Autonome Systeme und ihr Verhältnis zum Menschen

Intelligenz ist mehr als kalte Turborationalität

Ein CybeDroid auf der Viva Technology Conference in Paris im Juni 2017
Autonom? Intelligent? Oder doch nur ein Windbeutel? Wie lässt sich avancierte Dienstleistertechnologie am besten beschreiben, fragt sich Kommentatorin Thea Dorn. © imago/Christophe Morin
Von Thea Dorn · 18.06.2017
Maschinen nehmen dem Menschen immer mehr Alltagstätigkeiten ab - kann man da schon von autonomen oder gar intelligenten System reden? Nein, sagt Philosophin Thea Dorn - es sei besser, Maschinen als das zu beschreiben, was sie sind: Dienstleistungssysteme.
Die Schwierigkeit beginnt beim Namen: Wie soll man jene Gerätschaften nennen, die der technologisierte Mensch erfindet, damit sie ihm heikle bis lästige Tätigkeiten wie Autofahren, Haushaltführen, Kranke Pflegen nicht nur erleichtern, sondern – wenn sie einmal richtig programmiert sind – gewissermaßen in Eigenregie komplett abnehmen? Selbst der Deutsche Ethikrat scheint sich mit der Namensfindung schwer zu tun, widmet er seine Jahrestagung doch dem Thema "Autonome Systeme", um im Untertitel zu fragen, "wie intelligente Maschinen uns verändern".

Programmierte Autonomie?

Jene Apparate der Zukunft mit dem Wörtchen "autonom" zu bezeichnen, scheint mir eine ebenso glatte wie unstatthafte Übertreibung zu sein. Man muss nicht Philosophie studiert haben, um zu ahnen, dass "Autonomie" eins der Königsideale des Menschen ist, untrennbar verbunden mit der Fähigkeit, sich seine Werte und Ziele nicht nur selbst zu setzen, sondern auch aus freier Entscheidung zu verfolgen. Wie soll ein Ding, das von jemanden programmiert worden ist, bestimmte Tätigkeiten – und keine anderen als diese – zu verrichten, in einem triftigen Sinne "autonom" sein? Autonom wäre das selbstfahrende Auto erst an jenem Tag, an dem es beschließen könnte, sich heute mal freizunehmen oder künftig lieber Kranke zu pflegen.
Thea Dorn
Die Autorin© dpa / picture alliance
Angemessener scheint es, jene Zukunftsmaschinen "intelligent" zu nennen. Schließlich sollen sie mit überragenden Wahrnehmungssensoren ausgestattet sein, auf beliebige Mengen an Daten zurückgreifen und diese in Sekundenbruchteilen miteinander verknüpfen können und außerdem sollen sie auch noch aus vorherigen Situationen für künftige lernen können.

Der Jubel der Mechanisten

Der Preis, den wir für diesen großzügigen Umgang mit dem Intelligenzbegriff zu zahlen haben, ist allerdings immens: Wir verengen diesen auf eine kalte Turborationalität, in der genuin menschliche Begabungen wie die zur Intuition, Empathie oder Fantasie keine Rolle mehr spielen. Die Mechanisten, die im Menschen noch nie etwas anderes als eine besonders komplizierte Maschine sehen wollten, können sich freuen.

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Für die Anhänger der entgegengesetzten Tradition des abendländischen Denkens, die darauf beharren, dass die fixeste und cleverste Intelligenzbestie noch lange nicht über Weisheit verfügt, dass Vernunft mehr erfordert als bloßen Verstand, dass Urteilskraft nicht delegierbar ist – für diese Humanisten brechen noch finsterere Zeiten an, als sie durch die digitale Dauer-Bevormundung bereits begonnen haben.

Schafft der Windbeutel eine Hölle auf Erden...

Thomas Mann bedachte seinen Hausdiener Ludwig, der sich zum Chaffeur ausbilden lassen musste, um den Meister durch die Gegend zu kutschieren, mit der maliziös-liebevollen Bezeichnung "Windbeutel". Vielleicht ist dies nicht der schlechteste Name für jene durch nichts zu rührenden, seelen- wie willenlosen, allzeit bereiten und also maximal servilen Dienstleistungsmaschinen.
Sollte ihr Einzug in unsere Gesellschaft bewirken, dass Personen sich nicht länger in personenunwürdigen Umgebungen als Personal verdingen müssen, würden sich Freiheitsspielräume vergrößern. Sollten die neuen Dienstleistungsmaschinen jedoch die Neigung befeuern, den Menschen als die langsamere, unzuverlässigere, anstrengendere, schwieriger upzugradende Variante jenes mechanischen Superpersonals zu betrachten, kommen wir der Hölle auf Erden einen gewaltigen Schritt näher.

... oder mehr Zeit zum Lesen?

Aber wer weiß: Vielleicht nutzt der Mensch der nahen Zukunft, der sich nicht länger von Navigationssystem, Einparkhilfe, Spurhalte- und Notbrems-Assistenten gängeln lassen muss, ja die gewonnene Zeit. Während sein hochgerüsteter Windbeutel ihn durch die Gegend kutschiert, sitzt er ganz entspannt auf der Rückbank und liest: Aristoteles oder Kant. Oder wenigstens Thomas Mann.

Hören Sie hier die ganze Sendung vom 18. Juni 2017:
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