau. Hier wird im Grunde genommen eine Grundtheorie, literarische Grundtheorie in Nordkorea benutzt, um eben nicht, wie üblich, für das Regime zu sprechen, sondern im Grunde genommen Kritik an den Zuständen in Nordkorea aufzuwerfen.
Meyer: Vielleicht können Sie uns noch genauer sagen, was für eine Art Kritik das denn ist, die Bandi – das Pseudonym dieses Autors – in diesen Texten zur Sprache bringt.
Ballbach: Es geht im Grunde genommen um die Kritik an dem Leben in einem totalitären System, die Zwänge, die durch das Leben und das Alltagsleben in einem totalitären System entstehen, die totale Kontrolle, die damit verbunden ist, die sich bis weit in das Privatleben der nordkoreanischen Bürger hineinbegibt, aber auch um klassische Zwiespälte wie beispielsweise das wechselseitige Misstrauen, dass sich die Protagonisten dieses Buches immer wieder fragen, inwiefern könnte das, was ich jetzt gerade gesagt habe, auch tatsächlich gefährlich für mich und meine Familie werden. Diese Zustände, die den Alltag in Nordkorea dominieren, das sind genau die Zustände, die hier entsprechend kritisiert werden.
Meyer: Sie haben ja schon gesagt, es gibt eben diese Samenkorntheorie, auch als eine Art Vorgabe an Literatur, die in Nordkorea erscheint. Gibt es noch mehr solcher Vorgaben, mit denen Literatur quasi vorformatiert wird?
Ballbach: Ja, ganz klare Vorgaben gibt es: Es gibt eine Reihe von Büchern, die Kim Il-sung beziehungsweise Kim Jong-il zugeordnet werden, in denen ganz klar beschrieben ist, wie die Kunst- und Kulturproduktion in Nordkorea funktioniert. Wir können hier einzelne Unterschiede festmachen zwischen der Ära Kim Il-sung und der nachfolgenden Ära von Kim Jong-il, aber das Grundproblem, das Grundziel, das mit Literatur im Speziellen, aber auch mit der Kunst und Kultur im Weiteren, verbunden wird, bleibt gleich. Und das ist, dass Kunst- und Kulturproduktion stets inhärent politisch ist. Sie hat eine klare Aufgabe. Unter Kim Il-sung wurden Künstler und auch Autoren noch als Soldaten an der Kulturfront beziehungsweise als Ingenieure der menschlichen Seele bezeichnet, deren Aufgabe es ist, politisch zu indoktrinieren, eine Art nationale Kultur zu erschaffen und auch den patriotischen Gedanken sozusagen weiterzugeben.

Nordkoreanische Literatur muss stets politisch sein

Diese Grundziele sind unter Kim Jong-il weiter bestehen geblieben, auch wenn einzelne Aspekte, man kann sagen, modifiziert wurden. Kim Il-sung selbst hatte noch gesagt, wenn die drei Grundziele von Literatur erreicht sind, dann kann es auch durchaus zu Missverständnissen kommen, dann kann es durchaus auch zu einem geringeren künstlerischen Gehalt kommen, wenn diese politisch-ideologische Grundzielsetzung erfüllt ist. Das hat sich unter Kim Jong-il etwas verändert, wo eben auch das Künstlerische sozusagen weitaus wichtiger genommen wurde als noch unter Kim Il-sung.
Meyer: Wer wird unter diesen Voraussetzungen Autor, und wie werden diese Autoren kontrolliert in so einem Land?
Ballbach: Das ist durchaus eine Elite. Wir haben ja in Nordkorea durchaus das Verständnis der Autoren als Teil der politischen Elite, aber auch als Teil der Partei sozusagen. Die Literatur wird ganz klar der Partei beziehungsweise der Politik untergeordnet und von dieser auch direkt kontrolliert. Autoren und Künstler im Allgemeinen werden ausgewählt von der Partei, sie werden in bestimmten Schulen beziehungsweise höheren Bildungsinstitutionen gezielt ausgebildet und eben mit den Grundtechniken der Kunst- und Kulturproduktion, die immer auch politisch ist, vertraut gemacht.
Meyer: Und gibt es in diesem System etwas oder außerhalb dieses Systems etwas, was wir früher Samisdat genannt haben in der Sowjetunion zum Beispiel, also eine Untergrundliteratur, eine dissidentische Literatur?
Ballbach: Also davon ist uns im Falle Nordkoreas tatsächlich gar nichts bekannt. Dieses Buch von Bandi, wenn es sich als wahr herausstellt, ist tatsächlich das erste Buch, das von einem Autor, der noch in Nordkorea sich befindet, herausgetragen wurde. Eine verbreitertere oder breitere Dissidentenliteratur ist uns nicht bekannt.
Meyer: Gibt es so etwas, was es ja im Ostblock auch gab, so ein Zwischen-den-Zeilen-Schreiben oder Zwischen-den-Zeilen-Lesen?
Ballbach: Das ist ein neues Phänomen tatsächlich, das sich vor allem im Film ausgedrückt hat. Es gibt neuere nordkoreanische Filme, bei denen durchaus so etwas wie Ironie und Ähnliches ersichtlich wird. In der Literatur weniger als im Film, aber wir werden sehen, wie sich die Kunst- und Kulturproduktion unter dem gegenwärtigen Führer Kim Jong-un entwickelt. Wir können dazu noch nichts Genaues sagen ob der kurzen Amtszeit bisher von Kim Jong-un, deshalb müssen wir hier noch ein bisschen abwarten.
Aber wir haben durchaus festgestellt, dass am Ende der Amtsperiode von Kim Jong-il eine neue Art von Kunst- und Kulturproduktion ersichtlich wurde, beispielsweise durch die Koproduktion des nordkoreanischen Films "Comrade Kim Goes Flying", eine Koproduktion mit einem englischen Produktionsstudio. Das ist sicherlich eine Neuerung gewesen für die nordkoreanische Kunst- und Kulturproduktion. Es bleibt abzuwarten, ob man auch finanzielle Interessen in Nordkorea damit verbindet.

