Bahnhof Altona soll verlegt werden

Droht in Hamburg ein Stuttgart 21?

Eine Brachfläche in der Nähe des S-Bahnhofes Diebsteich in Hamburg. Die Deutsche Bahn verlegt den Fernbahnhof Hamburg-Altona und schafft so Platz für neuen Wohnraum.
Eine Brachfläche in der Nähe des S-Bahnhofes Diebsteich in Hamburg. Die Deutsche Bahn verlegt den Fernbahnhof Hamburg-Altona und schafft so Platz für neuen Wohnraum. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Axel Schröder · 03.01.2018
Der Fernbahnhof Altona soll einige Kilometer verlegt werden. Jahrelang wurde das Projekt aufgeschoben, nun soll es starten. Kritiker fürchten eine gewaltige Kostenexplosion und werfen der Bahn vor, die wahren Gründe für den Bau zu verschweigen.
In der digitalen Welt gibt es ihn schon, den neuen Hamburger Fernbahnhof. Auf dem Monitor von Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis ist der Schnitt durch den Bahnhof zu sehen:
"Das ist sehr schön zu sehen, so ein Querschnitt. Wir haben zwei Gleise für die S-Bahn mit der Bahnsteigüberdachung. Und dann zwei, vier, sechs Gleise für den Fernbahnbereich. In diesem Bereich unten wird es Geschäfte geben, wird es die normale Beleuchtung geben mit allem, was dazu gehört. Und dann kommt hier auf der Seite ein Empfangsgebäude hin, das mit der Stadt geplant ist."
Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es die Idee, den Altonaer Bahnhof zu verlegen, einen Kilometer nur, in Richtung Norden. Dorthin, wo bislang der kleine und heruntergekommene S-Bahnhof Diebsteich liegt. Umgeben von Industriehallen, einem Friedhof, einigen Schrebergärten, einem Sportplatz. Sinn macht der Bahnhofsumzug für den Wohnungsbau: Auf den frei werdenden weiten Bahnbetriebsflächen wird zum Teil heute schon gebaut, ein ganz neuer Stadtteil, die "Mitte Altona" soll hier entstehen. Und auch verkehrstechnisch lohne sich der Umzug, erklärt Egbert Meyer-Lovis:
"Wir haben für ganz viele Fernreisende, die aus Schleswig-Holstein kommen, sehr, sehr viele Vorteile, weil sie alle im neuen Bahnhof in die Fernzüge umsteigen können. Alle ICE-, IC-Züge beginnen und enden im neuen Bahnhof. Wir haben auch den Vorteil für die Fernreisenden Richtung Norden, also die, die von Süden her kommen, die nach Flensburg, nach Kiel oder auch nach Arhus weiter fahren wollen. Die können direkt im neuen Bahnhof umsteigen. Und ganz wichtig ist mir auch, dass die Umsteigebeziehung im Bahnhof für die Wege wesentlich kürzer sind."

Charm einer Hundehütte

Die Ernüchterung über das Projekt setzte ein, als die ersten architektonischen Entwürfe für den Bahnhof vorgestellt wurden. Hamburgs damaliger Oberbaudirektor Jörn Walter erklärte, der Bahnhof hätte den Charme einer "Hundehütte". Die Bezirkspolitiker aller Parteien waren entsetzt angesichts der sehr funktionalen, vor allem preiswerten Bauten. Auf eine Bahnhofshalle wurde verzichtet. Dafür seien, so ließ die Bahn verlauten, die Bahnsteige jedenfalls teilweise überdacht. Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis kann die Aufregung nicht verstehen. Immerhin sei der neue Bahnhof mit seinen voraussichtlich 20.000 Fahrgästen pro Tag nicht vergleichbar mit dem Hamburger Hauptbahnhof, den jeden Tag eine halbe Million Passagiere nutzen:
"Man muss auch mal die Dimension sehen und wie viele Umsteigebeziehungen da sind. Klar, wir hatten kurze Bahnsteig-Dächer geplant. Es werden lange Bahnsteigdächer, analog zu denen, die in Dammtor außerhalb der Halle sind. Die werden genauso aussehen, ist die gleiche Bauart. Und was das Umfeld betrifft und das Empfangsgebäude, da sind wir zusammen mit der Stadt im Boot und entwickeln das."
Nun steht fest: Eine Bahnhofshalle wird es zwar nicht geben. Dafür werden aber die über 400 Meter langen Fernbahnsteige nicht nur auf 170, sondern auf 240 Meter überdacht. Auf den restlichen Bahnsteigmetern werden die Passagiere im Regen stehen gelassen. Und es wird zwei Hochhaustürme geben, entworfen vom renommierten Hamburger Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner. Eine neue Landmarke soll entstehen, die Großstadtflair verströmt, wo bislang in die Jahre gekommene Industrie- und Lagerhallen das Bild prägen.

