Ausstellung zu deutsch-russischen Beziehungen

Kurator: Wir erwarten eine Eiszeit

Die Ehrentribüne auf der Karl-Marx-Allee während der Militärparade am 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (2.v.l.), dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker (3.v.l.), Raissa Gorbatschowa (hinter Honecker), die Gattin des sowjetischen Präsidenten und Willi Stoph (3.v.r.), Ministerpräsident der DDR.
Längst Geschichte: Michail Gorbatschow und Erich Honecker während der Militärparade am 7. Oktober 1989 in Berlin © picture alliance/dpa/adn
29.10.2015
Im Berliner Martin-Gropius-Bau kann man 70 Jahre deutsch-russischer Nachkiegsgeschichte betrachten. Wie schwierig die Zusammenarbeit mit den russischen Experten manchmal war, erklärt Ausstellungsmacher Jörg Morré. Er wagt eine Prognose für die bilateralen Beziehungen.
"Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit": So heißt die Ausstellung - es könnte aber teilweise auch das Motto sein, unter dem deutsche und russische Historiker ihre Exponate zusammengestellt haben. Manches habe man in den zwei Jahren Vorbereitung mit der "Gegenseite" nicht ausdiskutieren können, so Jörg Morré, Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst. Grund sei das jetzige "mentale Milieu in Russland". So sei man uneins geblieben über die Biografie des Kriegshelden Marschall Schukow.
Am 10. November soll auch in Moskau auf sieben Nachkriegsjahrzehnte geblickt werden. Doch wie die Ausstellung dort aussehen wird, weiß Morré selbst nicht. Nur, dass sie sich - wie die russische Seite angekündigt habe - von derjenigen in Berlin unterscheiden werde.
Morré ist sich sicher, dass sich die derzeit schwierigen deutsch-russischen Beziehungen auch wieder bessern werden. Allerdings: "Für die nächsten Jahre, glaube ich, werden wir es eher mit einer Eiszeit zu tun haben."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Als vor 70 Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, begann ein völlig neues Kapitel der deutsch-sowjetischen und später dann natürlich der deutsch-russischen Beziehungen. Und das führte von der Konfrontation zur Zusammenarbeit, so sagt es zumindest der Titel einer Ausstellung zu diesen 70 Jahren gemeinsamer Geschichte, die gestern eröffnet wurde und die ab heute in Berlin zu sehen ist und dann später auch in Moskau. Für die deutsche Seite ist das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst für diese Ausstellung verantwortlich und dessen Direktor ist Jörg Morré. Schönen guten Morgen, Herr Morré!
Jörg Morré: Ja, guten Morgen!
Kassel: Wenn man die aktuelle Lage betrachtet, müsste die Ausstellung nicht eigentlich heißen: von der Konfrontation zur Zusammenarbeit und wieder zurück?
Morré: Ja, das kann man sicherlich so sehen. Ich muss mal sagen, wir Museumsleute und auch Historiker gucken natürlich lieber auf das Vergangene und im Laufe des Projektes, das ungefähr zwei Jahre lief, war klar, dass es sehr, sehr politisch wird. Es war uns aber auch klar, wir machen eine Ausstellung über einen abgeschlossenen Zeitraum und so haben wir uns von vornherein auf ein bestimmtes Konzept geeinigt, sodass wir die aktuelle Politik da außen vor lassen konnten.
Kassel: War denn die Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen einfach?
Morré: Jein. Also, sie war ... Es war ein schwieriges Projekt. Es gibt Momente, wo wir als Deutsch-Russisches Museum sicherlich viel Erfahrung einbringen konnten, und so herum gesehen war es einfach, aber es war deutlich zu spüren, dass es ganz schwierig war, offen und ausführlich über Punkte zu diskutieren, sie auszudiskutieren, weil die Gegenseite klarmachte oder wir das dann wussten, in dem jetzigen mentalen Milieu in Russland geht das im Augenblick nicht.
Über Schukow wird in Moskau anders geschrieben
Kassel: Welche Punkte waren denn das zum Beispiel?
Morré: Zum Beispiel, wir haben Biografien in der Ausstellung, da ging es um den Marschall Schukow, der große Kriegsheld. Und da meinten die russischen Kollegen, dass unser Vorschlag, wie man diese Biografie schreiben könne, nicht ganz passe. Es gab dann auch keinen Gegenvorschlag, sondern es kam dann ein paar Wochen später einfach nur die Anmerkung, okay, in Berlin könnt ihr das so schreiben, aber in Moskau schreiben wir das mal lieber anders.
Kassel: Das heißt, in den Details ist dann doch die Ausstellung, die man jetzt hier in Berlin im Martin-Gropius-Bau sehen kann, nicht exakt die gleiche, die man dann auch in Moskau wird sehen?
