Bachmann-Preisträgerin Gomringer

"Das Schreiben macht einsam"

Nora Gomringer während der Siegerverkündung beim Ingeborg-Bachmann-Preis am 05.07.2015 in Klagenfurt
Nora Gomringer während der Siegerverkündung beim Ingeborg-Bachmann-Preis. © picture alliance / dpa / Gert Eggenberger
Nora Gomringer im Gespräch mit Barbara Wahlster  · 05.07.2015
Auf einer Zugfahrt von Leipzig nach Bamberg ist der Text entstanden: Mit "Recherche" hat Nora Gomringer den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Im Interview erzählt die Schriftstellerin, wie sie den Wettbewerb in Klagenfurt erlebt hat und was Schreiben für sie bedeutet.
"Recherche" handelt vom Tod eines 13-jährigen Jungen. Sie habe nach einer Protagonistin gesucht und habe sie schließlich gefunden, sagt Nora Gomringer: "Nora Bossong, die Lyrikerin und Romanautorin, die große deutsche Autorin, Nora Bossong, hat mir Patin gestanden für meine Idee einer Schriftstellerin, die sich auf die Suche macht nach einem neuen Text, den sie ausarbeiten möchte."
Der tragische Fall eines Jugendlichen, der aus dem 5. Stock stürzte, ist der Protagonisten aufgefallen. Sie beginnt zu recherchieren.
"Was sie dort erfährt, bildet sich in Stimmen und Stimmungen in ihr ab und das nimmt sie dann in eine Textproduktion hinein, die sich letztendlich auch gegen sie wendet", erzählt Gomringer. In dem Text schwinge die Frage mit, ob sich eine Autorin überhaupt derart an der Realität bedienen darf.
Ausschnitt aus Nora Gomringers Lesung:

Das Gespräch im Wortlaut:
Gleich nach der Preisverleihung hat unsere Literatur-Redakteurin Barbara Wahlster mit Nora Gomringer gesprochen und sie als erstes gefragt, wann sie sich als Lyrikerin für längere Formen entscheidet.
Nora Gomringer: Wenn das, was ich zu erzählen habe, einen längeren Atem braucht, und wenn ich merke, dass die lyrische Form, also wirklich ein Gedicht oder ein Sprechtext, nicht wirklich ausreichen. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich glaube, für die meisten Inhalte ist ein Gedicht schon durchaus ausreichend.
Ich bin einfach wirklich aus der Lyrik kommend und in der Lyrik seiend, jemand, der es sehr genießt, auch Gedichte von Kolleginnen und Kollegen zu lesen und immer wieder darüber erstaunt ist, wie viel Welthaltigkeit und wie viel Geschichten und wie viele Stimmen letztendlich sich in Gedichten bündeln können. Und von daher: Weniges, was die Prosa erzählen kann, was nicht auch ein Gedicht schon längst erzählt hätte.
Wahlster: Sandra Kegel, die Jurorin, die Sie vorgeschlagen hat für diesen Wettbewerb, macht ja gar keinen Hehl daraus, dass sie Sie persönlich angesprochen hat, auf sie zugegangen ist. Und meine Frage wäre jetzt, haben Sie gemeinsam an dem Text gearbeitet?
Gomringer: Ich habe sie ganz im Dunkeln gelassen, sodass, glaube ich, Frau Kegel richtig Sorge hatte. Weil der erste Text, den ich ihr geschickt habe, der ist in der Tat – also ich kokettiere immer so damit, ich sage, nein, ich hatte nichts in der Schublade. Ich hatte doch etwas in der Schublade, einen längeren Romanansatz, aber, also, maximal 25 Seiten, und ich habe ihn ihr geschickt, und den mochte sie nicht. Und dann hat sie gesagt, das entwickelt sich zu langsam.
Und ich sage, na ja, das ist ja auch für einen Roman, also eben der längere Atem, wie eben angesprochen. Da hat sie gesagt, bitte schicken Sie etwas anderes. Und dann war ich in der Bredouille und habe überlegt, was mache ich?
Die Idee für den Text entstand auf einer Zugfahrt von Leipzig nach Bamberg
Dann kam dieser Text auf einer Zugfahrt zwischen Leipzig und Bamberg an einem frühen Dienstagmorgen nach der Buchmesse. Und er blieb mir auch als Idee, erschien mir sinnvoll, ich habe weiter dran gearbeitet, und dann habe ich ihn ihr erst vorgestellt, als er fertig war.