Bandis größtes Risiko: seine Identität aufzudecken

Meyer: Bei diesem Buch jetzt, "Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea" von Bandi, wenn die Identität dieses Autors aufgedeckt werden würde in Nordkorea, wenn wir jetzt davon ausgehen, dass es wirklich schon von diesem Autor aus Nordkorea ist, was würde das bedeuten für ihn?
Ballbach: Das wäre das absolut größte Risiko, das ein Nordkoreaner eingehen könnte tatsächlich. Es wäre Vaterlandsverrat. Nicht nur er müsste mit harten Strafen rechnen, sondern unter Umständen auch seine gesamte Verwandtschaft. Nordkorea ist offiziell ein sozialistisches System, das auf Gleichheit beruht. Inoffiziell wissen wir natürlich, dass das nicht der politischen Realität entspricht.
Die Familienangehörigen von Dissidenten sind diejenigen, die vor besonderen Herausforderungen und Problemen in der nordkoreanischen Gesellschaft stehen. Wenn es herauskommen würde, wer dieser Autor genau ist, wäre das für ihn sicherlich sehr, sehr gefährlich. Nicht zuletzt deshalb wurden ja auch alle geografischen Angaben und auch Namensangaben geändert, um die Sicherheit des Autors hier bis zumindest, soweit es möglich ist, zu gewährleisten.
Meyer: Können Sie sich vorstellen – eine spekulative Frage –, dass solche Texte, wie wir sie jetzt lesen können von Bandi, dass die auch in Nordkorea insgeheim kursieren oder wäre das zu gefährlich dort?
Ballbach: Das bleibt natürlich Spekulation, da können wir jetzt nichts Genaues darüber sagen, aber es gibt natürlich auch in Nordkorea, in Zeiten einer größeren Handyverbreitung beispielsweise und auch mit dem Durchdringen anderer digitaler Medien, die Möglichkeit oder eine verbesserte Möglichkeit der internen Kommunikation. Diese Infrastrukturen, diese Rahmenbedingungen, die sich hier herausgebildet haben, ließen so etwas zumindest zu. Ob es tatsächlich so ist, können wir nicht sagen.
Meyer: "Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea", so heißt dieser Band von Bandi mit sieben Erzählungen, er wurde übersetzt aus dem Nordkoreanischen von Lee Ki-Hyang, ist erschienen im Piper Verlag mit 220 Seiten, der Preis 20 Euro. Ganz herzlichen Dank an Eric Ballbach von der Freien Universität Berlin!
Ballbach: Herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Bandi: "Denunziation: Erzählungen aus Nordkorea", aus dem Nordkoreanischen von Lee Ki-Hyang, Piper Verlag, 220 Seiten, 20 Euro.

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