Autonome Lieferschiffe

Turnschuhzustellung übers Wasser

06:34 Minuten
Auf dem Bild ist ein gelbes Schiff zu sehen, dass zukünftig auf der Spree Pakete transportieren soll.
Im Testkanal fährt der Prototyp schon autonom durchs Wasser – aufs freie Wasser geht es im Frühsommer. © Leon Ginzel
Von Leon Ginzel · 08.05.2021
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Der Onlinehandel boomt dank Corona. Das bedeutet aber auch immer mehr Lieferwagen auf den zunehmend verstopften Straßen. Autonome Lieferschiffe sollen die Innenstädte in Zukunft entlasten. Kann das klappen?
Noch gleitet die Logistik-Hoffnung der Zukunft hinter verschlossenen Türen übers Wasser. Im Testkanal der "Schiffbau Versuchsanstalt Potsdam". Eine riesige, 280 Meter lange Halle, schummrig beleuchtet, schmale Gänge links und rechts von der Rinne. Mitten im Becken: der signalgelb lackierte "A-Swarm"-Prototyp. Symmetrisch gebaut, wie eine große, schwimmende Auflaufform mit Platz für drei Tischtennisplatten. Das Besondere: Das Schiff fährt ganz allein durch den Kanal, ohne Besatzung.
"'A-Swarm' ist ein Akronym für autonome Schwärme. Das heißt also, wir planen momentan auf der Wasserstraße kleinere Fahrzeuge einzusetzen, die sich dann zu einem Schwarm zusammenfügen und dann vor Ort, kurz vor dem Ankunftszielpunkt, zerteilt sich dieser Schwarm und die Fahrzeuge steuern dann einzeln, autonom ihr Ziel an", erklärt Christian Masilge. Er leitet die Versuchsanstalt und das Projekt, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird.
Beteiligt sind die "TU Berlin", die "Uni Rostock" und Firmen wie der Chip-Hersteller "Infineon". "Man muss ja wissen, dass es früher in Berlin zum Beispiel ne große Anzahl von Anlandestellen gab am Ufer. Und wir sind dabei ein entsprechendes Konzept zu entwickeln, dass man an vielen kleinen Stellen ohne Probleme anlanden kann und die containerisierten Boxen rüberrollen kann auf das Elektrofahrrad."

Technik ermüdet nicht

Wenn jemand zum Beispiel neue Turnschuhe bestellt, werden diese in einem Lager am Wasser auf das autonome Schiff geladen, das dann zusammen mit anderen Booten im Schwarm Richtung City fährt, sich kurz vor dem Ziel absplittet und an einem Haltepunkt andockt. Da werden die Turnschuhe ins Lastenfahrrad geladen und zu mir nach Hause geliefert. Die Schiffe können 24/7 fahren, denn der Computer wird nie müde.
Gesteuert werden die Boote mit GPS-Daten, Sensoren und 3-D-Lasern. "Das erfordert natürlich ein Lernen, so wie das der Mensch auch macht, dass er weiß, wie er sich verhalten muss, wie er eine Brücke durchsteuert oder eine Kurve durchfährt, so muss also auch das Fahrzeug lernen. Dazu benutzen wir dann auch KI-Systeme. Das heißt, das Ganze kommt nicht von allein", meint Christian Masilge.
Diese künstliche Intelligenz trainieren die Geisterboote im Testkanal mit speziellen Manövern. Per Seil wird der Prototyp ruckartig in eine Richtung gezogen, sagt Björn Kolewe. "In der Binnenschifffahrt kann es eben sein, gerade in den Metropolregionen, dass er um die Häuserecke fährt und plötzlich starken Seitenwind hat. Und darauf muss der Regler reagieren."
Björn Kolewe von der Uni Rostock kümmert sich unter anderem um die Reglertechnik. Seine Kollegen steuern die Versuche von einer Kommandobrücke quer über dem Becken.

Vom Testbecken auf die Spree

Läuft weiter alles glatt, geht das Projekt "A-Swarm" im Juni für weitere Tests aufs offene Wasser. Erst am Berliner Westhafen, dann Stück für Stück auf die Spree. Ein großer Versanddienstleister hat schon Interesse angemeldet. Aber: Können die autonomen Schiffe wirklich dabei helfen, das Lieferchaos zu beseitigen?
Mobilitätsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin ist skeptisch: "Es ist leider nicht überall Wasser. Und da wo kein Wasser ist, muss man erstmal kompliziert hin. Und diese Komplexität des Umschlagens wird dann wahrscheinlich so schwierig sein, dass alle Vorzüge, die man über einen Wassertransport hätte, weil da die Straßen ja noch leer sind, überkompensiert werden. Das heißt also: Das Wasser wird vielleicht noch etwas stärker eine Rolle spielen können, aber nur sehr begrenzt."
Das sieht Monique Giese anders. Die Schiffsexpertin der Unternehmensberatung "KPMG" glaubt an autonome E-Schiffe, auch als Antwort auf den Personalmangel in der Binnenschifffahrt und den Klimawandel. Was es für sie braucht: Logistikdienstleister, die investieren, einen Datenaustausch in der kompletten Lieferkette und eine neue Infrastruktur: "Um die Häfen zu entlasten wird es natürlich auch entlang der Wasserstraßen aus meiner Sicht unabdingbar sein, dass auch da nochmal Anlaufpunkte auch für diese Schiffe da sind, damit sich nicht alles wieder ballt in den jetzt genutzten Häfen."
Laut Giese sind solche Lösungen auch für andere deutsche Metropolen mit Wasserzugang interessant, wie Hamburg, Frankfurt oder den Ruhrpott. In Amsterdam ist man beim Thema Autonomie schon weiter: Hier werden autonome Boote von einem Forschungsteam bereits auf dem offenen Wasser getestet, allerdings noch mit Crew an Bord. Ein befahrbares 80-Kilometer-Wassernetz und 200 Kanäle sorgen für beste Bedingungen. Die Amsterdamer "Roboats" sollen vor allem Abfall entsorgen. Außerdem könnten sie als Wasser-Taxi eingesetzt werden oder als Plattform zum Beispiel für einen schwimmenden Food-Markt.

Mehr Euphorie als Antworten

Das alles ist noch Zukunftsmusik, denn: Vor allem rechtliche Fragen sind noch völlig offen. Wie sicher sind autonome Schiffe wirklich? Was passiert bei Unfällen? Kann sich das System gegen Cyberangriffe wehren? Christian Masilge vom Berliner Projekt stellt fest: "Ich sag mal so, wie es bisher läuft, könnte ich realistisch einschätzen, dass man das technisch vielleicht in fünf bis sechs Jahren schaffen könnte. Dass wir wirklich ein funktionierendes System haben. Wenn ich mir anschaue, wie es wahrscheinlich mit Genehmigungsbehörden und so weiter läuft, werden es eher acht bis zehn 10 Jahre werden."
Die Frage ist auch: Akzeptiert die Gesellschaft Geisterschiffe, die nur durch Datenströme und künstliche Intelligenz gelenkt werden? Fakt ist: Um das Lieferchaos in den Griff zu bekommen, müssen Städte und Versanddienstleister umdenken.
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