Und so habe ich ihn ihr geschickt, als Audiodatei. Sie hat ihn lange nicht gelesen. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass sie ihn als Text liest, ich wollte, dass sie ihn so hört, wie ihn eigentlich auch jeder dann im Fernsehen zum ersten Mal wahrnimmt, weil es ist ein Fernsehformat, dieser Wettbewerb mittlerweile, und dem ist Aufmerksamkeit zu schulden, das hat andere Ansprüche an Texte, muss man sagen.
Wahlster: Und an die Performance, für die Sie ja auch bekannt sind. Dieser Text heißt "Recherche", und es geht um den Tod eines 13-jährigen Jungen beziehungsweise darum, was Mitbewohner in dem Haus wahrgenommen haben, vor allem, wie darüber gesprochen wird und was verschwiegen wird. Im Grunde ist das ja ein Vorgehen, was man bei Journalisten, bei Ermittlern kennt, und in die Reportagefalle, in die reine Reportagefalle sind Sie ja nicht getappt, weil Sie ganz andere Schichten, Sprechschichten, Sprachschichten auch freilegen. Dennoch gibt es einmal die Frage, bin ich Kriegsreporterin? Also, wie haben Sie vermieden, Kriegsreporterin zu sein, oder ihre Protagonistin Kriegsreporterin sein zu lassen und was anderes da zu finden?
Ich habe eine besondere Protagonistin gesucht und in Nora Bossong gefunden
Gomringer: Indem ich mir eine besondere Protagonistin gesucht und sie in Nora Bossong gefunden habe, wie ich meine. Also Nora Bossong, die Lyrikerin und Romanautorin, die große deutsche Autorin Nora Bossong, die hat mir eigentlich Patin gestanden für meine Idee einer Schriftstellerin, die sich eben auf die Suche macht nach einem neuen Text, den sie ausarbeiten möchte.
Und offensichtlich ist – in dieser Geschichte wird das so nicht angesprochen, aber man kann davon ausgehen – ist ihr dieser tragische Fall eines 13-Jährigen, der eben stürzte aus dem fünften Stock, aufgefallen, vielleicht in der Zeitung, vielleicht lebt sie da in der Nähe von diesem Hochhaus. Und sie, diese Protagonistin, begibt sich da in das Hochhaus und hängt einen Zettel auf und sagt, ich möchte gerne das Haus befragen, alle Bewohner des Hauses befragen, was denn am 23.02. hier vorgefallen ist, und vielleicht lässt mich ja jemand ein.
Die deutsche Autorin Nora Gomringer.
Die deutsche Autorin Nora Gomringer hat den 39. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen.© Johannes Puch/ORF/dpa
Und dann beginnt sie just an irgendeinem der Tage dann, nachzufragen. Und klopft da vom fünften, vierten, dritten, zweiten, ersten Stock alle ab und klopft auch an jede Tür. Und was sie da erfährt, das bildet sich ja auch in Stimmen und in Stimmungen in ihr ab, und das nimmt sie dann in eine Textproduktion hinein, die sich letztendlich auch gegen sie wendet.
Die Ermittlerin gibt selbst Stoff für eine Recherche ab
Denn sie wird gefunden, sie selbst gibt auch Stoff für eine Recherche ab, denn vor diesem Haus, wie vor jedem Haus, da steht eigentlich ein Beobachter und sieht auch sie, während sie da so sich einen Text quasi langsam – das ist ja auch eine gewisse Haltungsfrage. Man sucht sich einen Text und begibt sich auf aktive Suche nach all den Stimmen, die man hineinsenden könnte, wenn man ihn dann schreibt. Aber ist das überhaupt, dürfen wir uns so an der Realität bedienen? Das, hoffe ich, steckt auch ein wenig drin, auch der Zweifel daran, ob ich mich, ich als Autorin Nora Gomringer, an so etwas so bedienen darf.
Wahlster: Der entsprechende Satz wäre, der da vorkommt im Text: "Vieles am Schreiben ist widerlich, weil es die Voyeure anzieht und die Herzlosen. Ob Lyrik oder Prosa, ist da ganz egal." Was ist denn so widerlich am Schreiben?
