Ballast der Wiedervereinigung

06.03.2008
Seit 18 Jahren ist Deutschland wiedervereinigt und ebensolange kritisieren Bundesländer und -bürger die Art und Weise der Wiedervereinigung. Der ostdeutsche Autor Olaf Baale möchte einen Schlussstrich unter die Diskussion ziehen und einen Neuanfang wagen.
Es gibt im Leben jedes Menschen einen Moment, in der es ihn drängen sollte, die Lebenslügen der Vergangenheit über Bord zu werfen und die Träume der Jugend auf ein verwirklichbares Maß gesund zu schrumpfen. Das ist schmerzhaft, danach aber lebt es sich umso leichter. Der Autor, Olaf Baale, Jahrgang 1959, in der DDR sozialisiert, selbst in diesem nach Klärung suchenden Alter, empfiehlt uns allen, das kollektiv zu tun – und einzusehen, dass die deutsche Wiedervereinigung misslungen ist.

Die Visionen der Politiker von damals – seien es die blühenden Landschaften, die da gesehen wurden, sei es die Aussicht, jetzt wachse zusammen, was zusammengehöre - haben sich als Trugbilder erwiesen; es ist besser, sich von diesem Ballast zu verabschieden; ohne ihn lebt es sich leichter, sagt Olaf Baale. Die Wiedervereinigung konnte nicht gelingen, weil sie von Anfang an falsch konzipiert war. Diese These ist nicht neu, und der Autor belegt sie auf fast 300 Seiten zum Teil mit Argumenten, die wir schon gehört haben, zum Teil aber auch mit neuen Argumenten.

Zu den bekannten Einwänden gegen die Art und Weise, wie die Deutschen Einheit verwirklicht worden ist, gehört die Klage über die Währungsunion. Denn eine Volkswirtschaft, die von heute auf morgen eine faktische Aufwertung der Währung von 400 Prozent erlebt, muss untergehen. Auch die Eigentumsstreitigkeiten führt Baale wortreich ins Feld, obwohl heute kaum noch bestritten wird, dass das Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung", das dazu geführt hat, dass jahrelang um Immobilien gerungen wurde, Gift war für das Investitionsklima in den neuen Bundesländern.

Indes ein interessanter Aspekt ist Baales Blick auf die Bundesrepublik der späten 80er Jahre: auf einen verknöcherten Beamtenstaat, der von seiner Substanz lebte und notwendige Reformen vor sich her schob - was nachher verschleiert werden konnte, weil alle Strukturprobleme auf die ehemalige DDR geschoben werden konnte. Bildlich gesprochen also haben die alten Bundesländer ihren Anteil an der Misere in die neuen exportiert.

Ebenso eingängig, weil gut belegt, ist Baales Herleitung, nach der die Schulden, die die DDR hinterlassen hat, zu Unrecht auch nach der Währungsunion zurückgezahlt werden mussten. Schließlich macht es wenig Sinn, dass ein Staat, der aufgrund seiner Verschuldung quasi Konkurs anmeldet und von einem anderen übernommen wird, diese Schulden abtragen muss, selbst wenn es ihn gar nicht mehr gibt.

Konkret sind sozialistische Schulden, so die Argumentation, keine marktwirtschaftlichen: berücksichtigt man etwa, dass Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften ihr vom Staat geliehenes Geld zu DDR-Zeiten auch in die Infrastruktur der Dörfer zu stecken hatten: warum mussten solche Schulden, die aus der speziell sozialistischen Organisation des Staates herrührten, nach der Wiedervereinigung zurückgezahlt werden? Nicht wenige LPGs sind unter dieser Last zusammengebrochen und mussten aufgeben.

Rezensiert von Andreas Baum

Olaf Baale: Abbau Ost. Lügen Vorurteile und sozialistische Schulden
dtv, München 2008
302 Seiten. 12,90 EUR