Ausstellung "Türkyeli" in Berlin

Kritische Gegenwartsfotografie aus der Türkei

Foto von Barbaros Kayan für die Ausstellung "Türkiyeli – Zeitgenössische Fotografie aus der Türkei"
Foto von Barbaros Kayan für die Ausstellung "Türkiyeli – Zeitgenössische Fotografie aus der Türkei" © Barbaros Kayan from the series "Moving Portraits"
Von Werner Bloch · 05.09.2017
Die Ausstellung "Türkiyeli - Zeitgenössische Fotografie aus der Türkei" in Berlin-Kreuzberg reflektiert die politisch-sozialen Spannungen von Istanbul bis Diyabarkir. Kein Problem, so scheint es, wird ausgespart, von Flüchtlingen bis zu Frauenrechten. Die Gefahren für die Künstler sind trotzdem präsent.
Nein, "Türkiyeli - Zeitgenössische Fotografie aus der Türkei" ist keine Ausstellung wie jede andere. Das bemerkt man sofort, wenn man den Ausstellungsraum betritt. Eine Ausstellung ist das wie ein Abenteuer, voller Gefahren und mit der achtsamen Notwendigkeit verknüpft, Fehler zu vermeiden. Nach dem Motto: Nur kein falsches Wort sagen - jedenfalls keines, das die türkische Staatsmacht provozieren könnte. Denn das hätte vielleicht dramatische Konsequenzen für die Beteiligten bei der nächsten Einreise in die Türkei.
Die Ausstellung ist also auf eine merkwürdige Art beklemmend, steht auf schwankendem Grund. Und doch: Nirgendwo passt diese Schau über neueste Gegenwartsfotografie aus der Türkei so gut hin wie hierher, betont die Ko-Kuratorin und Künstlerische Leiterin der "Gesellschaft für Humanistische Fotografie", Katharina Mouratidi:
"Die Idee zur Ausstellung Türkyeli ist vor zwei Jahren entstanden. Damals bin ich erstmals in Kontakt gekommen mit Positionen junger Künstler, die hierzulande gar nicht bekannt sind. Türkiyeli bedeutet: ich stamme aus der Türkei, nicht ich bin türkisch - was alle Ethnien mit einbezieht."
Ausgerechnet hier, in der Waldemarstraße nahe dem Oranienplatz, wo Deutschlands größte türkische Community lebt, erhebt sich in einem unscheinbaren Neubau der etwas verwunschene, kleine, aber perfekt ausgestattete und sehr klug bespielte "Freiraum für Fotografie" - ein Name, der verpflichtet.

Ergreifendes Video über "Ehrenmorde"

Wer die vier Ausstellungsräume betritt, stößt zunächst auf die Gezi-Proteste von 2013. Fotos, die größtenteils amateurhaft wirken und schrill, wild gehängt sind wie in einem Jugendzimmer, wohl um die Dynamik der Gezi-Revolte noch einmal erfahrbar zu machen. Doch man hat den Eindruck, diese Bilder schon mal gesehen zu haben, im Fernsehen oder in Zeitungen. Damit haben sie viel von der Aura, die sie einmal umgab, verloren.
Spannender - leider - als diese wild zuckende Zeitzeugenfotografie ist das Video, das die deutsch-türkische Journalistin Emine Akbaba zusammengeschnitten hat. Es geht um Frauenmorde in der Türkei. Splatterartige Aufnahmen aus den Abendnachrichten, die zeigen, wie Frauen mitten in einer türkischen Großstadt am hellichten Tage die Kehle aufgeschlitzt wird. In den letzten sechs Jahren sollen rund 1600 Frauen Opfer so genannter "Ehrenmorde" geworden sein.
Kein Problem der Türkei, so scheint es, wird in der Ausstellung ausgespart: Das Genderproblem, das Thema Flucht, die Veränderung der Städte.

Magnum-Fotograf Emin Özmen im Mittelpunkt


Kern und vibrierender Mittelpunkt der Ausstellung aber ist das vielleicht größte Foto-Talent, das die Türkei derzeit besitzt. Emin Özmen, 32 Jahre alt, ist bei Magnum unter Vertrag. Er studierte in Istanbul und hat bereits für Time Magazine, die New York Times, die Washington Post und den Spiegel fotografiert, oft unter schwierigsten Bedingungen:
Emin Özmen aus der Serie "The hidden War", Teil der Ausstellung Türkiyeli
Foto des Magnum-Fotografen Emin Özmen aus Suruc, in der Nähe der syrischen Grenze.© Emin Özmen aus der Serie "The hidden War"
"Ich fotografiere seit 15 Jahren wichtige Ereignisse wie das Erdbeben in Japan 2011. Ich habe die Proteste gegen die Wirtschaftskrise in Griechenland fotografiert, die Hungersnot in Somalia und Kenia, und ab 2012 habe ich den Krieg in Syrien fotografiert, der mir sehr nahe gegangen ist. Es gab dann Gezi Park-Proteste und die syrischen Flüchtlinge. Alle Probleme schienen mir miteinander verbunden wie die Glieder einer Kette, das eine Problem ist noch nicht vorbei und das nächste beginnt schon. Als Fotograf fühle ich mich verantwortlich, diese Themen zu dokumentieren."
Zum Beispiel Kobane - ein Wendepunkt in der Geschichte der Türkei. Aufgereihte Panzer der türkischen Armee im Abstand von 30 Meter, Menschen, die vom IS attackiert werden und die um ihr Leben über eine Mauer springen, eindrucksvolle, durch die Dynamik der Körper komponierte Fotos von Emin Özmen.
Es gehe ihm bei seinen Dokumentationen nicht um die militärische Auseinandersetzung, sagt der Künstler, sondern um die Folgen für die Zivilbevölkerung. Während er das erzählt, wird Emin Özmen selbst traurig und merkwürdig erstarrt. Özmen sieht sich als Zeugen, nicht als Richter. Er sei kein Aktivist, sagt er, sondern er zeige Situationen, wie sie sind. Ein politisches Statement seien seine Fotos nicht.
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