Gomringer: Das Widerliche könnte darin liegen, dass man sehr am Schreiben leiden kann. Und zwar leidet man dann ja auch an dem Erfolg oder Nicht-Erfolg.
Der Erfolg ist anstrengend, denn danach blicken alle auf die Texte, die man schreibt, und sie müssen eine Gültigkeit haben, die fast übermenschlich ist. Sie können nicht einfach nur noch fröhlich wie Text-Ponys auf der Weide existieren mit anderen Ponys und herumgereicht werden und sich freuen unter der Sonne, sondern sie werden viel ärger und strenger betrachtet.
Sie machen nicht mehr das Karussell mit anderen Texten, wo einfach lebhaft diskutiert wird und die im weniger hierarchischen Verhältnis gehandelt werden. Das Schreiben an sich ist ein einsamer und sehr anstrengender Akt. Ich bemerke das an den Stipendiatinnen und Stipendiaten, die auch eben bei uns im Künstlerhaus für ein Jahr dann oft sind.
Das Schreiben macht einsam - und kann so erfüllend sein
Das Schreiben macht einsam. Es kann unheimlich erfüllend sein. Es gibt nichts Schöneres als ein Gedicht zu schreiben. Am Abend vielleicht fällt es einem ein, und am nächsten Morgen prüft man es ab, und wenn es dann Gültigkeit hat – es gibt nichts Schöneres. Das ist wirklich ein großes Gefühl, aber selten im Jahr kommt es. Wenn es kommt, kommt es ein-, zweimal so, dass man denkt, ach, zum Glück, zum Glück ist da mal wieder etwas gekommen.
Wahlster: Hatten Sie denn jetzt, während des Zuhörens, während dieses Bachmann-Wettbewerbs, so was wie einen Lieblingstext, oder kann man sich gar nicht von der eigenen Anspannung freimachen und richtig hinhören?
Gomringer: Textrezeption ist hier wirklich ein bisschen eingeschränkt für die, die teilnehmen. Manche kriegt man mit in sommerlicher Hitze draußen sitzend, manche kriegt man im Studio mit. Ich habe mir eigentlich ziemlich viele angehört, bis ich nicht mehr konnte. Und dann immer wieder nur noch punktuell.
Ich habe Theresa Präauers Text sehr aktiv mitgehört, weil ich in – also, ich bin davon ausgegangen, Theresa Präauer erhält den Bachmann-Preis 2015, weil ich einfach auch finde, dass eine – ich bin da so – dass eine österreichische Autorin diesen Preis auch haben muss. Und ich schätze Theresas Werk so sehr, und vorher auch – sie hat ja einen Siegeszug gehabt mit ihrem letzten Roman. Ich habe einfach gedacht, das ist es.
Valerie Fritsch war mir gar nicht bekannt, deshalb ist das schön, jemand entdeckt zu haben, jemand zu hören zum ersten Mal. Dana kannte ich auch nicht. Es tut mir leid um Monique Schwitter, die so expressiv und stark ist und auch einfach so gute Lesungen macht. Sie sprechen mit einem Fan, einem Fan für Literatur und auch einem Fan der Begegnungen.
Wer sieht die Welt so wie ich - und wer sieht sie anders?
Bei mir ist das schwierig, ich bin wirklich schüchtern, ich kann nicht alle da so ansprechen und so. Und das mache ich dann, indem ich wirklich Bücher von jedem der Autoren auf dem Festival gekauft habe und zum Autor hingegangen bin und gesagt habe, willst du das bitte signieren. Das war meine erste Hürde, die ich genommen habe, um dann in Kontakt zu treten. Und sie waren alle so überrascht, wo ich gedacht habe, das macht wohl keiner, interessant, stimmt.
Ich bin von Kolleginnen und Kollegen auch um keine Unterschrift gebeten worden, aber ich finde es ganz wichtig. Ich habe eine große Sammlung Autographen, und ich bin – ich bin so. Ich weiß ja auch, dass es mich interessiert, dieses Wissen, ich bin jetzt lebend, wer sind meine Zeitgenossen? Mit wem setze ich mich denn auseinander? Wer sieht die Welt so wie ich, oder ganz anders?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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