"Bad Boys"

Schlechtes Image, viele Wähler

Der niederländische Politiker Geert Wilders vor einem Verkehrsschild
Jüngst hetzte der niederländische Politiker Geert Wilders gegen marokkanische Zuwanderer. © picture-alliance / dpa / Robin Utrecht
Von Anne Raith · 14.05.2014
Die Europäische Union und Zuwanderer - das sind in den Augen Geert Wilders und Vlaams Belang die Hauptschuldigen im Hinblick auf gesellschaftliche Probleme wie Jobverlust oder Kürzungen im Sozialsystem. Und das zieht Wähler.
Den Kragen hochgeschlagen stapft Tom van Grieken durch den Regen, vorbei an den schmutzig grauen Häusern von Sint-Joost-ten-Node mitten in Brüssel. Keine Gemeinde in Belgien ist ärmer, in keiner anderen wohnen mehr Einwanderer als hier, sagt die Statistik. Ein ungewöhnlicher Ort für die Parteizentrale des Vlaams Belang. Der 27-Jährige steuert ein mehrstöckiges Gebäude an.
Auch die Jugendorganisation "Vlaams Belang Jongeren“ hat hier ihren Sitz. Tom van Grieken ist ihr Vorsitzender.
"Rechts ohne Komplexe“ ist der junge Mann zweifellos. Stolz präsentiert er Werbematerial seiner Partei, das sich in den Schränken längs der Wand stapelt. Schwarz-gelbe Flaggen mit dem flämischen Löwen, Flugblätter, die vor "Masseneinwanderung“ und "wachsender Kriminalität“ warnen.
Aufgewachsen ist er in einem multikulturellen Viertel von Antwerpen. Viele seiner Freunde, seiner guten Freunde, schiebt er provozierend hinterher, stammten damals aus Einwanderfamilien.
"Ich habe leider keine traurige Geschichte darüber, dass ich von Klein-Mohammed ausgeraubt worden bin. Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber ich habe Augen im Kopf, es funktioniert einfach nicht. In Antwerpen sind ganze Straßenzüge verkommen. Ich habe mich da einfach nicht mehr zu Hause gefühlt.“
Zu Hause fühlte er sich bei den rechten Separatisten vom Vlaams Block, der sich nach einem Gerichtsurteil gegen drei parteinahe Organisationen als rassistisch gebrandmarkt sah und um die staatliche Parteienfinanzierung fürchtete. Also löste sich die Partei auf und gründete sich neu – als Vlaams Belang – auf Deutsch: Flämische Interessen. Das Motto aber blieb das gleiche: "Eigenes Volk zuerst“.
In seinem Parteiprogramm tritt der Vlaams Belang dafür ein, die Zuwanderung stark zu beschränken und straffällig gewordene Einwanderer ohne belgischen Pass abzuschieben. Wer bleibt, muss sich assimilieren. Das gilt vor allem für Einwanderer aus muslimischen Ländern. Und so warnt auch Tom van Grieken vor der schleichenden "Islamisierung“ des Landes, die er ja nun mal mit eigenen Augen beobachte:
"In Antwerpen zum Beispiel sind alle Mahlzeiten in staatlichen Schulen 'halal', sie töten die Tiere dort nach islamischen Vorstellungen, das ist sehr schmerzhaft. Sie haben sogar versucht, Straßennamen zu ändern, von 'Kirchstraße' zu 'Moscheestraße'. Wo bleibt da meine Identität? Ich liebe mein Land und mein Volk und möchte meine Identität leben.“
"Ich sehe schwarz für Brüssel"
Im belgischen Parlament werden die Abgeordneten des Vlaams Belang von den anderen Parteien gemieden - eine Regierungsbeteiligung ist durch diesen vereinbarten 'cordon sanitaire' ausgeschlossen. Zusätzlich gibt es starke Konkurrenz im eigenen politischen Lager. Die Neu-Flämische Allianz kämpft ebenfalls um Flanderns Unabhängigkeit und wurde bei den Parlamentswahlen in Belgien mit 17 Prozent stärkste Kraft. Vlaams Belang hatte mit acht Prozent das Nachsehen. Verantwortlich – so die Partei seien auch die Medien. Ihre Politiker würden von manchen Debatten von vornherein ausgeschlossen, ergänzt Nachwuchspolitiker Tom van Grieken, und grinst:
"Der Vlaams Belang hat ein schlechtes Image. Dann heißt es in den Medien immer immer buhu, die Extremisten kommen!“
Er gefällt sich in der Rolle des "Bad Boy“ und spielt diese Karte auch aus, wenn er um neue Mitglieder wirbt:
"Wenn wir bei Schuldebatten nicht zugelassen werden, verteilen wir eben vor dem Schultor unsere Flugzettel und fordern die Leute auf: 'Sei kein Idiot, bild‘ Dir Deine eigene Meinung.' Und ich kann Ihnen versichern: Danach steigt unsere Mitgliederzahl sprunghaft an!“
Etwa 2000 Mitglieder habe die Jugendorganisation der Partei, schätzt van Grieken, während hinter ihm der Regen an die Scheiben prasselt. Er schaut hinaus ins Brüsseler Grau. Zum Glück sagt der Antwerpener, arbeite ich hier nur, und muss hier nicht auch noch leben.