Für viele Pendler eine Verschlechterung

Schon in fünf Jahren soll der Fernbahnhof in Altona Geschichte sein. Die Gleise für die bislang ebenerdigen Bahnsteige werden demontiert, bleiben sollen nur der klobige Siebzigerjahre-Bau mit Blumenläden, Fastfood-Läden und Elektronikmarkt und die unterirdisch ankommenden S-Bahnen. Ein Irrsinn sei das, erklärt Michael Jung vor dem Eingang in den Bahnhof Altona. Er ist Sprecher der Initiative "Prellbock Altona":
"Dies ist der fünfzehntgrößte Bahnhof in Deutschland, vom Passagieraufkommen her. Und diesen einzigartigen Verkehrsknotenpunkt mit dem größten Busbahnhof Hamburgs, den fünf S-Bahn-Linien und der Fern– und der Regionalbahn und der engen Verzahnung mit dem Stadtteil mutwillig zu zerschlagen, ist eigentlich ein Sündenfall, der keineswegs den Passagieren dient."
Seit Jahren kämpft der einstige Unternehmensberater gegen das Projekt. Als Rentner, lächelt Michael Jung, hätte er dazu genug Zeit. Er und seine Mitstreiter schreiben unermüdlich Briefe an alle am Projekt Beteiligten: natürlich an die Bahn, an den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, an die Bezirksamtsleiterinnen Liane Melzer. Die "Prellbock"-Initiative veranstaltet Informationsabende, sucht den Rat von Experten, von einstigem Bahnpersonal. Dass die Verlegung des Altonaer Bahnhofs vor allem den Zugreisenden zugutekomme, glauben sie nicht. An seinem jetzigen Platz sei der Altonaer Bahnhof für fast 70.000 Menschen zu Fuß erreichbar. Am neuen Standort gibt es bislang kaum Wohnbebauung und damit keine Anwohner, die von einem Bahnhof in der Nachbarschaft profitieren würden.
"Was das Schlimme ist an Diebsteich: die Pendler, für die meisten Pendler verlängern sich die Fahrtwege um bis zu zehn Minuten. Denn die Regionalzüge, die hier ankommen, die enden dann in Diebsteich. Sie müssen Diebsteich aussteigen, müssen einmal in die S-Bahn und dann in den Bus. Das trifft insbesondere die Pendler, die zum Airbus-Werk gehen, die aus Schleswig-Holstein kommen. Und die haben pro Richtung zehn Minuten mehr Wegezeit."