Morré: Ja, richtig. Das ist auch ein weiterer Punkt in diesem Projekt, wir haben relativ früh, vor einem Dreivierteljahr vielleicht, gesagt: Wir haben einen harten Kern, der ist identisch, das geht um die Auswahl der Dokumente, es geht um die Struktur. Aber die Version, die in Berlin gezeigt wird, weicht ab von der, die in Moskau gezeigt wird.
Kassel: Wird da zumindest in Berlin auch drauf hingewiesen an der einen oder anderen Stelle?
Morré: Ja, das war Thema. Wir hatten gestern bei der Eröffnung unsere Hauptpartner – das sind also Rosarchiv, das ist sehr frei übersetzt das Bundesarchiv, und das Staatsarchiv der Russischen Föderation – bei uns da und die haben das beide auch so gesagt, gerade der Herr Terassow von Rosarchiv, dass es eben in Moskau weitere Dokumente geben wird, weitere Exponate auch gezeigt werden und dass auch das Design, die Ausstellungsarchitektur eine andere sein wird.
Kassel: Aber wird der Besucher in Moskau dann darauf hingewiesen, dass in Berlin im Design, im Detail was anderes zu sehen ist? Vermutlich nicht, oder?
Morré: Das kann ich Ihnen am 11. November sagen. Also, am 10. November ist die Eröffnung in Moskau und, ehrlich gesagt, wir wissen das auch noch nicht, wie das dort aussehen wird.
Nachhall der Gorbimanie in den goldenen Neunzigern
Kassel: Hat es denn – und damit kommen wir jetzt wirklich auf die Ausstellung, Herr Morré –, hat es denn in diesen 70 Jahren, die Sie da darstellen, eine Phase gegeben, wo Sie sagen würden: Hätten wir damals die Ausstellung gemacht, wäre es total leicht gewesen, da war das Verhältnis völlig unbelastet?
Morré: Oh ja. Also, wenn man so will, die goldenen 90er-Jahre. Also Wiedervereinigung 1990, Abzug der russischen Truppen bis '94, das war eine Phase, wo hier in Deutschland überall Russen waren, man war im Grunde begeistert, das war noch der Nachhall der Gorbimanie. Alles war gut, alles war schön. Plus: Russland war im Grunde ein ... Das Land selber war im wirtschaftlich freien Fall, es verschwand eigentlich auch so von der Bildfläche, es hatte auch eigentlich gar keine Ansprüche an uns. Das kam erst in den 00er-Jahren, sodass man sagen kann, so bis ... na ja, eigentlich bis 2005 und noch ein bisschen weiter war die Welt in Ordnung.
Kassel: Noch vor 1990 müssen Sie natürlich in dieser Ausstellung das Verhältnis zweier deutscher Staaten zur damaligen Sowjetunion betrachten. Und wenn wir da mal in die DDR gucken, da gab es ja die staatlich verordnete DSF, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Ich unterstelle, die spielt sicherlich eine Rolle in Ihrer Ausstellung.
Morré: Ja.
Staatlich verordnete Freundschaft der DDR zur Sowjetunion
Kassel: War denn das, diese staatlich verordnete Freundschaft, war das etwas, was die DDR-Bürger und die Sowjets einander eher nähergebracht hat, oder hat es das eher verhindert?
Morré: Das sind so zwei Aspekte. Natürlich spielt die Deutsch-Sowjetische Freundschaft bei uns in der Ausstellung eine Rolle, aber mehr in dem Sinne, es gab da eine Beziehung, sei sie organisiert oder nicht. Aber DDR-Bürger hatten da, ja, eine staatlich verordnete Beziehung. Ja, für sich genommen ist das problematisch, da werden wir mal eine Ausstellung drüber machen ...
Ich glaube, diese verordnete Freundschaft hat leider keine Nachwirkung hinterlassen. Es gibt da keine sozusagen emotionale Bindung, das Schulrussisch hat nie ausgereicht, um sich wirklich zu unterhalten. Und auch eine Auseinandersetzung, sei es mit der Sowjetunion, sei es mit der russischen Kultur insgesamt, ist nicht so nachhaltig, dass da also heute noch Tausende oder gar Hunderttausende von Russland-Freunden durch die Gegend laufen.
Kassel: Wenn Sie insgesamt das Auf und Ab dieser Beziehung betrachten und dann wieder ans Heute denken, macht Sie das optimistisch für die Zukunft?
Morré: Ja, ich muss ja optimistisch sein, wenn ich so ein deutsch-russisches Museum leite! Im Ernst, natürlich werden die Beziehungen bleiben, sie werden sich auch wieder bessern irgendwann. Für die nächsten Jahre, glaube ich, werden wir es eher mit einer Eiszeit zu tun haben.
Kassel: Jörg Morré, der Direktor des deutsch-russischen Museums über die Ausstellung "Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit", die allerdings nicht in seinem Museum zu sehen ist, sondern im Martin-Gropius-Bau in Berlin-Kreuzberg. Und da ist sie geöffnet noch bis zum 13. Dezember. Herr Morré, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Morré: Ja, gerne geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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