"Diese Stadt ist doch total verrückt. Auf der einen Seite die Europäische Union mit all ihrer Bürokratie und den Projekten, die jede Menge Geld kosten, auf der anderen Seite die wachsende Armut und das ganze Multikulti. Hier gibt es sogar Islam-Parteien! Also wenn nichts Drastisches passiert, dann sehe ich schwarz für Brüssel.“
Ihm würde da das ein oder andere einfallen: Die europäische Zusammenarbeit auf ein Minimum zurückzufahren zum Beispiel, die Zuwanderung zu stoppen und jeden Zuwanderer, der straffällig wird, abzuschieben.
Mit Schlagworten wie diesen feiern Rechtspopulisten in fast ganz Europa derzeit bemerkenswerte Erfolge.
"Das liegt zum einen an der Wut und dem Groll auf das politische Establishment. Die Menschen hatten bislang nicht das Gefühl, dass ihre Stimme gehört wird ...“
… analysiert Heather Grabbe von der Brüsseler Denkfabrik "Open Society European Policy Institute“ die Entwicklung.
"Die Menschen sind verunsichert, sie fürchten, dass der Sozialstaat nicht länger funktioniert, sehen, dass sich der Arbeitsmarkt verändert hat, dass es keine lebenslange Jobgarantie mehr gibt. Und das gefällt ihnen nicht. Was tun diese Parteien also? Sie lenken diese Enttäuschung und dieses Missfallen um in Schuld.“
Und Schuld sind erstens "die anderen“, also alle, die man sehr vereinfacht unter "Zuwanderer“ oder "Fremde“ bündeln kann. In Belgien, den Niederlanden, in Frankreich oder Skandinavien sind das primär Muslime, in den osteuropäischen Ländern Roma. Und Schuld ist bei ihnen allen zweitens: die Europäische Union.
"Wenn es den Populisten um die Zuspitzung 'Wir, das Volk – gegen die, die Elite' geht, dann ist es natürlich ein leichtes Spiel, die EU als elitäres, volksfernes Projekt darzustellen. Alles spielt sich in Brüssel ab, vieles auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Die europäischen Errungenschaften nehmen viele nicht mehr als solche wahr, weil sie Alltag geworden sind.“
Befreiung vom EU-Monster
Diese "Chance“ will auch Geert Wilders nutzen. Im November vergangenen Jahres sagt der niederländische Populist der Europäischen Union den Kampf an:
"Das ist ein historischer Tag, denn heute beginnt die Befreiung. Die Befreiung vom Monster aus Brüssel.“
In einem Brüsseler Café sitzt Marc Peeperkorn und rührt Zucker in seinen Milchkaffee. Der Journalist beobachtet den Aufstieg und wachsenden Einfluss von Wilders schon seit langem. Früher, erzählt der Korrespondent der Zeitung "De Volkskrant", früher bemühte Wilders bei dieser Gelegenheit gerne das Bild des Durchschnittspärchens Henk und Ingrid, um die Sorgen der Mittelschicht vor Jobverlust, Steuererhöhungen und Kürzungen im Sozialsystem zu illustrieren:
"Und weil die Niederlande ein sehr kleines Land sind, ist das Gefühl der Unsicherheit, das Gefühl, sein Schicksal nicht mehr selbst in der Hand zu haben, noch stärker. Wilders Europa-Programm ist daher recht simpel: Die Niederlande müssen raus aus dem Euro und raus aus der Europäischen Union. Und das so schnell wie möglich. Punkt.“
Auch Wilders gibt nicht allein der EU die Schuld an diesem diffusen Gefühl der Unsicherheit - ebenso kompromisslos und sehr viel radikaler befeuert der Gründer der "Partei für die Freiheit“ seit Jahren ein weiteres Feindbild: Den Islam. Für ihn ist der Islam keine Religion, sondern eine totalitäre Ideologie, der Koran vergleichbar mit Hitlers "Mein Kampf“. Nach seinem umstrittenen islamkritischen Film "Fitna“ erhält Wilders Todesdrohungen. Journalist Marc Peeperkorn erinnert sich noch gut, wie dieser Film alles veränderte:
"Er wird seitdem 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche bewacht und ist dadurch von der realen Welt abgeschnitten. Er hat sich total radikalisiert. Es geht dabei nicht unbedingt um die Themen, die er setzt, sondern um die Art, wie er es tut – ohne Respekt und Anstand.“
Abgeschreckt hat das seine Wähler in der Vergangenheit nur bedingt – lange feierte Wilders mit seiner Ein-Mann-Partei, in der allein er buchstäblich den Ton angibt, beachtliche Erfolge. Zwei Jahre konnte eine Minderheitsregierung nur unter Duldung seiner PVV regieren. Lange rangierte die "Partei für die Freiheit“ - nach einem Umfragetief - vor den Europawahlen wieder ganz oben in der Gunst der Wähler. Doch nun könnte Wilders einen Schritt zu weit gegangen sein:
"Mehr oder weniger Marokkaner? Weniger!“ (Applaus)
Mitte März hatte Geert Wilders bei einem Auftritt vor Anhängern in Den Haag gefragt: "Wollt Ihr weniger oder mehr Marokkaner in Eurer Stadt und in den Niederlanden?“ Die Menge skandierte "Weniger! Weniger!", woraufhin Wilders versprach: "Wir werden uns darum kümmern.“ Seitdem sind tausende Strafanzeigen gegen den Populisten eingegangen, mehrere Abgeordnete haben die Partei verlassen, unter anderem Laurence Stassen, die bislang für die Wilders-Partei im Europaparlament saß.
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