Veranschlagte Kosten: 360 Millionen

Was ist dann aber Hintergrund des Projekts? Warum gibt die Bahn mindestens 360 Millionen Euro aus, um einen Bahnhof um einen einzigen Kilometer zu verlegen? Das Unternehmen verweist auf einfachere Betriebsabläufe, darauf, dass nun die Züge in Nord-Süd-Richtung, ohne den Sackbahnhof in Hamburg-Altona, schneller die Haltestellen der Hansestadt, also auch Hamburg-Dammtor und den Hauptbahnhof passieren können. Michael Jung schüttelt über diese Argumente nur den Kopf. Am Ende, erklärt er, ginge es nur ums Geld:
"Das ist nur zu verstehen, wenn man weiß, wie Eisenbahn in Deutschland finanziert wird. Die Erneuerung von Weichen und Signalanlagen, die sind jetzt hier am Bahnhof Altona 1979 zuletzt erneuert worden, müsste, weil das Instandhaltung ist, die Bahn aus eigener Tasche bezahlen. Wird ein Bahnhof neu gebaut, dann würde nach der Leistungsfinanzierungsvereinbarung ein Großteil der Kosten der Steuerzahler tragen. Insofern hat die Bahn da einen ökonomischen Anreiz, diesen Bahnhof zu verlegen und etwas eigentlich Unsinniges zu tun!"
Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis weist diese Behauptung zurück. Die Bahn baue nicht einfach einen neuen Bahnhof, nur weil die Modernisierung eines alten zu teuer sei:
"Ich kann diese Argumentation von 'Prellbock' da überhaupt nicht nachvollziehen. Selbst wenn wir in Altona erneuern, gibt es ja auch Gelder vom Bund durch die LUF-Mittel, dir Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Das stimmt nicht so ganz, das ist tatsächlich etwas zu kurz gesprungen."

Bahn hält die Zahlen unter Verschluss

Eine Gegenüberstellung der Kosten für die Verlegung und die Beibehaltung des jetzigen Standorts habe es tatsächlich nie gegeben. Und die Modellrechnungen zu den erwarteten Passagierzahlen am neuen Bahnhof hält die Bahn bislang unter Verschluss. Michael Jung und seine Mitstreiter kämpfen deshalb für eine Offenlegung aller Zahlen zu dem Projekt, dass in ihren Augen nicht die von der Bahn veranschlagten 360 Millionen Euro, sondern insgesamt rund eine Milliarde Euro kosten wird, einschließlich der Mittel, die aus Bundes- und Landestöpfen in das Projekt fließen. Ein zweites "Stuttgart 21" drohe also keineswegs, winkt Egbert Meyer-Lovis ab.
"Wir haben ja gesagt: Nach groben Schätzungen liegen wir bei 360, 380 Millionen Euro. Das sind erstmal feste Kosten, die sind geplant. Wir haben ein Gelände, was uns gehört im neuen Bereich. Das kann man deshalb auch kalkulieren, wie das aussieht. Ich erwarte da keine Kostenexplosion!"
Und immerhin seien die Planer des Stuttgarter Projekts von Baukosten in Höhe von ursprünglich 2,6 Milliarden Euro ausgegangen, die nach jüngsten Schätzungen auf bis 7,6 Milliarden Euro anwachsen könnten. Von diesen Dimensionen sei man in Hamburg meilenweit entfernt, so Egbert Meyer-Lovis. Welche Folgen das Bahnhofsprojekt für die Stadtviertel haben wird, ist nicht absehbar. Michael Jung von der Initiative "Prellbock-Altona" befürchtet, dass Geschäfte rings um den jetzigen Standort eher schließen werden als dass am neuen Platz neue Möglichkeiten entstünden:
"Kleingärten plattmachen, Friedhöfe plattmachen, Sportplätze plattmachen, eine Kongresshalle für 5000 Leute da hinstellen. Also etwas Illusionäres, einen ganz neuen Stadtteil. Das braucht aber eine lange Zeit und das muss sorgfältig vorbereitet werden. Wir haben die Befürchtung, dass dieses Geld für den Bahnhof Diebsteich verschwendet wird. Das kann man besser für dringend erforderliche Verbesserungen im Hamburger Bahnnetz ausgeben. Und sei es auch nur, dass sie mehr neue Waggons kaufen, damit die Züge pünktlicher fahren."
Seit letzter Woche liegt der Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahnbundeamtes für den Bahnhof Mitte Altona vor. Für Michael Jung kein Grund, die Hoffnung aufzugeben. Er will weiter gegen das Projekt kämpfen.
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